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Nach Corona-Ausbruch auf SpargelhofRaus nur noch zum Arbeiten

Auf einem Hof des Spargelbauern Thiermann sind 130 Beschäftigte infiziert. Nun sind alle 1.000 Mit­ar­bei­te­r*in­nen in Arbeitsquarantäne.

Erntehelfer auf dem Thiermann-Spargelfeld in Kirchdorf. Fotografieren wird nicht gern gesehen Foto: Michael Trammer

Kirchdorf taz | Es ist 6.35 Uhr. Über der niedersächsischen Spargelstraße ist gerade die Sonne aufgegangen. Zwei Busse rollen durch die Gemeinde Kirchdorf. Die Scheiben sind beschlagen, fast alle Sitzplätze belegt. Die Mit­fah­re­r*in­nen tragen blaue OP-Schutzmasken. Vorbei geht es an Windkraftanlagen und stillgelegten Ölpumpen zu einem Spargelfeld. Kaum halten die Busse, drängen alle nach draußen und sprinten zum anderen Ende des Ackers.

Bei Thiermann hat die Saison begonnen, und hier gibt es den ersten Ausbruch von Corona-Infektionen auf einem Spargelbetrieb in diesem Jahr. Der Spargelhof gehört zu den größten Deutschlands und beschäftigt etwa 1.000 Mit­ar­bei­te­r*in­nen. 130 davon haben sich laut Gesundheitsamt Diepholz infiziert. „Wir hoffen, dass wir mit dem Konzept der engmaschigen Testungen und dem sofortigen Separieren der Kontaktpersonen die Ausbreitung sehr schnell eindämmen“, sagt Unternehmenssprecherin Anke Meyer. Die Produktion sei zurückgefahren, die Löhne würden weitergezahlt.

Wegen der gestiegenen Inzidenz greift im Landkreis Diep­holz die Bundesnotbremse. Für alle Mit­ar­bei­te­r*in­nen von Thiermann gilt eine sogenannte Arbeitsquarantäne. Das Haus darf nur noch für den Weg zur Arbeit verlassen werden. „Zusammen arbeiten und zusammen leben“, nennt Meyer das Hygienekonzept.

Die Firmenzentrale ist weiträumig umzäunt und abgesperrt. In den Hallen wird an acht großen Fließbändern die Ernte geputzt und sortiert. Das berichtet Barbara F., die dort mit etwa 80 anderen arbeitet, der taz am Telefon. Sie spricht Polnisch und will ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen. „Für die Gesundheit der Ar­bei­te­r*in­nen interessiert man sich wenig“, sagt sie. Pflichttests für alle Beschäftigten seien erst eingeführt worden, nachdem es mehreren Frauen schlecht ging und sie darum gebeten hätten, getestet zu werden. Wer einen Positivbefund hatte, sei freigestellt und isoliert worden.

Problem Versicherung

Barbara F. glaubt, dass sich das Virus ausbreiten konnte, weil die Beschäftigten immer wieder in unterschiedlichen Abteilungen eingesetzt worden seien und es deshalb viele Kontakte gegeben habe. Für sie selbst könnte eine Infektion fatale Folgen haben, sagt sie. Wie mehrere ihrer Kol­le­g*in­nen habe sie keine Krankenversicherung.

In Deutschland haben sogenannte kurzfristig Beschäftigte erst nach 70 Tagen Anspruch auf eine Sozialversicherung. Um den Land­wir­t*in­nen entgegenzukommen, hat der Bundestag am 31. März die mögliche Dauer von kurzfristigen Beschäftigungen bis Oktober sogar auf 102 Tage ausgeweitet. Ab 2022 sind Ar­beit­ge­be­r*in­nen zusätzlich verpflichtet, die Versicherung der Angestellten zu überprüfen. Thiermann leistet nach eigenen Angaben mehr als vorgeschrieben und hat für Notfälle eine Versicherung für die Ar­bei­te­r*in­nen abgeschlossen.

Barbara F. kann dazu auf Nachfrage der taz nichts sagen. Sie hadert aber auch noch mit etwas anderem. Bevor sie nach Deutschland kam, habe sie sich beim Arbeitgeber telefonisch informiert, was sie verdienen könne, sagt sie. Dabei seien ihr bis zu 120 Euro pro Tag in Aussicht gestellt worden. Inzwischen würden in den Hallen immer wieder Listen mit den Tageslöhnen ausgehängt. „Da stand ganz oft etwas um die 40 Euro pro Tag.“

Ruhetage Mangelware

9,80 Euro müsse sie an Thiermann für Unterkunft und Verpflegung zahlen, dann blieben 30,20 Euro – für einen Arbeitstag von manchmal 10, 11 Stunden. Denn wie lange gearbeitet würde, hänge davon ab, wie viel Spargel gebracht wird. Ruhetage gebe es nicht. In ihrem Arbeitsvertrag sei von 34 Stunden pro Woche und Mindestlohn die Rede. Wie viel Barbara F. verdient hat, wird sie erst am Ende sehen, wenn sie den Lohn ausgezahlt bekommt.

Piotr Mazurek vom gewerkschaftlichen Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“ unterstützt mehrsprachig Sai­son­ar­bei­te­r*in­nen. Er kennt die Branchenprobleme. Neben den Versicherungen gehöre die De-facto-Unterschreitung des Mindestlohns durch Manipulationen bei der Arbeitszeit dazu, sagt er. Immer wieder berichteten Betroffene, dass Ruhezeiten nicht eingehalten würden und sie mehr als 10 Stunden am Tag und an 7 Tagen die Woche arbeiteten.

Ein anderes Thema sei, dass die Unterkünfte oft überfüllt seien und viele Menschen sich sanitäre Anlagen teilen müssten. Laut Mazurek fehlen hier bindende Vorgaben der Politik – gerade in Zeiten der Coronapandemie: „Wir sehen, dass einer der Knackpunkte eine nicht-coronagerechte Unterbringung ist. Geteilte Sanitär- und Gemeinschaftsräume befördern die Ausbreitung.“

Die Ar­bei­te­r*in­nen von Thiermann sind über die Region verteilt in kleineren Häusern und größeren Unterkünften untergebracht. Überall gibt es Schilder: „Betreten des Werksgeländes verboten.“ Vor den Häusern stehen Sanitärcontainer. Für Infizierte hat der Betrieb in Kirchdorf ein Quarantänehaus geschaffen. Informationen in Deutsch, Rumänisch und Polnisch hängen an der Tür. Sicherheitskräfte stehen davor. Laut eigener Aussage sollen sie durchsetzen, dass niemand die Quarantäne bricht.

Absprachen würden nicht eingehalten

Einige Mit­ar­bei­te­r*in­nen seien trotz Quarantäneverordnung einkaufen gewesen, berichten An­woh­ne­r*in­nen und Polizei. Barbara F. erzählt, sie nehme die Quarantäne sehr ernst. Ihr sei gesagt worden, dass sie bestraft werden könne, wenn sie das Haus verlasse. Dabei sei die Versorgung – anders als vor Anreise versprochen – nicht gut. Thiermann dementiert das. Die Ar­bei­te­r*in­nen würden versorgt, heißt es.

Auf Anfrage der taz sagt man bei der Polizei Diepholz, nach ersten Unstimmigkeiten habe sich die Lage um die Unterkünfte beruhigt. Wie oft gegen die Quarantäne verstoßen worden sei, sei noch unklar. „Eine große Rolle hat die Information gespielt“, sagt Pressesprecher Thomas Gissing der taz am Telefon. Die Ar­bei­te­r*in­nen hätten über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt werden müssen. Ob gegen Ar­bei­te­r*in­nen oder den Betrieb Verfahren eingeleitet würden, müsse jetzt der Landkreis entscheiden.

Fünf Tage nach dem Ausbruch sind auf den Spargelfeldern um Kirchdorf weiterhin etliche Ern­te­hel­fe­r*in­nen zu sehen, die randvolle Kisten zum Straßenrand bringen. Manche tragen Masken. Auf Nachfrage der taz sagt ein rumänischer Arbeiter, der gerade die Plane über dem Spargeldamm hebt, es sei „schon okay“. Ein Vorarbeiter in gelber Warnweste hakt nach, warum Fragen gestellt würden. Er will wissen, wer hier recherchiert, und beginnt unmittelbar zu telefonieren. Fotos? Interviews? „Der Chef sagt nein.“

Infektionsgeschehen nicht mehr diffus

Nur wenige hundert Meter entfernt vom Betriebsgelände, auf der Hauptstraße von Kirchdorf, erzählt eine Frau, die aus Angst vor Konsequenzen in der Dorfgemeinschaft anonym bleiben will, Thiermann habe „die“ nicht im Griff. Sie berichtet von vermeintlichen Problemen mit Sai­son­ar­bei­te­r*in­nen – kann aber keine kon­kreten Beispiele nennen. Sie sagt weiter: „Jeder weiß, wie eingepfercht die leben.“ Gerade mit Corona verstehe sie das nicht. Andere Höfe könnten es besser. Der Ausbruch und der Lockdown für den gesamten Landkreis schade dem Ruf des Betriebs. „Ich kenne Leute hier im Ort, die werden keinen Thiermann-Spargel mehr kaufen.“

Auf der Website des Betriebs öffnet sich ein Pop-up-Fenster mit einer Entschuldigung bei den Ein­woh­ne­r*in­nen des Landkreises. Man wolle alles tun, um den Ausbruch einzudämmen. Vorerst hat das zum Teil geklappt, so das Gesundheitsamt Diepholz. Das Infektionsgeschehen sei nicht mehr diffus und mittlerweile auf die Wohnbereiche eingegrenzt. Neuinfektionen wurden keine mehr gemeldet. Bald könnte die Arbeitsquarantäne nur noch für Infizierte und Kontaktpersonen ersten Grades gelten.

Die Webseite trägt derweil den Hinweis, eine Übertragung des Virus durch das Gemüse sei ausgeschlossen.

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7 Kommentare

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  • „Zusammen arbeiten und zusammen leben“ und zusammen infizieren, muss es wohl heißen. Alles zum Wohle des Spargelgerichts.

  • Sorry, aber wer hierzulande bei Lidl & Co Spargel für unter 10€ /kg kaufen will, darf sich doch nicht ernsthaft wundern, dass der von irgendwem für fast nichts produziert werden muss (und so auch schmeckt).



    Blöd halt, wenn es auch noch vor der eigenen Haustür geschieht und Unruhe in den Konsument*innenalltag bringt.

  • Es bräuchte ein Fairtrade-Label auch für in Deutschland/Europa produzierte landwirtschaftliche Produkte, das dem Verbraucher die Möglichkeit gibt zu entscheiden, wem er den Spargel etc. abkauft.



    Zu glauben, Ausbeutung existiere nur außerhalb Europas, ist Selbstbetrug.

  • Eine perfide kapitalistische Logik at its best: ein ghettoisiertes Ausbeutungssystem, in Corona-Zeiten mit "Arbeitsquarantäne" für die ungeschützten SaisonarbeiterInnen, die gezwungen sind, sich zu Niedrigsttlöhnen zu verdingen und damit für die Spargelunternehmer der Spargelprofit weiter stimmt. Eine hellsichtige Überschrift in einer Tageszeitung: Sterben für die Wirtschaft...

    • @Beate Homann:

      Jepp, das gleiche Prinzip wie bei Schülern, die man nun zwei Jahre trotz höchster Inzidenzzahlen in die Schulen geschickt hat, damit das Kapital wieder ausbeutbare "Facharbeiter" hat.

      Dabei ist das alles nicht notwenig. Strom kommt aus der Stechdose, Gemüse aus Spanien und das Internet sowie der Postbote von Amazon.

      • @Rudolf Fissner:

        Wenn sich etwas ändern soll, muss man sich eben ändern, auch wenn es schwer fällt. Man benötigt kein unbegrenzte Stromversorgung für PC und TV, dt. Kartoffeln schmecken auch, Porto kann man anheben und Internet, siehe oben.

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