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Karlsruhe stoppt EU-WiederaufbaufondsVerheerende Entscheidung

Mit 750 Milliarden Euro aus Schulden will die EU wieder auf die Beine kommen. Doch das Bundesverfassungsgericht blockiert.

Bundesverfassungsgericht stoppt wegen Verfassungsbeschwerde das deutsche Ratifizierungsgesetz Foto: dpa

Berlin taz | Eigentlich war alles in trockenen Tüchern. Der Bundestag hatte dem im vergangenen Sommer ausgehandelten EU-Paket mit den Wiederaufbauhilfen am Donnerstag zugestimmt, der Bundesrat entschied am Freitag ebenso. Es fehlte nur noch die Unterschrift des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Doch dann gab das Bundesverfassungsgericht am Freitagnachmittag überraschend der Verfassungsbeschwerde einer Gruppe um den früheren AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke statt und untersagte dem Bundespräsidenten, das deutsche Ratifizierungsgesetz zum Finanzierungssystem der EU bis zum Jahr 2027 auszufertigen. Dies gelte, bis der Zweite Senat über einen mit der Beschwerde verbundenen Eilantrag entschieden hat, heißt es aus Karlsruhe. Damit ist auch der 750 Milliarden Euro schwere Corona-Wiederaufbaufonds gestoppt.

Diese Entscheidung aus Karlsruhe stößt vor allem in Ländern Südeuropas auf Unverständnis. Mit dem Instrument einer gemeinsamen Verschuldung aller EU-Staaten sollte nichts Geringeres als der Neustart der Wirtschaft in der Zeit nach der Pandemie finanziert werden, empörte sich die spanische Zeitung El País in ihrer Sonntagsausgabe. Dieser Neustart werde nun von den deutschen Klägern torpediert. Denn schon eine bloße Verzögerung der Hilfsgelder sei ein schwerer Schlag für die vor allem in Südeuropa gebeutelten Volkswirtschaften.

Eine endgültige Blockade wäre gar eine Katastrophe, kommentiert El País. Sie würde die Glaubwürdigkeit der EU ernsthaft gefährden. Von einem „Damoklesschwert des Karlsruher Gerichts“, das über der europäischen Integration hänge, schreibt auch die italienische Zeitung La Stampa. Im Interview mit der taz hatte der Ökonom Adam Tooze die Entscheidung von Karlsruhe schon am Freitag als einen Eingriff bezeichnet, der „angesichts der Bedeutung kaum zu fassen“ sei.

Ex-AfDler Lucke ist wieder aktiv

Eingereicht hatte die Klage eine Gruppe um Lucke mit dem Namen „Bündnis Bürgerwille“. Sie sind der Ansicht, dass eine gemeinschaftliche Verschuldung nicht zulässig sei. „Die EU ist vertraglich verpflichtet, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen“, erklärte der Vorsitzende des Bündnisses, Ravel Meeth. Eine Schuldenfinanzierung in dieser Höhe sei „ein krasser Vertragsbruch“. Meeth betonte, die Klage richte sich nicht gegen die Ausgaben an sich. Aber jeder Mitgliedstaat müsse die benötigten Mittel auf eigene Rechnung zur Verfügung stellen.

Über die Gründe seiner Entscheidung äußerte sich das Bundesverfassungsgericht bislang nicht. Ein Gerichtssprecher ließ auch offen, wann über den Eilantrag entschieden werde. Ein Problem für die EU-Kommission: Sie kann mit der Aufnahme der Kredite und der Auszahlung erst beginnen, wenn alle 27 Staaten den Beschluss ratifiziert haben.

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14 Kommentare

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  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Niemand will die EU wirklich zu einer FinanzTransferunion umbauen weil das wäre rechtlich und legitimieren nur möglich wenn alle Staaten Souveränität abgeben und das EU Parlament one-man-one-vote wird und massiv gestärkt wird sowie Steuerstandards angeglichen werden. Das will man nicht also umgeht man Vertröge in dem man es an die EZB auslagern oder bricht sie direkt.

  • Ein Rechtsstaat der etwas inhaltlich Falsches macht ist doch besser als andersrum.

  • Ich denke in dieser, wie in einigen weiteren Fragen gibt es einen Widerspruch zwischen unserer Verfassung und Europa. Je mehr wir ein zentrales, einiges Europa wollen, wird dieser Gegensatz auch fundamental werden. Jeder darf diesen Konflikt politisch gerne zugunsten Europas entscheiden. Nur sollte man es auch so benennen und die Verfassung dann eben anpassen.

    Dass man sich das nicht so traut, liegt daran, dass "man" den eigenen Kurs als alternativlos richtig verkaufen will - was er natürlich nicht ist. Das sind politische Entscheidungen. Etwas, was alternativlos richtig ist, verträgt keine Widersprüche - von diesem Denken sollten wir wegkommen.

  • Sorry Herr Felix Lee - Ihre Qualifikation kann ich nicht in Erfahrung bringen - aber: - “ Karlsruhe stoppt EU Wiederaufbaufonds: Verheerende Entscheidung“ - hamses nicht‘n bisken kleiner? Anyway.



    Ihre Apodiktik & das übrige macht mir den Eindruck - daß Sie vom Grundgesetz zwar scheint’s schon mal gehört haben.



    Aber dessen Grundstruktur & Besonderheit im EU-Zusammenhang in keiner Weise verstanden haben.



    Das absolte Novum - EU-weit - dieses ganz besonderen Normenwerks: Es gibt keinen rechtsfreien Raum



    &!!



    Für jeden! staatliche Akt kann die gerichtliche Überprüfung beantragt werden! Art 19 Abs 4 GG!



    (Da sind Sie & genauso Ulrike Herrmann schlicht - out of order • Wenn - wie hier jemand das beantragt & zwar OHNE ANSEHUNG DER PERSON! Get it? Fein! Das nennt man normal: RECHTSSTAAT!



    &



    Damit Sie mich nicht falsch verstehen.



    Hier gehlt es allein um einen Hängebeschluß! Ihrs & Ulrike Herrmanns sind komplett überzogen!



    Ja - vor allem: Ahnungslos. Peinlich.



    Davon ab aber! Hoffe sehr - daß dieser Grundkonflikt Karlsruhe/EU/EuGH - ala long klug entschärft wird. Gut beraten!



    Nur ist das kein Grund - von Zwecken etc zu schwadronieren & Mindeststandards journalistischer Arbeit dabei - außer Betracht zu lassen.



    Alles andere ist billige Propaganda.

    kurz - Die Mütter & Väter des Grundgesetzes - die diese Konstruktion aus der Taufe gehoben haben - haben sich dabei viel & viel gutes gedacht.



    Und mit Verlaub - solche Ansammlung von - sorry - Ignoranz nicht verdient •

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      "Für jeden! staatliche Akt kann die gerichtliche Überprüfung beantragt werden! Art 19 Abs 4 GG! "



      Auch wenn die Akten nicht geschreddert, gelöscht und entsorgt sind, ist eine Revision vor dem BVerfG in ein und derselben Angelegenheit nur drei mal möglich.



      Die der Vernunft spottende Entscheidung, dass das Verbot von Marijuana (bei gleichzeitiger Legalisierung von Alkohol) nicht dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen würde, gilt somit solange als letztgültig, bis die Gesetzgeber beschließen, das Revisionsrecht zu ändern, das keinen Verfassungsrang hat.



      Diesen Sachverhalt - dass die Verfassung allein Rechtsstaatlichkeit noch nicht garantiert - hat der ehemalige Bundesrichter Fischer - man muss ihn nicht mögen - in der "Zeit" auch ausführlich dargelegt.



      www.zeit.de/gesell...haengigkeit-verbot



      Wie es mit dem Gleichheitsgrundsatz im bundesdeutschen Rechtsprozess bestellt ist, lässt sich auch daran sehen, dass eine Beschwerde im Rahmen der Nationalökonomie noch vor der Ratifizierung eines Gesetzes vorangig stattgegeben wird, während es zehn Jahre gedauert hat, bis sich das BVerfG mit dem Sanktionsregime der Agenda 2010 befasst hat - und zu dem Urteil gekommen ist, dass die Menschenwürde doch zumindest zu 70% für staatliches Handeln zu gelten habe.

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Tja. “Eine Verfassung ist keine Lebensversicherung!“ das wußte lange vor Thomas Fischer schon Horst Ehmke.



        &



        Was die Mariuana-Entscheidung angeht, kriegt mein sonntäglicher Banknachbar a ☕️☕️ - jedesmal sooon Hals. Weil die Strafgerichte diese Entscheidung schlichtweg ignorieren.



        &



        Sorry. Hier geht’s mir allein darum.



        Die Normalität des Hängebeschluß von Karlsruhe einem bzw zwei scheint’s a weng rechtsblinden etwas zu verklaren.



        & nochens -



        Wenn ich mich mal zur grundsätzlichen Einordnung & Kritik an Karlsruhe bequeme. Sach ich Bescheid. Da mußte mehr als einen 🐘 trans alpina befördern. Always et your servíce - 🤫 -

        unterm—— btw



        Geb ich ehras alles an Hans Kelsen - den spiritus rector of all that shit weiter. Der nicht zufällig mit Conny Adenauer befreundet war.



        de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kelsen



        & zitier nochmals mein Banknachbarn:



        “Ja - dafür beneiden uns die anderen.



        Schau mal - Wer am Conseil d‘eta Was -anhängig machen darf. Na dafür - könntmer deren Untersuchungsrichter ganz prima gebrauchen!“ Wohl wahr!



        Sie sehen: Konsens auf ganzer Linie 🌞

  • Unverständnis schafft erstmal die EU durch ihr Wirrwarr an Aufbau- und Resilienzfaszilität, Just Transition Fund, Brexit Adjustment Reserve, Aufbauinstrument EURI, ReactEU blablabla ... da soll "das Geld" unkoordiniert rausgehauen werden, was das Zeug hält. Nachdenken über Rechtmäßigkeit und Sinn stören da natürlich. Böse deutsche Gerichte.

  • "„Die EU ist vertraglich verpflichtet, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen“, erklärte der Vorsitzende des Bündnisses, Ravel Meeth. Eine Schuldenfinanzierung in dieser Höhe sei „ein krasser Vertragsbruch“"

    @Taz: was sagen denn die Verträge nun? Nur weil es einem nicht gefällt ist es ja ggf. trotzdem richtig

    • @danny schneider:

      Was Artikel 310 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sagt, können Sie hier nachlesen:



      dejure.org/gesetze/AEUV/310.html

      Danach darf die EU sich nicht verschulden.

  • Sie würde die Glaubwürdigkeit der EU ernsthaft gefährden. Von einem „Damoklesschwert des Karlsruher Gerichts“, das über der europäischen Integration hänge, schreibt auch die italienische Zeitung La Stampa.

    Wird die Glaubwürdigkeit der EU nicht viel mehr gefährdet, wenn die Verträge, die damals eine gemeinsame Schuldenhaftung ausdrücklich nicht vorsahen - und unter diesen Bedingungen sind diverse Staaten eingetreten bzw. haben Hoheitsrechte an die EU abgegeben, auf einmal nichts mehr wert sein sollen? Darauf zielt die Klage ab und daher hat sich gar nicht so schlechte Chancen. Es geht hier zunächst mal um Recht, nicht um Politik.

    Und wenn man eine gemeinsame Schuldenhaftung will, soll man die Verträge anpassen und mal sehen, welche Länder das dann ratifizieren, es könnte eng werden.

  • Halte die Entscheidung für korrekt, es liegt an der Politik die Verträge entsprechend zu ändern, dann hat auch Karlsruhe nichts dagegen.

  • > Mit dem Instrument einer gemeinsamen Verschuldung aller EU-Staaten sollte



    > nichts Geringeres als der Neustart der Wirtschaft in der Zeit nach der



    > Pandemie finanziert werden,

    Nein, liebe taz, der Zweck heiligt (wieder einmal) nicht die Mittel. Und wenn ein gefasster Bankräuber erklärt, er hätte mit dem Geld Waisenhäuser fördern wollen, bleibt es trotzdem Raub. Wer das etwas doof findet, sollte spenden oder die Menschen überzeugen und die Gesetze ändern. Aber dieses ständige selbstbesoffene Sich-aus-guten-Gründen-über-die-Regeln-hinwegsetzen nervt einfach nur noch, ob nun links bei Schulverweigerern, Baumhausbesetzern, Flüchtlingsschleusern oder rechts bei VW mit seinen Abgasverstößen und die Raffzähne bei der Maskenbeschaffung. Es mag den Einzelnen noch so toll und nötig erscheinen, aber wer auf Anarchie steht, sollte USA oder China als Domizil in Erwägung ziehen und den Demokraten die Demokratie lassen.

  • Es hat einen bösen Beigeschmack, wenn hier mehrfach "Ex-AfDler" Lucke geschrieben wird. Objektiv wäre es, vom Parteivorsitzenden der LKR Lucke zu sprechen. Ein Verweis auf die AfD-Vergangenheit daneben wäre mE in Ordnung, aber nicht mal nötig.

    • @HerrManni:

      Und man könnte erwähnen, dass Lucke Ökonom ist. Nicht dass das viel heißen muss, aber in diesem Kontext wäre das viel seriöser gewesen.

      Schlechter Artikel, wenig Fakten, viel Meinung.