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Nordhessen stimmen gegen VorhabenLogistikzentrum abgewählt

Eine eigens gegründete Gruppierung ist bei den Kommunalwahlen überraschend Sieger geworden. Das umstrittene Riesenprojekt soll kippen.

So heimelig sieht es in Logistikzentren aus – hier bei Amazon in NRW Foto: dpa

Göttingen taz | Überraschung an der Urne: Bei der Kommunalwahl am vorletzten Sonntag hat eine Mehrheit im nordhessischen Neu-Eichenberg dem dort geplanten Logistikgebiet eine Absage erteilt. Die von Gegnern des Vorhabens gegründete und erstmals kandidierende Wählergruppe „Miteinander für Neu-Eichenberg“ (MfNEB) erreichte mit knapp 36 Prozent die mit Abstand meisten Stimmen. Zusammen mit Grünen (16 Prozent) und Linken (5 Prozent) gibt es nun eine Mehrheit von 8 zu 7 Sitzen im Neu-Eichenberger Gemeinderat gegen das Logistikgebiet. CDU und SPD, die sich für die Ansiedlung von Logistikfirmen ausgesprochen hatten, verloren bei der Wahl 20 bzw. 17 Prozent ihrer bisherigen Wählerstimmen.

„Das ist der Hammer“, sagte der MfNEB-Vorsitzende Michael Link. „Wir haben uns viel zugetraut, aber das ist krass“. Das Ergebnis sei aber auch eine Bürde. Die Wähler hätten Erwartungen in MfNEB gesetzt, „die müssen wir jetzt erfüllen“.

SPD-Spitzenmann und Bürgermeister Jens Wilhelm (SPD) erklärte, es habe sich abgezeichnet, dass die Wahl eine Abstimmung über das Sondergebiet Logistik werde. „Das spiegelt sich im Ergebnis wieder.“ „Es ist kein schönes Ergebnis und ein Stück weit eine Quittung“, räumte CDU-Spitzenkandidat Michael Rost ein.

Ursprünglich sollte auf einem Neu-Eichenberger Acker ein 80 Hektar großes Logistikzentrum entstehen. Die dafür geplante Fläche entspricht rund 100 Fußballfeldern, die der Investor, die Dietz AG aus Südhessen, mit 16 Meter hohen Hallen für Onlinefirmen und Paketzusteller bebauen wollte.

Kleines Protestdorf errichtet

Das Logistikzentrum würde wertvollen und allerbesten Ackerboden versiegeln, argumentierten hingegen die „Bürgerinitiative für ein lebenswertes Neu-Eichenberg“ sowie junge Aktivisten, die den Acker vor knapp zwei Jahren besetzten und dort ein kleines Protestdorf errichtet haben. Sie warnten auch vor drastisch zunehmendem Verkehr: Hunderte, wenn nicht tausende Lastwagen würden dann täglich auf dem Gemeindegebiet be- und entladen.

Der Protest hatte Erfolg: Die Dietz AG verabschiedete sich als Investor. Der Gemeinderat beschloss ein halbjähriges Moratorium, die SPD brachte ein deutlich abgespecktes Gewerbegebiet ins Gespräch. Die Stimmung im Ort schwenkte mehr und mehr um, doch dass die Gegner des Logistikzentrums in der Mehrheit sind, zeigte sich erst bei der Wahl.

Die Gewinner von MfNEB haben nun angekündigt, das Projekt endgültig zu begraben. Der Acker gehört zwar dem Land Hessen, das zudem bereits 1,6 Millionen Euro in die Planung investiert hat. Entscheiden muss aber letztlich die Gemeinde.

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8 Kommentare

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  • Eher selten, dass für ein Logistikzentrum "allerbester und wertvoller Ackerboden" vernichtet werden sollte. Meistens werden dafür Standorte ausgeguckt, die sich weder land- noch forstwirtschaftlich nennenswert nutzen lassen. Das sind dann üblicherweise Flächen, die für den Naturschutz wichtige Rollen spiel(t)en wie Feuchtgebiete, Magerrasen/Heide usw.



    Es spielen allerdings oft örtliche Grundstücksbesitzer bzw. Makler für Gewerbeflächen und deren Kungelcliquen entscheidende Rollen.

    Da wird dann z.B. ein schlecht erschlossenes riesiges Grundstück zwischen Mönchengladbach und der rheinischen Braunkohlegrube, auf dem seit Jahrzehnten die Verkaufsschilder des Maklers vor sich hin gammeln, an Amazon quasi verschenkt und die öffentliche Hand darf daraufhin gigantische Investitionen in den Straßenbau tätigen, damit der LKW-Verkehr halbwegs Anwohnerverträglich geleitet wird. Da ist nichts von "zentraler Lage in der Mitte Deutschlands", außerdem steht nur wenige Kilometer weiter, andere Gemeinde, andere Makler, andere Kungelcliquen, ein riesiges Logistikzentrum leer, weil der damalige Bauherr kurz vor der Eröffnung pleite ging.

    Dieses exemplarische Beispiel nur dafür, damit niemand denkt, es gäbe höhere und womögliche gemeinnützige Überlegungen für diese Logistikzentren. Nein, es geht nur darum, schnelle Gewinne zu realisieren. Von den Arbeitsplätzen her sind Logistikzentren inzwischen weitgehend uninteressant, denn sie haben einen hohen Automatisierungsgrad und offerieren nur recht wenig und dazu weitgehend schlecht bezahlte Jobs. Bestenfalls mit Planung, Erschließung und Bau wird nennenswert Geld verdient.

  • Wahlen können was verändern !!!

    Denkt besonders im September daran!

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Dass sich Logistikfirmen in der geografischen Mitte eines Landes ansiedeln wollen, ist aus Kostengründen (Transport) nachvollziehbar. Wenn man natürlich den Klimawandel noch mehr anheizen will, dann baut man solche Zentren in die geografische Peripherie, um möglichst viele LKW Kilometer zu produzieren.

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Da geht's auch nicht um Klimaschutz, da geht's um not in my backyard. Mehr Kapazitäten für den Online-Handel bedeuten letztlich weniger Flächenverbrauch, weil der beim stationären Einzelhandel viel größer ist.

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Und wenn man Neu-Eichenberg aufheizen will, versiegelt man 80ha Acker mit Blech, Beton und Asphalt.



      Das Gros der Logistik-Nutzer wohnt in den Städten und deren Peripherie, aber die ländlichen Regionen, die ohnehin schon an Attraktivität verloren haben, kann man ja immer noch zum Abstellen von Müll und Industriebauten "nutzen" - oder wie?



      Ich meine, die Problematik ist doch etwas komplexer.

      • 0G
        05838 (Profil gelöscht)
        @Christian Lange:

        "Das Gros der Logistik-Nutzer wohnt in den Städten und deren Peripherie, aber die ländlichen Regionen, die ohnehin schon an Attraktivität verloren haben, kann man ja immer noch zum Abstellen von Müll und Industriebauten "nutzen" - oder wie?"

        Für die Transportproblematik ist nicht entscheidend, wo der Wasserkopf der Unternehmen sein Büro hat. die Nutzer sitzen in ganz Deutschland. Aber die Umschlagplätze sind nicht vor deren Haustür.

        Schauen Sie sich im regionalen Umfeld von Bad Hersfeld einmal um, wer da so alles Umschlagplätze hat.

        Bad Hersfeld ist die Mitte Deutschlands.

  • RS
    Ria Sauter

    Gelebte Demokratie👍

    • @Ria Sauter:

      Es zeigt wer für Raumplanung zuständig und verantwortlich ist. Es sind nicht Firmen.