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Die GroKo und die DigitalisierungMinisterium für Flugtaxis

Essay von Svenja Bergt

Man hört das Desinteresse und die Ideenlosigkeit heraus, wenn die GroKo über Technik spricht. Für den digitalen Impfpass verheißt das nichts Gutes.

Illustration: Katja Gendikova

A ls Kanzleramtsminister Helge Braun, seines Zeichens Digitalstratege der Bundesregierung und übrigens auch Arzt, kürzlich bei „Anne Will“ zu Gast war, offenbarte er für einen kurzen Moment den vollen Charme eines Menschen, der mit dem Rücken zur Wand steht. Es ging um die Corona-Warn-App der Bundesregierung, die nicht ganz schlecht ist, aber eben auch nicht ganz gut und ganz sicher an vielen Stellen verbesserungswürdig. Dummerweise wurde Braun in diesem Moment auf die Schwächen der App hingewiesen und gab daraufhin, offensichtlich eingeschnappt, zurück: „Warum muss der Staat alles anbieten?“

Man hätte es ihm in dem Moment nicht verdenken können, hätte er zeitgleich mit dem Fuß aufgestampft. Denn natürlich hat er recht: Der Staat muss nicht alles anbieten. Flugtaxis zum Beispiel. Muss sich der Staat nun wirklich nicht drum kümmern. Werden vom Verkehrsministerium trotzdem mit einem Förderprogramm von mehr als 15 Millionen Euro unterstützt.

Der Satz von Helge Braun offenbart eine zentrale Problematik, die der Technologiedebatte in der bundesdeutschen Politik, allen voran bei Union und SPD, innewohnt: eine weitverbreitete Haltung, die aus einer Kombination aus Ideenlosigkeit und Desinteresse besteht. Nicht ein Desinteresse, das dazu führt, das Thema ganz links liegen zu lassen, das nicht, dazu ist es einfach zu präsent. Die Zeiten, in denen sich auch die eine oder der andere Bun­des­po­li­ti­ke­r:in unsicher war, was eigentlich ein Browser ist, sind ja wohl hoffentlich vorbei. Aber es gibt ein Desinteresse, das verhindert, Technologie, ihren Einsatz, die Möglichkeiten, die Folgen wirklich ernst zu nehmen und im Detail zu durchdenken.

Das zeigt sich in vielen Bereichen: in der merkwürdig inkonkreten Debatte über den Einsatz von künstlicher Intelligenz beispielsweise. Auch bei selbstfahrenden Autos, die eher als eine Art Science-Fiction-Adaption dargestellt werden, ohne konkretes Konzept dafür, wie ihre Nutzung etwas Gutes schaffen könnte. Wenn Technologie ein Thema ist, dann am liebsten in Kombination mit Überwachung. Die Faustregel: Wenn die Regierungskoalition über Technik spricht, kommen Flugtaxis heraus und Vorratsdatenspeicherung. Oder eben die Corona-Warn-App, der das Wort „vergurkte“ mittlerweile so oft vorangestellt wurde, dass man meinen könnte, es handle sich um die offizielle Beschreibung.

An der Corona-App ist gar nicht alles falsch

Dabei ist an dieser App gar nicht alles falsch. Einiges ist gut, zum Beispiel die datensparsame Architektur. Oder dass sie in einem erstaunlich offenen Prozess als Open-Source-Anwendung programmiert wurde, was möglich gemacht hat, dass es mittlerweile einen Fork gibt, also eine Abspaltung anderer Ent­wick­le­r:in­nen mit anderen Features. Anderes ist dagegen schlecht gelaufen. So hatte die Bundesregierung erst auf ein weniger datensparsames Modell gesetzt, der Schwenk zu einem besseren Modell kostete Zeit, und die Entwicklungskosten sind exorbitant.

Aber das zentrale Problem ist: Die App ist nicht ganzheitlich gedacht. Rund um die App fehlt es – abgesehen von eigens eingerichteten Hotlines – an allem. An einer zuverlässigen und flächendeckenden Anbindung sämtlicher relevanten Akteure, Arztpraxen, Gesundheitsämter und Labore. Es gibt nicht einmal ein verlässliches Konzept dafür, was Menschen tun sollen, deren App auf einmal eine rote Warnung ausspuckt. Zwar können Ärz­t:in­nen auch dann einen PCR-Test abrechnen. Jedoch berichten Patient:innen, die eine Warnung erhalten haben, aber keine Symptome zeigen, immer wieder von Schwierigkeiten, einen Test zu bekommen.

Zudem sind die Weiterentwicklungen sehr überschaubar, eine seit Monaten vorgeschlagene datenschutzfreundliche Cluster-Erkennung ist nicht absehbar. Stattdessen gibt es schon Kommunen, die die private App Luca, die weder Open Source ist noch mit Transparenz glänzt, einbinden und damit de facto zum Standard für Nut­ze­r:in­nen machen.

Die Corona-App steht damit symptomatisch für die Folge der eingangs beschriebenen desinteressiert-ideenlosen Haltung: Technologien werden fast immer isoliert betrachtet, losgelöst vom Ökosystem, in dem sie sich befinden oder befinden werden. Noch einmal zum Beispiel autonomes Fahren. In der Debatte über die Gesetze, die dazu schon beschlossen wurden und noch beschlossen werden sollen, geht es viel um herausragende Schnelligkeit bei der Entwicklung und Zulassung, um den Wirtschaftsstandort Deutschland, um Shuttleverkehr, vielleicht auch noch mal um die Reduktion von Unfällen. Aber wenig um folgende Fragen: Was heißt das denn für andere Verkehrsteilnehmer:innen? Für die Stadtentwicklung? Für uns als Gesellschaft? Welche Ziele wollen wir erreichen, und wie können wir diese Technologie dafür nutzen?

Pandemie als Brennglas

Wer Technologien nur als kontextlose Inselphänomene betrachtet, verkennt ihre Bedeutung für die Gesellschaft und macht sie zum Selbstzweck. Und nimmt sich gleichzeitig die Chance, sie in positive Bahnen zu lenken. Wer zu spät kommt, kann nur noch regulieren, nicht mehr gestalten.

Die Pandemie wirkt hier, wie auch bei zahlreichen anderen Problemen, als Brennglas. Denn einerseits hat sie zu einem Digitalisierungsschub geführt, der praktisch sämtliche Lebensbereiche erfasst. Digitaler Unterricht und Arbeiten im Homeoffice sind wahrscheinlich die sichtbarsten Beispiele, aber auch: digitale Ausstellungen, virtuelle Konferenzen, gestreamte Clubnächte, Opern und Kindertheatervorstellungen. Menschen, die Weihnachten und Silvester per Videokonferenz zusammen feiern.

Patienten, die ihre Ärztinnen über Videosprechstunde treffen. Kleine Läden, die mangels Onlineshop eine Videoberatung per Smartphone anbieten samt anschließender Lieferung des Gekauften. Vieles davon ist aus der Not entstanden, nicht alles passt für alle, und nicht alles wird bleiben oder in dem Maße weiter genutzt werden, wenn eine ausreichende Menge an Geimpften unterwegs ist. Aber ein Teil schon.

Gleichzeitig war – Stand Jahreswechsel 2020/21, also knapp ein Jahr nach Beginn der Pandemie in Deutschland – bei rund zwei Dritteln der Gesundheitsämter noch nicht die Open-Source-Software im Einsatz, die sich auch bei der Kontaktverfolgung im Kampf gegen Ebola bewährt hat. Stattdessen gab es Excel-Tabellen oder eigene Softwarelösungen. Mit der Konsequenz, dass die Kommunikation zwischen den Ämtern länger dauert und sich die Kontaktverfolgung verzögert. Auch hier zeigt sich der Mangel an ganzheitlichem Denken.

Wäre der digitale Impfpass fälschungssicher?

Für den digitalen Impfpass, dessen rechtlichen Rahmen die EU-Kommission kommende Woche vorstellen will und den die Bundeskanzlerin vorantreibt, verheißt dieser Befund nichts Gutes. Denn auch hier kommt die vermeintliche Lösung vor der Problemanalyse. Es ist sinnvoll, über eine Entwicklung frühzeitig nachzudenken und nicht erst dann, wenn man festlegt, dass es unterschiedliche Regeln für immune und nicht immune Personen geben wird.

Nehmen wir also an, die Idee eines digitalen Impfpasses erweist sich als sinnvoll, weil das Papierdokument nicht in ausreichendem Maße fälschungssicher gemacht werden kann und es daher zu Betrügereien kommen kann, die zu neuen Virusherden führen. Aber auch dann stellen sich einige Fragen, etwa: Was heißt so eine Entwicklung für die Anonymität im halb öffentlichen Raum, etwa im Restaurant oder beim Friseur?

Diese Einrichtungen werden für die Überprüfung des Impfstatus auch einen Identitätsnachweis brauchen. Sonst ließen sich die Impfnachweise einfach weitergeben. Kommt es durch neue Ausweispflichten dazu, dass Menschen auf diese Angebote verzichten? Solche chilling effects gibt es bereits in anderen Bereichen. Müssen wir diese in Kauf nehmen, um die Pandemie zu kontrollieren? Und, unabhängig davon: Was ist mit Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen oder weil für sie noch kein Impfstoff zugelassen wurde, nicht geimpft werden können?

In wessen Hände kann die Entwicklung einer solchen Technologie für Gesundheitsdaten überhaupt gelegt werden? Ist es vielleicht geradezu geboten, dass Europa einen eigenen digitalen Impfpass entwickelt, weil Nut­ze­r:in­nen sonst das Angebot von Microsoft, Oracle und Co. nutzen werden oder eines der großen Fluglinien, die ebenfalls Interesse am Einsatz eines derartigen Produkts haben? Es muss dabei keineswegs sofort eine Antwort auf diese und die zahlreichen weiteren offenen Fragen geben. Aber abzuwarten führt nicht zu den besten Ergebnissen. Sondern zu einer Stolperaktion à la Corona-App.

Hin zur digitalen Souveränität

Die gute Nachricht ist: Ein ganzheitliches Technologieverständnis ist möglich. Ein machbarer Ansatz dazu wäre das Konzept der digitalen Souveränität. Damit ist weniger die beliebte Politike­r:in­nen-Forderung gemeint, dass das nächste Google bitte schön aus Deutschland, zumindest aber aus Europa stammen solle. Auch nicht ein nationalistisches oder protektionistisches Verständnis von Technologie.

Vielmehr könnte Souveränität hier eine Art von Grundversorgung meinen, für die sich der Staat verantwortlich fühlen sollte und die eben spätestens im 21. Jahrhundert neben der analogen Infrastruktur auch eine digitale umfasst. Mit dem tückischen Unterschied, dass diese um einiges komplexer ist, was auch die Diskussion darüber komplexer macht, was nun Grundversorgung sein müsste und was nicht.

Bleiben wir daher beim Beispiel Pandemie. Für diese Situation bedeutet digitale Souveränität einen Staat, der sich nicht nur um Impfstoff und Masken kümmert, sondern unter anderem auch darum, dass die digitale Anbindung der Gesundheitsämter und Labore funktioniert und dass die Kontaktnachverfolgung schnell und zuverlässig klappt. Dafür sind auch digitale Hilfsmittel wie Apps und andere Software sinnvoll.

Genauso ist es aber Teil einer Grundversorgung, dass digitaler Unterricht an Schulen stattfinden kann. Und zwar nicht, indem der Staat Microsoft-Produkte einkauft, die nicht im Ansatz die Persönlichkeitsrechte der Nut­ze­r:in­nen respektieren. Sondern indem er dafür sorgt, dass es die Privatsphäre sichernde, barrierefreie, inklusive und bedienbare Tools gibt, die den Bedürfnissen der Nutzenden gerecht werden. Diese muss er nicht selbst entwickeln, aber er muss eben dafür sorgen, und dafür gibt es ja Möglichkeiten. Notfalls hilft dabei sicher gern das Ministerium für Flugtaxis.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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4 Kommentare

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  • "Rund um die App fehlt es ... an allem".



    Vor allem fehlt es _unter_ der App an allem. Nämlich an einem Betriebssystem, das dir nicht deine Unterhosen ausschnüffelt und an Google & Co. weitermeldet.



    Hier, bei dem schleichenden gesellschaftlichen Schnüffelfon-Zwang, sehe ich die Gefahr für meine Grundrechte. Nicht bei letztlich temporären Einschränkungen wie Partyverbot, Reisebeschränkungen, Ausgangssperren etc.

  • Auch wenn's schlecht für die Umwelt ist: Diesen Kommentar möchte man ausdrucken und die Wahlkreisabgeordneten schicken.

  • Da sage ich nur: "fünf Blockchains".

    Vier davon sind eh Unsinn, die andere ist in dem Fall gar keine bzw. wird nicht gebraucht. Aber das "Ministerium für Flugtaxis" (schön!) hatte da mal was gefördert, glaube ich. Weil: Der nächste Bitcoin muss deutsch sein, oder so.... -- D'oh.

    Lesetipp (erschöpfend, recht technisch): medium.com/t14g/we...sweis-e8fad1dc1535

    Hörtipp (viel lustiger): logbuch-netzpoliti...fuempf-blockchains

  • Volltreffer. Was mir noch fehlt: Wissen, wissen, wissen. Schulen sollen vermitteln, dass Anwender*innen nicht nur Consumer sind, sondern aufgerufen sind, mitzugestalten.

    Dazu eignet sich freie Software geradezu ideal!