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Streit um Vorlesung in OsnabrückCanceln ist Kampfsport

Neurechter Althistoriker? Ein Vortrag Egon Flaigs an der Uni Osnabrück sorgt für Streit.

Symbolfoto, ganz eindeutig: Auseinandersetzungen an Unis gehen meist weniger drastisch vonstatten Foto: Kyodo/dpa

Hamburg taz | Vielleicht hätte es die Welt jenseits von Osnabrück gar nicht mitbekommen: Das Historische Seminar der Universität, genauer gesagt die Abteilung Alte Geschichte, hatte einen Fachkollegen eingeladen. Im Rahmen einer Reihe zu „Macht, Gewalt und Geschlecht“ war der emeritierte, zuletzt in Rostock lehrende Althistoriker Egon Flaig angekündigt mit einem Vortrag über die „Grenzen von Machtkonzepten: Warum sich mit Bourdieu keine politische Soziologie der Antike machen lässt“.

Macht, Geschlecht und dann auch noch der Verweis auf den 2002 verstorbenen Star-Soziologen, der sein Fach mal als „Kampfsport“ bezeichnet hat? Gegen so was können doch eigentlich nur ganz konservative akademische Geister sein, oder? Also solche, die ihre hehre Disziplin frei halten möchten von allem „Zeitgeist“.

Protest aus den Gremien

Protest wurde in der Tat geäußert, aber von links: Allgemeiner Studierendenausschuss (Asta) und Fachschaft wandten sich gegen das Gastspiel. Flaig sei bekannt für „rechte und revisionistische Ansichten“, schrieb am 8. April der Asta, und habe etwa behauptet, dass „die kolonialisierten afrikanischen Staaten sich nur von der Unterdrückung lösen wollten, um weiterhin das eigene Volk versklaven zu können“. Aus Sicht der Historiker_innen-Fachschaft vertritt Flaig „seit Jahren unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit politische Positionen der Neuen Rechten. Er leistet damit einer menschenverachtenden, diskriminierenden und rassistischen Ideologie erheblichen Vorschub.“

Flaig hat sich selbst als „aus der linken Ecke“ kommend bezeichnet und steht innerhalb des Fachs nicht eindeutig für Rückwärtsgewandtes. Aber er ist auch schon als Experte für die AfD in Erscheinung getreten. Mit der Partei will er gebrochen haben, als der völkische „Flügel“ um Björn Höcke dort zu viel Einfluss gewann. 2011, 25 Jahre nach dem „Historikerstreit“ um die Singularität des Holocaust, forderte er indes gegen den Sozialphilosophen Jürgen Habermas mehr „Normalität“ für die Deutschen.

So wie Eva Herman, Thilo Sarrazin und Uwe Tellkamp hat er 2018 die „Gemeinsame Erklärung“ gegen „gegen „illegale Masseneinwanderung“ erstunterzeichnet. Und im Zusammenhang mit dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke äußerte Flaig gelinde gesagt Missverständliches über eine Mitverantwortung des Ermordeten.

Aktivierte rechte Medien

Als nun die Ausladung gefordert wurde, aktivierte das Medien des konservativen bis hart rechten Spektrums: Hatte ein Text des ehemaligen Mecklenburg-Vorpommer’schen Wisssenschaftsministers Mathias Brodkorb in der FAZ die Sache erst überregional bekannt gemacht, sahen der Blog „Tichy’s Einblick“ und die Junge Freiheit „Cancel Culture“ am Werk – und die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr. Worin wiederum die kritischen Studierenden eine typisch rechte Diskursverschiebung erkannten.

Auch andernorts ist Flaig schon Anlass für Debatten gewesen, etwa an der Uni Rostock und der FU Berlin. In Osnabrück nun äußerte die Gastgeberin, Professorin Christiane Kunst gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung, sie teile die vom Asta angesprochenen politischen Positionen Flaigs „keineswegs“. Aber eine mögliche Ausladung nennt sie „in mehrfacher Sicht problematisch“.

Flaig selbst erklärte gegenüber der NOZ: „Die Kampagne des Asta beruht auf Verleumdungen und zielt auf Rufmord“, keiner der erhobenen Vorwürfe sei wahr. Die laut Uni „bereits vor einem Jahr“ geplante Sache fand dann am Donnerstag statt, online und ohne besondere Vorkommnisse.

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