Zur Erinnerung an Françoise Cactus: Destroy la Mort!
Sie starb viel zu früh. Stimmen von Freund*innen, Kolleg*innen, Weggefährt*innen und taz-Kolleg*innen zum Tod von Françoise Cactus.
Liebe Françoise,
als Du 2001 mit dem isländischen Botschafter Ingimundur Sigfússon, deinem Freund Brezel und Kristján in Ollis Frisörladen Beige in Berlin „Liebe zu dritt“ sangst – in isländischer Übersetzung –, war allen klar, dass das nur ein Anfang sein kann. Im Jahr darauf fuhren wir gemeinsam zum Gay Pride nach Island, wo Du den Song vor über sechzigtausend Menschen gesungen hast: „Ad elskast med tveim!“
Du hast viele wunderschöne Popsongs komponiert und gesungen, mit Brezel die Balzrufe des ausgestorbenen nordamerikanischen Präriehuhns rekonstruiert, eine Autobigofonie verfasst, Radiosendungen gestaltet und eine lebensgroße Häkelpuppe, nämlich Wollita, zum Singen animiert: „Ichbla willbla dasbla“. Ich bin sicher, dass nicht nur die Menschen, sondern auch die Engel, Elfen, Zwerge und Feen Dich sehr lieben. Sie werden bezaubernde Lieder mit Dir komponieren und uns mit nie gehörten Gesängen erfreuen.
Ich küsse Dich. Wolfgang.
Wolfgang Müller, Künstler/Die Tödliche Doris
Ihr Lachen ein Beben
Im Sommer 1990 wechselte ich von der taz Ost in der Oberwasserstraße zur taz West in der damaligen Kochstraße. Françoise arbeitete wie ich im Layout. Sie betreute fast ausschließlich die Kulturseiten, die zu dieser Zeit noch Zeile um Zeile geklebt wurden. Sie sah immer super aus und hatte coole Klamotten an. Aber besonders mochte ich ihren unwiderstehlichen französischen Akzent. „Bon alors …“, fing sie die meisten Aktionen an. Und dann ihr Lachen – das brach immer wie ein Beben aus ihr heraus. Unvergesslich auch ihre musikalischen Auftritte zu den taz-Feiern, mit ihrem Mann Brezel Göring.
Das letzte Mal trafen wir uns im Monarch in Kreuzberg. Es gab eine szenische Lesung mit Tim Mohr und seinem Buch „Stirb nicht im Warteraum der Zukunft“ über ostdeutsche Punks und die Entstehung der Klubszene des modernen Berlin nach dem Fall der Mauer. Wir saßen an der Bar, und sie erzählte mir von ihrer neuen Sendung bei Radio Eins, wo sie ihre Lieblingsplatten vorspielte und ein paar Anekdoten über die Künstler und deren Songs erzählte. Für ihre Sendung nächste Woche hatte sie schon fast alle Titel ausgewählt, die nun Brezel für sie auflegen wird. Adieu, Françoise … Wir sehen uns.
Karoline Bofinger, taz Layout
Mitreißender Zauber
Meine erste Begegnung mit Françoise Cactus: ein besetztes Haus in der Potsdamer Straße, Berlin-West, kurz vor Silvester 1984/85. Das Publikum: Punker. Die Hauptband: Die Toten Hosen. Davor: die Lolitas. Sie am Schlagzeug. Heiter und unbeirrt den Anfeindungen des Publikums trotzend, singt sie zu ihren leicht verschleppten Beats: „Touche moi“ und „Je suis la fianceé du pirat“.
Ich wollte sie unbedingt kennenlernen. In ihrer Anwesenheit spürte ich später immer einen mitreißenden Zauber, als ob die Freiheitsversprechen der Songs und Filme ihrer Jugend für immer Gültigkeit hätten und lebbar wären. Zu hören zum Beispiel bei den Stereo-Total-Songs „Für immer 16“ oder „Liebe zu dritt“. Françoise war sehr, sehr einzigartig. Ihr Tod ist schmerzhaft und eine große Scheiße.
Ted Gaier, Die Goldenen Zitronen
Ihr entging nichts
Françoise war für uns immer ein Teil von Berlin. Irgendwie eckig, aber irgendwie leichtgängig. Laut und gleichzeitig sanftmütig. Einfach gut, zu wissen, dass sie irgendwo in der Stadt ist und man sie vielleicht live erleben könnte. Françoise und Brezel haben es mit Stereo Total geschafft, ein Verlangen nach ihrer Großzügigkeit, Wildheit und Einzigartigkeit zu erzeugen, an der man gerne teilhaben wollte. Ich habe sie mir zu meiner Anfangszeit in Berlin Mitte der neunziger Jahre als meine Mentorin gewählt, bzw. eigentlich hatte Brezel einen neuen Keyboarder gesucht und mich Françoise zur Begutachtung vorgestellt.
Von da an hatte ich einen wilden und unvergesslichen Ritt durch das Weltgeschehen, bei dem ich mich ausprobieren und Françoise’ Souveränität in allen Lebenslagen studieren konnte. Nichts entging ihrer scharfen Beobachtungsgabe: Wenn man mal zu großspurig wurde, hat man schnell eins mit den Schlagzeugstöcken auf die Finger bekommen, begleitet von ihrer mitreißenden Lache.
San Reimo, Jeans Team
Von aller Scham befreit
Was für ein einzigartiges Role Model! Die Frau in der Musik stört immer: Sie ist eine liebeskranke Stenotypistin, eine Femme fatale am Schlagzeug, eine Hure in der Küche und eine Köchin im Bett. Sie macht Amour zu dritt, und sie tanzt im Viereck. Wie wir sie alle bewundert haben seit den 80ern. Niemand wird uns jemals wieder so schön in einem Popsong von aller Scham befreien: Ich bin nackt, na und? Merci, Françoise, für deine Unverfrorenheit, deine Coolness, dein Lachen und deine Musik.
Bernadette La Hengst, Musikerin
Wollknäuel und Superstar
Nicht nur Françoise Cactus ist im Laufe ihrer Karriere zum Superstar geworden, sondern auch „Wollita“, das von ihr für die Ausstellung „When Love Turns to Poison“ (2004 im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien) geschaffene Kunstwerk. Bild-Zeitung, B.Z. und Morgenpost hatten vier Wochen lang alles darangesetzt, die Wollpuppe von Françoise auf ihren Titelseiten zu platzieren und als „nackte Puppe“ mit gespreizten Beinen“ zu diffamieren. Sie wurde trotzdem zum Symbol für die Ausstellung, der irrsinnigerweise vorgeworfen worden war, Kinderpornografie zu verharmlosen.
Dank der Unterstützung von Wolfgang Müller und der Beharrlichkeit von Françoise und weiteren Künstler*innen konnte der Versuch der Skandalisierung durch die Berliner Tabloids abgewendet werden. Wollita konnte von da an ihre Karriere fortsetzen: Auftritt beim taz-Fest 2004 im Tempodrom als Vorband von Fehlfarben, natürlich in Begleitung von Françoise und Brezel – Wollita war ja erst 18.
Françoise hatte Wollita als lebensgroße Figur in Topflappenmanier nach dem Vorbild der gewerblichen Sexanzeige geschaffen: „geile Wollmaus (18) sucht …“ Aber die Diffamierungen von Bild und B.Z. und Morgenpost konnten Wollita nicht aufhalten. Sie wurde zur Überbringerin des Wollita-Kunstpreises – als Gegenpol zum B.Z.-Kulturpreis, der zuvor für die selbst von mehreren Unterzeichneten gefordert worden war! Genau wie Françoise blieb Wollita jedoch trotz Ruhm und Bekanntheit immer bescheiden und nahbar.
Wollita verliert nun mit dem Tod von Françoise ihre Begleiterin und ihre Beschützerin. Ich konnte Wollita in den jetzt so schweren Stunden der Trauer nicht erreichen und bin selbst tief bestürzt und traurig. Non, non, non! Cette mort devrait être interdite!
Stéphane Bauer, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Ein Platz für Françoise!
