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Kritik in Polizei an Kassel-Einsatz„Eine bittere Erfahrung“

In Kassel überrannten „Querdenker“ erneut die Polizei. Nun mehren sich auch dort kritische Stimmen – und die Forderung nach mehr Konsequenz.

Hier hält die Polizeikette (vorerst) noch: Corona-Protestierende am Samstag in Kassel Foto: Björn Kietzmann

Kassel/Berlin taz | Armin Bohnert ist noch immer konsterniert. „Ich kann mir diese Bilder weiter nicht erklären“, sagt einer der Vorsitzenden von PolizeiGrün, einem Verein kritischer Polizist:innen. „Dass Marschierende, die nicht marschieren dürfen und die fast kollektiv den Infektionsschutz ignorieren, mit dieser Wucht die Straße freigeräumt bekommen, ist nicht zu verstehen. Und die Querdenker fühlen sich bestätigt, weil der Staat die Regeln nicht durchgesetzt hat.“

Bohnert spricht über den Polizeieinsatz am Samstag in Kassel. Rund 20.000 Corona-Protestierer hatten dort eigenmächtig Demonstrationszüge durchgesetzt, obwohl ihnen Gerichte nur zwei Kundgebungen mit höchstens 6.000 Teil­neh­me­r:in­nen erlaubten. Beamte wurden überrannt, es kam zu Handgemengen. Dennoch kursierte das Foto einer Polizistin, die in Richtung der „Querdenker“ eine Herzgeste formte. Gegendemonstrierende drängte die Polizei derweil rabiat von der Straße, als diese sich an Blockaden mit Fahrrädern versuchten.

Auch am Montag verhallte die Kritik an der Polizei nicht. Die hessische SPD sprach von einem „absolut unverständlichen Zurückweichen des Staates“, die Linke von „unfassbaren Fehleinschätzungen“ der Polizei. Es sei unerklärlich, warum es nicht zu Zufahrtskontrollen und Absperrungen gekommen sei.

Und auch in den Reihen der Polizei wird nun diskutiert: Wie weiter umgehen mit den „Querdenkern“ – die ja nicht zum ersten Mal machten, was sie wollen?

Sympathiegesten „gehen gar nicht“

Auch für PolizeiGrün-Chef Bohnert war das Auftreten der „Querdenker“ absehbar. „Das zeigte sich ja auch schon an anderer Stelle.“ Man hätte daher probieren können, die Anreisenden besser zu steuern und bereits deren Losmarschieren zu verhindern. „Wobei das bei 20.000 Menschen zugegeben wahnsinnig schwierig ist.“ Sympathiegesten für die Protestierer gingen jedenfalls „bei diesem Thema gar nicht“. Und statt Gegendemonstranten wegzuzerren und wegzuschlagen, hätte man hier auf Kommunikation setzen müssen.

Auf dem Blog „Grundgesetz Ultras“ wurde am Montag ein Polizist zitiert, der eine „chaotische“ Einsatzplanung beklagte. Es habe von Beginn an zu wenige Beamte gegeben. Auch sollten er und andere erst einschreiten, als die Lage schon „gekippt“ war. „Schadensbegrenzung war das einzige, was wir noch betreiben konnten.“

Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der größten Polizeivertretung, ist ebenso unzufrieden. „Die Durchsetzung der Versammlungsfreiheit und das Einschreiten zur Einhaltung des Infektionsschutzes müssen von ausreichenden Einsatzkräfte gewährleistet werden“, betont er. Und findet ebenso, dass es Solidarisierungen mit den „Querdenkern“ „für Polizisten nicht geben kann“. „Das ist eine demokratiefeindliche Bewegung.“

Die Polizei sei aber eine „lernende Organisation“, sagt Radek. Und er betont auch, dass die Beamten an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden seien und stets die Folgen einer Versammlungsauflösung prüfen müssten – „auch wenn eine Entscheidung am Ende in der Öffentlichkeit ein problematisches Bild wirft“.

Für Radek bleibt der Kassel-Aufzug „eine erneute, bittere Erfahrung“. „Den Querdenkern geht es nicht um eine demokratische Meinungsäußerung, sondern darum, den Staat zu provozieren. Das Friedliebende ist nur vorgetäuscht.“ Radek sieht nun vor allem die Gerichte in der Verantwortung, die Proteste kritischer zu prüfen. Die Organisatoren hätten „wiederholt Unzuverlässigkeiten offengelegt“, darunter Übergriffe auf Gegendemonstranten und Polizeikräfte. „Die Anmelder wollen nicht deeskalieren und ihnen ist der Infektionsschutz egal. So riskieren sie auch die Gesundheit der Bevölkerung. Das muss Folgen haben.“

Polizei Kassel wehrt sich

Die Polizei Kassel hatte ihren Einsatz damit verteidigt, dass „die Anwendung von Zwangsmitteln zu einer nicht unerheblichen Anzahl Verletzten auf allen Seiten geführt hätte“. Auch seien die meisten Demonstrierenden „augenscheinlich überwiegend aus dem bürgerlichen Lager“ gekommen und hätten „eher keine erkennbare Tendenz zu gewalttätigen Aktionen“ gezeigt. Daher habe man sich, nach intensiven Beratungen, gegen eine Auflösung entschieden. Ein Polizeisprecher hatte dagegen eingeräumt, dass man mit einer derart hohen Zahl an Demonstrierenden nicht gerechnet hatte.

Diese Zahl konnte indes nur wenig überraschen. Denn die „Querdenker“-Szene hatte auch nach dem Demonstrationsverbot weiter nach Kassel mobilisiert. Zudem hatte sich die Protestierer zuvor bereits in Berlin, Leipzig und erst vor einer Woche in Dresden über Verbote hinweggesetzt und Polizeikräfte überrannt. In Berlin hatte die Polizei darauf ihre Strategie geändert und bei einem Corona-Protest im November 2020 vorm Bundestag einen nicht genehmigten Aufzug mit Wasserwerfern aufgelöst.

Kassels Bürgermeister Christian Geselle (SPD) nahm die Polizei dennoch in Schutz: Dieser sei „kein Vorwurf zu machen“. Die Deeskalationsstrategie sei aufgrund der zahlenmäßigen Unterlegenheit der Beamten und der unabsehbaren Folgen eines Einschreitens richtig gewesen. Es hätten sich ja auch ältere Menschen und Kinder unter den Demonstrierenden befunden. Den Protest selbst bezeichnet Geselle aber als unverantwortlich in Pandemiezeiten: Er sei „ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die Leid und Entbehrungen in der Krise ertragen mussten“.

Thema für Innenausschuss

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) kündigte derweil eine Nachbereitung des Polizeieinsatzes an. Am Donnerstag will sich damit auch der hessische Innenausschuss befassen. Der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) kündigte ebenfalls eine Untersuchung an, nachdem vor allem Einsatzkräfte aus seinem Land mit aggressivem Aktionen auffielen.

Für PolizeiGrün-Chef Armin Bohnert ist jetzt schon klar: „Wir müssen endlich ernst nehmen, dass die Querdenken-Demonstranten nicht nur bürgerlich und harmlos sind, sondern rabiat ihr Ding durchziehen. Dass sie mit dem Ignorieren des Infektionsschutzes ein Risiko für die Gesellschaft darstellen.“ Daher brauche es in den Polizeieinsätzen mehr Konsequenz: „Der Staat und die Polizei müssen klar zeigen, wo es Grenzen gibt. Und wenn es ein Versammlungsverbot gibt, muss das auch konsequent durchgesetzt werden.“

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8 Kommentare

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  • @NZULI SANA

    Danke für die Links!

  • Sie sehen hier die Studie über den Faktor Corona-Leugner /Realitätsverweigerer auf die Verbreitung der potentiell tödlichen Krankheit und die Verlängerung des Lockdowns:



    t.co/lpdfhHRb8G?amp=1



    Die Studie des Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim vergleicht die Wirkung der Rückkehr von zwei großen Demos im November und Dezember auf Kleinstädte. www.volksverpetzer...denker-angesteckt/



    Wie eine Sabotagebewegung wird dazu vor Impfungen und Coronatests gewarnt.

  • "Es hätten sich ja auch ältere Menschen und Kinder unter den Demonstrierenden befunden"

    Es wäre schön, hielte sich die Polizei auch sonstwo daran.

    Stuttgart 21?

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    "Auch seien die meisten Demonstrierenden „augenscheinlich überwiegend aus dem bürgerlichen Lager“ gekommen und hätten „eher keine erkennbare Tendenz zu gewalttätigen Aktionen“ gezeigt. "



    So ein Satz muß dir auch erst mal einfallen, wenn grad deine Polizei von 20.000 Irren überrannt worden ist.



    Ja, die waren nicht vermummt.



    Ja, die hatten aber auch keine Masken auf und hielten sich auch sonst an keine Regel.



    Ja, aber in Kassel war's halt das erste mal. Wer rechnet denn mit sowas - aus dem bürgerlichen Lager?

  • Nachtrag: merkwürdig, dass Poilzeieinsätze gegen zehnttausende bei Risiko-Fussballspielen mit Einsatzkräften, die aus ganz Deutschland zusammengezogen werden, bestens funktionieren.

    Das ganze ist innenpilitisch kein gutes Zeichen.



    "das ist nur die Polizei, die machen nix" ist nichts, was ich meinem Sohn beibringen möchte.



    "Sei nett zum Polizist, dann bleibt er nett zu dir. Bist du nicht nett, trägst du die Konsequenzen" möge bitte auch weiterhin gelten. Sonst muss man sich nicht wundern, das "Volk" die Exekutive selbst in Hand nimmt.

  • Ich kann mir das aktuelle Nicht-Vorgehen der Polizei gegen die Querdenker nicht erklären. Ich komme aus einer Polizistenfamilie und habe solche Inkonsequenz nie kennengelernt.



    Gerade in Deutschland wird aktuell gegen jeden Falschparker konsequenter vorgegangen.



    Das muss aufhören.



    Widerstand gegen die Staatsgewalt bei unverblümtem Bruch mit geltendem Recht umd jedem gesunden Menschenverstand ist für mich nicht akzeptabel.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    die staatsfeinde werden durch die polizei nicht als solche behandelt.



    eine derartige verachtung des bestehenden gesellschaftssystemes gab es nach 1945 bisher nicht. die politischen auseinandersetzungen in der vergangenheit wurden im kern immer geführt, um ein besseres system zu erreichen.



    auch hier wurde der demokratische hintergrund und wert der gegendemonstration verkannt.

  • Die Polizei sei eine "lernende" Organisatio aka das "Internet ist Neuland für uns"?



    LoL dümmer kann eine Relativierung der Ereignisse nicht sein!