Alternativen zum Fliegen: Europa erfahren, wie?
Damit Menschen ökologisch reisen können, müssen neben der Infrastruktur auch Details verbessert werden. Ein Beispiel: die Fahrgastrechte.
Sie wollten nie nach Sofia? Und wenn, dann wüssten Sie ganz sicher nicht, warum Sie von der bulgarischen Hauptstadt aus nach Paris weiterfahren sollten? Macht nichts, das kann sich ja ändern. Schauen wir also mal: Die Website der Deutschen Bahn spuckt auf der Suche gleich eine Fehlermeldung aus. Die französische SNCF zeigt als Ergebnis zwar vielversprechende 22:51 Stunden an, aber dann: „Voiture uniquement“ – nur mit dem Auto.
Hallo, Europa, bist du da? Oder gibt es dich nur für Menschen, die entweder ihr ökologisches Gewissen erfolgreich verdrängen können, wenn sie sich zwischen den anderen Flugreisenden in Reihe 15 auf den Fensterplatz drängeln? Oder sich alternativ unbegrenzt Urlaub nehmen können, um zunächst zwei Tage lange mögliche Verbindungen zu recherchieren und Fahrkarten zu kaufen und dann an die 30 Stunden in Verkehrsmitteln von Bus bis Bahn unterwegs zu sein mit so schönen Gimmicks wie: halb drei Uhr nachts, umsteigen in Budapest?
Man könnte jetzt sagen: Macht nichts, um die Ecke ist es doch auch schön, fahren wir zum Beispiel nach – Augen zu und Finger auf die Deutschlandkarte – Tiefensee. Ach ja, fein, Brandenburg, warum eigentlich nicht? Nun, darum nicht: Bahnhof geschlossen.
Nun lässt sich einwenden, für Urlaubsreisende wäre es doch in Kauf zu nehmen, stattdessen in den Bus zu steigen. Ja, natürlich. Aber es geht nicht darum, was zumutbar ist, wenn jemand an diesen bestimmten Ort will. Es geht um eine Vision.
Busverbindungen sind eine Beziehung auf Zeit
Darum, dass Reisen zumindest auf einem geografisch so dichten Kontinent wie Europa selbstverständlich möglich und attraktiv sein sollte – auch ohne damit für Fluglärm, klimaschädliche Emissionen direkt in der Atmosphäre und den Bau von dritten Startbahnen mit verantwortlich zu sein. Und zwar egal, ob man von der Nordsee in die brandenburgische Provinz will oder von Sofia nach Paris.
Und nein, da helfen leider auch keine Fernbusse. Denn Busverbindungen, die sind maximal eine Beziehung auf Zeit. Schnell eingerichtet, aber auch schnell wieder weg, wenn statt Lloret de Mar wieder die Adria in ist. Für das Gefühl eines dauerhaften Verbundenseins, einer Stetigkeit, da braucht es eben doch: Schotter, Gleise, Oberleitungen. Dass es eine vorbildliche Infrastruktur ausgerechnet in einem Mitten-in-Europa-Land gibt, das nicht zur EU gehört, ja genau, die Schweiz, – traurige Ironie.
Doch es sind es nicht nur neue Gleise, reaktivierte Bahnhöfe und eine umfassende Verbindungsauskunft, sondern auch die kleinen Details, die einen großen Beitrag leisten können. Zum Beispiel die Sache mit den Fahrgastrechten. Bislang ist es so: Wer von Leipzig nach Lissabon fährt, kauft Tickets bei vier Eisenbahnunternehmen.
Bequem, einfach, zugänglich
Und wenn dann in Südfrankreich ein Erdrutsch die Weiterfahrt blockiert, sagt der:die Zugbegleiter:in, Pech gehabt. Anspruch auf Entschädigung oder kostenlose Weiterfahrt gibt es nur noch bis zum Endpunkt der Gültigkeit der französischen Fahrkarte. Für den spanischen und portugiesischen Abschnitt heißt es Nachlösen. Das wird, zumal spontan, teuer.
Die EU-Abgeordneten haben das Problem erkannt und Ende vergangenen Jahres beschlossen, dass die Regeln der europäischen Fahrgastrechteverordnung, was etwa Erstattung und Weitertransport angeht, auch für solche gestückelten Tickets gelten sollen. Nun kommt es darauf an, dass diese Verbesserung auch in den weiteren Verhandlungen der Reform drinbleibt.
Denn je bequemer, je einfacher und zugänglicher die Alternativen zum Flugzeug sind, je mehr Orte angebunden, je besser Takt und Umsteigemöglichkeiten, je kulanter die Reaktionen bei Verspätungen, Ausfällen und den unvorhergesehenen Wintereinbrüchen sind, desto mehr Menschen werden sie nutzen. Sie werden reisen, entspannt und ökologisch. Und ankommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!