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Gedruckte „Wiener Zeitung“ vor dem AusRepublik pfeift auf Tradition

Bereits im Jahr 1703 gegründet, steht die „Wiener Zeitung“ als gedruckte Ausgabe nun vor dem Aus. Ihre Leserschaft will das verhindern.

Großteil der Einnahmen durch Pflichtanzeigen: Die Wiener Zeitung soll es bald nur mehr digital geben Foto: Tobias Steinmaurer/imago

Wien taz | 318 Jahre sind genug. Dieser Meinung ist man offenbar in Österreichs türkis-grüner Regierung. Die Wiener Zeitung soll in Zukunft nur noch digital erscheinen. Sie ist Opfer einer EU-Verordnung, die Erleichterungen für Unternehmen schafft. Gut für die Unternehmen, schlecht für die Wiener Zeitung, deren beiliegendes Amtsblatt das offizielle Verlautbarungsorgan der Republik ist. Wenn eine GmbH gegründet oder ein öffentlicher Auftrag ausgeschrieben wird, ist eine Veröffentlichung im Amtsblatt der Wiener Zeitung vorgeschrieben.

Drei Viertel ihrer Einnahmen werden durch diese Pflichtanzeigen lukriert. Das Regierungsübereinkommen zwischen ÖVP und Grünen vom Januar 2020 sieht vor, die Unternehmen von der Pflicht zur gedruckten Veröffentlichung zu entbinden. Man beruft sich da auf eine EU-Richtlinie aus dem Juni 2019 über den „Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht“. Österreich hinkt der Entwicklung hinterher. Die Abschaffung der Pflichtinserate soll ein Schritt in diese Richtung sein. An einem entsprechenden Gesetzentwurf wird gearbeitet.

Die älteste noch erscheinende Zeitung der Welt wurde 1703 als Wiennerisches Diarium „Mit Ihro Römischen Kayserlichen Majestät allergnädigsten Privilegio“ gegründet. Eingeschmuggelt in die Auslandsberichterstattung veröffentlichte sie 1789 die „Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers“ der Französischen Revolution. Kaiser Franz Joseph hat die Zeitung verstaatlicht, 1998 wurde sie in eine GmbH umgewandelt, die zu 100 Prozent im Eigentum der Republik steht. Nur unter der Naziherrschaft musste das Blatt 1940 bis 1945 sein Erscheinen einstellen.

Unaufgeregt berichtet die Wiener Zeitung über Innenpolitik und erklärt ihrer Leserschaft die Welt. Über 8.000 Abonnenten wissen das zu schätzen, weitere 8.000 Exemplare liegen täglich am Kiosk. Am Wochenende werden 40.000 Stück gedruckt. Die Redaktion mit ihren 55 Vollzeitstellen ist ohne die rund 18 Millionen Einnahmen aus dem Amtsblatt nicht zu finanzieren.

Eva Blimlinger, Mediensprecherin der Grünen, will zwar nicht, dass die Zeitung eingestellt wird, aber eine Lösung hat der kleine Koalitionspartner nicht parat. Eine Gesetzesänderung vor Jahresende ist nicht zu erwarten. Vielleicht fällt den zahlreichen Freundinnen und Freunden der Wiener Zeitung bis dahin noch etwas ein, diskutiert wird das unter dem Hashtag #unverzichtbarseit1703.

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