Schwindende Bedeutung des Suezkanals: Das Nadelöhr liegt anderswo
Die „Ever Given“ ist freigekommen, der Suezkanal wieder offen. Dabei hat der für den Welthandel längst nicht mehr die Bedeutung wie früher.
D ie Havarie eines einzigen Containerschiffs schaffte es offenbar, die gesamte Weltwirtschaft für Tage auf Trab zu halten. Etwa 10 Prozent des globalen Handelsvolumens werden durch den Suezkanal befördert. Jede Stunde, an dem die Wasserstraße zwischen dem Roten und dem Mittelmeer blockiert war, bescherte dem Welthandel Verluste von mehreren Milliarden Dollar. Das Schiffsunglück machte deutlich, wie empfindlich die auf „Just in time“ getrimmten Lieferketten heutzutage sind. Doch gerät damit die Weltwirtschaft ins Wanken? Nein.
So schmerzhaft es für einzelne Branchen in Europa sein mag, weil sie einige wichtige Elektrokomponenten nicht geliefert bekamen – ein Kollabieren der Weltwirtschaft sieht anders aus. Anders als noch in den siebziger Jahren, als Westeuropa einen Großteil seiner Ölversorgung über den Suezkanal aus der Golfregion bezog, hat die Wasserstraße erheblich an Bedeutung verloren. Deutschland und andere EU-Länder beziehen das meiste Öl heute aus Russland und anderen Regionen.
Europa ist neben den USA zudem auch nicht mehr das Zentrum der Weltwirtschaft, sondern muss sich diese Rolle nun auch mit China und anderen Ländern in Asien teilen. Hinzu kommt, dass China um die Krisenanfälligkeit des Suezkanals weiß. Um die Abhängigkeit zu reduzieren, ist der Exportweltmeister schon seit geraumer Zeit dabei, nicht zuletzt mit seiner Seidenstraßen-Initiative viele weitere Handelswege zu schaffen. Die Güterzugstrecke zwischen Shenyang und Duisburg ist erst der Anfang.
Dass 10 Prozent des Welthandels durch den Suezkanal gehen, ist viel. Fast viermal so viel wird jedoch über das Südchinesische Meer abgewickelt. Die USA haben das erkannt und längst damit begonnen, ihren Einfluss dort auszubauen. Hierzulande wird der Konflikt zwischen China und den Anrainerstaaten hingegen so behandelt, als würde er nichts mit Europa zu tun haben. Das ist kurzsichtig. Nicht der Suezkanal ist das Nadelöhr der Weltwirtschaft, sondern die Straße von Malakka.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Rückgabe von Kulturgütern
Nofretete will zurück nach Hause
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen
Nach Ermordung von Jamshid Sharmahd
Deutschland schließt Konsulate des Iran
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott