: Hungern gegen Moskau
Kriminell oder doch nur oppositionell? Der Russe A. V. soll von Bremen nach Moskau ausgeliefert werden
Von Nadine Conti
Es ist ein letzter Akt der Verzweiflung. Kurz vor Ostern trat der 38-jährige A. V. in den Hungerstreik. Am Donnerstag soll er von Bremen nach Frankfurt geflogen werden, von dort weiter nach Moskau. Dort erwartet ihn ein Prozess – ein politisch motivierter Prozess, sagt sein Anwalt, Jan Sürig. Ein ganz gewöhnlicher Strafprozess, sagt die Bremer Generalstaatsanwaltschaft.
Im Juli des vergangenen Jahres ist V. am Flughafen in Bremen verhaftet worden. Da kam er gerade aus Spanien, wo er seit ein paar Jahren lebt. Die russische Justiz wirft ihm vor, im Juli 2018 an einem spektakulären Überfall auf eine Moskauer Bank beteiligt gewesen zu sein und sich dann abgesetzt zu haben.
In Wirklichkeit habe sein Mandant sein Vermögen in der Ölwirtschaft gemacht, sagt sein deutscher Anwalt. Und sich unbeliebt gemacht, weil er die Oppositionsbewegung in St. Petersburg unterstützt habe. Den Kontakt habe sein Freund Pavel Rodionov hergestellt, er selbst habe es vermieden, öffentlich in Erscheinung zu treten, lässt V. erklären. Und allein die Tatsache, dass der Haftbefehl gegen ihn vom für politische Verfahren berüchtigten Bezirksgericht Basmanny ausgestellt wurde, spräche doch für sich.
Spektakulärer Überfall
Die Bremer Generalstaatsanwaltschaft glaubt dieser Darstellung allerdings nicht. Rodionov, der Mann, der den Kontakt zur Oppositionsbewegung hergestellt haben soll, ist tot. Andere Belege für V.s politische Aktivitäten gibt es nicht.
Und der Banküberfall, für den V. verantwortlich gemacht werde, sei schlicht viel zu spektakulär gewesen, um sich als Fassade für eine solche Verschwörung zu eignen, argumentiert Oberstaatsanwalt Mathias Glasbrenner.
„Bei einem Tötungsdelikt mit nur einem Zeugen könnte man ja misstrauisch werden. Aber bei sieben Komplizen, zehn Geiseln und weiteren Zeugen? Bei umfangreichen Ermittlungsmaßnahmen, die sich über Monate hingezogen haben?“
Da wäre der Fälschungsaufwand doch wohl ein bisschen hoch, findet er. Und im Übrigen sei ja auch nicht einzusehen, warum man einen solchen Aufwand treiben sollte für jemanden, der sich ohnehin schon seit Jahren im Ausland aufhielte.
Anwalt Jan Süring wies vergeblich auf Unstimmigkeiten in den Akten und den Übersetzungen hin, rief den Rechtsausschuss des Senats an, zog vor das Oberlandesgericht, legte Verfassungsbeschwerde ein. Nichts nutzte. Immerhin, sagt der Oberstaatsanwalt, finde der Prozess nun unter Beobachtung statt und auch die Haftbedingungen dürften besser ausfallen, als wenn A. V. in Russland verhaftet worden wäre. Der isst und trinkt trotzdem nichts mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen