piwik no script img

Neue Corona-VerboteBesuche im Dunkeln

Kommentar von Claudius Prößer

Wenn Verbote kaum noch zu begründen sind, riechen sie nach Willkür. Das tut der Disziplin in der Pandemie nicht gut.

Regeln werden zur Gewohnheit, sie ab und zu zu brechen, aber auch Foto: dpa

D ie auf den Gehweg in der Bergmannstraße gepinselten Hinweise „Hier bitte Maske tragen“ hat der Regen längst wieder verschwinden lassen. Stattdessen hat jemand mit Leugner-Hintergrund „1984“ aufs Trottoir gesprayt. Mund-Nase-Schutz trägt hier an guten Tagen einer von zwei Menschen, oft sind es weniger. So verhält es sich an den meisten Straßen, auf denen Maskenpflicht herrscht.

Kein Wunder, dass die Disziplin im Keller ist: Kontrolliert wird kaum. Und dem Senat ist seine eigene Regel so unwichtig, dass er bei der jüngsten Anpassung der Verordnung vergessen hat, die Straßenliste in der Anlage korrekt an den Paragrafen anzubinden. Juristisch hat die Pflicht möglicherweise gar keinen Bestand.

Sowieso ist umstritten, was eine Gehweg-Maskenpflicht bringt, um das Corona-Infektionsgeschehen zu reduzieren. Aber sollte der Senat zu diesem Schluss gekommen sein, warum schleppt er dann die Regel weiter mit? Vorschriften, die höchstens so halb gelten, schaden dem Gesamtpaket.

Hinzu kommt nun, dass mindestens eine der neuen Verschärfungen – keine Herren-, Damen- oder sonstigen Besuche ab 21 Uhr – kaum noch nachvollziehbar ist. Während das Verbot von Menschenansammlungen im Park epidemiologisch durchaus Sinn macht, ist völlig unklar, warum der liebe Freund oder die entfernte Verwandte am späten Abend ein höheres Risiko bedeuten als am frühen.

Der Regierende Bürgermeister betont, wie wichtig Eigenverantwortung sei, und beteuert, man wolle ja „niemanden ärgern“. Aber warum werden dann private Besuche nicht einfach mit einer Testpflicht verknüpft? Beim Einkaufen geht das ja auch. Sollte jemand einwenden, das könne niemand kontrollieren: Auch das Komplettverbot ist quasi unkontrollierbar – allerdings bietet es Menschen mit denunziatorischem Drang eine neue Steilvorlage.

Coronamaßnahmen zu kritisieren ist knifflig. Man will sich nicht mit KomplettverweigerInnen gemein machen, und die Grenze zwischen sinnvoll und nicht-mehr-ganz-so-sinnvoll ist im Halbdunkel schwer auszumachen. Wenn aber Verbote kaum noch zu begründen sind, riechen sie nach Willkür. Und das tut der Disziplin in der Pandemie nicht gut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • @BLAUERMOND

    Was machen wir mit denen, die keine Unterhose tragen können?

    Wann haben sie den letzten Menschen "unten ohne" im Supermarkt angetroffen, der, darauf angesprochen, giftig zurüczischt er hätte einen Attest?

    Warum sind das überwiegend mittel- bis ältere Männer?

    Fragen über Fragen.

    Mehr im Ernst: ich kann mit jede*r mitfühlen, der/die Existenzängste hat, insbesondere wenn sie finanziell von Gastro, Reise oder Veranstaltung abhängen. Mich schmerzen die Eltern, insbes. Alleinerziehende. Die Pfleger*innen in jeder Sparte, aber insbes. Intensiv.

    Das ist furchtbar; wir alle haben etwas daran zu tragen, und wie immer ist es bitter ungerecht verteilt.

    Aber Maske tragen? Auch nur beim Shoppen bzw. beim Ausgang?

    Ach, kommen Sie.

  • Der letzte Absatz lässt ja tief blicken. Da gibt es also eine Gruppe, deren Anliegen man komplett ignorieren kann, da man sie zu Verrückten erklärt hat, wer aber trotzdem noch Bedenken hat, nicht grundsätzliche, differenzierte natürlich, der muss diese vorsichtig äußern, um nicht in den gleichen Topf geworfen zu werden.



    Möglicherweise sind die sogenannte Coronaleugner (der Begriff ist schon extrem abwertend, jeder, der mit Einschränkungen irgendeiner Art Probleme hat, wird heute schnell zum "Leugner") ja wirklich vornehmlich Menschen, die von den Coronaregeln und dem Lockdown psychisch am meisten getroffen sind.



    Solche Betroffene haben ja auch erst so im letzten halben Jahr langsam mal Rückhalt erfahren, vorher war das ja überhaupt kein Thema.

    Und wer weiß, ob diejenigen, die keine Maske tragen nicht vornehmlich auch diejenigen sind, die damit am schlechtesten zurecht kommen?

    Ich kenne Menschen, die ihre Wege zu Fuß so planen, dass sie etwas Zeit übrig haben, um in eine Seitengasse zu gehen, die Maske abzusetzen und mal durchzuatmen. Vielleicht schaffen andere es gar nicht, so lange durchzuhalten?

  • "die Grenze zwischen sinnvoll und nicht-mehr-ganz-so-sinnvoll ist im Halbdunkel schwer auszumachen."



    Aber was bleibt anderes übrig wenn die belegbar sinnvollen Maßnahmen bereits ausgeschöpft oder aus verfassungsrechtlichen oder politischen Bedenken nicht zur Anwendung kommen, die Zahlen aber trotzdem weiter steigen, als auch weniger eindeutig belegte Maßnahmen zu ergreifen um R unter 1 zu bringen?

  • "Sowieso ist umstritten, was eine Gehweg-Maskenpflicht bringt [...]"

    Wenn Sie danach gehen, ist fast alles umstritten. Ob es das Virus überhaupt gibt. Ob es nicht vielleicht Träger eines Mikrochips ist. Was weiss ich.

    Ich? trage immer noch Maske "draussen".

    Nicht, weil der Senat das sagt.

    Sondern weil mir immer noch das Herz blutet, wenn ich an die denke, die Überstundenweise in der Intensivstation Ganzkörperschutz tragen müssen und Sterbenden die Hand halten (wenn sie Zeit dafür finden).

    Die Politik? Ein Spiegel unserer Gesellschaft, und die Fratze, die da rausguckt ist... nicht vorteilhaft. Frau Eckerle trifft es für mich am Besten:

    nitter.namazso.eu/...378113735399718922

  • Dieser denkwürdige Coronagipfel vom 24.3. - auf dem der wieder zurückgenommene Osterlockdown beschlossen wurde - zeigt die völlige Unfähigkeit der Politik.

    Besonders die Begründung für die Rücknahme läßt tief blicken:



    Die entsprechenden Fachleute (vermutlich sind damit Juristen gemeint) seien nicht mit dabei gewesen und hätten auch nicht im Vorfeld befragt werden können.



    Daher hätte sich die Entscheidung erst im Nachhinein als falsch erwiesen.

    Da fragt man sich doch: Was sitzen da für Krampen, dass sie nicht selbst sachgerecht entscheiden können ?

    Das erinnert mich einfach an einen Kindergarten: "Da muss ich erst meine Mama fragen ..."

    Was haben wir da bloß gewählt ?

  • Danke für diese sehr wahren Worte!

  • Meiner Beobachtung nach "interpretiert" mittlerweile jeder die Regeln wie er will. Hier auf dem Land ist die Gefahr "erwischt" zu werden sowieso nahe Null, wenn man sich nicht komplett dumm anstellt. Also schätze ich die Ansteckungsgefahr meist in Selbstverantwortung ein. Bisher bin ich damit gut gefahren. Kann auch Glück sein.



    Ein Bürger aus Landkreis Wunsiedel (Inzidenz >200/teilweise >300 knapp 3 Monate lang), 2 schulpflichtige Kinder ohne Präsenzunterricht seit Mitte Dezember 2020.