Françoise war schon seit den Lolitas, aber eben auch im Tandem mit Brezel die tollste, originellste, anarchistischste, konsequenteste, freigeistigste und klügste Musikerin, die Berlin hatte. Der Verlust für diese Stadt ist überhaupt nicht in Worte zu fassen. Wenn wir jetzt noch Autorin, Künstlerin, Radiomoderatorin etc. dazu nehmen, dann wird trotzdem nur andeutungsweise deutlich, wie TRAURIG ihr viel zu früher Tod wirklich ist. In ehrenvollem Gedenken an sie möge bitte jetzt subito eine wichtige Straße oder ein wichtiger Platz in 36 ganz schnell zum Françoise-Cactus-Platz umbenannt werden. Das wäre ja wohl das Mindeste!
Christof Ellinghaus, City Slang
„Es ist nicht leicht“
So fängt Françoise zu singen an, das erste Lied auf der LP „Ah! Quel Cinema!“. Und beim Hören erinnere ich mich an eine besondere von vielen schönen Nächten mit ihr. Es war im Madonna, Wiener Straße. Der Laden rappelvoll, verraucht und lärmig, viele Freunde von uns waren da. Doch wir, Françoise, Sabina, Yves und ich, saßen die ganze Nacht an einem Tisch, wir lachten schallend, tranken und lachten, tranken, lachten, tranken, lachten. Dein Lachen bleibt in meinem Ohr. Merci, chère Françoise, für dein Lachen! Und jetzt?
„Keine Musik, keine Musik mehr“. Wie gut, dass wir deine Musik, dein Schlagzeug, deine Stimme, deine Texte, deinen Akzent immer wieder hören können. So genial, du und Brezel, eure Musik, ihr gemeinsam! Und jetzt? So traurig!
Wie geht es dir jetzt – hoffentlich – „Forever happy“.
Käthe Kruse, Künstlerin/Die tödliche Doris
Dein Trommeln allein
Das ist nicht auszuhalten, Françoise, eine ganze Welt wärmster Überlegenheit geht mit dir verloren. Dein Trommeln allein hätte gereicht. Musik kann alles, sagt John Cage. Dich wahrzunehmen mit deiner husarisch lächelnden Haltung, quer durch einen ganzen Raum voller Krach und anderem Nebel, durchdringend und zutiefst umarmend.
Für unsere Band warst du von unschätzbarer Bedeutung. Als Gesangspartnerin, als Tourbus-Mitreisende (mit eigener Wäscheleine), als Kreuzberger Wohnungszentrum (wie es nur solche Kreuzberger Wohnungen geben sollte), als wundervolle Frau und gemeinsam mit Moe Tucker als eine der klügsten, inspirierendsten Schlagzeugspieler-Performerinnen der Welt.
Schorsch Kamerun, Die Goldenen Zitronen
Pop ohne Maske
Man muss ja gar nicht groß betonen, dass Françoise ein Role Model war. Ihre Präsenz hatte mehr Wucht und vor allem Glamour, als jeder Diskurs über Rollen haben könnte. Ich lasse das hier einfach mal außen vor. Schon die Lolitas haben Pop gleichzeitig geliebt und demaskiert. Wenn Pop lächerlich ist, dann sind wir es auch, schienen sie und später noch mehr Stereo Total zu sagen.
Für mich waren sie immer der erfrischende und teilweise lebensrettende Gegenentwurf zu einem von Wichtigtuerei und wagnerianischer Tiefe geprägten Kulturbetrieb oder den „The Smith“-Fans in meiner Umgebung. Dass sich hinter einem Projekt wie Stereo Total auch noch die nettesten Menschen verbergen, die man sich vorstellen kann, hätte man sich sowieso immer schon denken können. Ich freue mich, Françoise und Brezel noch mal zusammen erlebt zu haben, vor zwei Jahren in Düsseldorf, und ich erinnere mich, dass ich während des Konzerts schon dachte, wie beschissen es ist, dass alles ein Ende haben muss.
Frank Spilker, Musiker/Die Sterne
„Destroy la Mort!“
Persönlich gesehen und erlebt habe ich Françoise Cactus zum ersten Mal im Kölner Luxor (vielleicht war das 1987), sie trat dort mit ihrer Band, den Lolitas, auf: eine große Frau an einem kleinen Schlagzeug. Sie war der absolute energetische Mittelpunkt der Band, sie trieb die Band mit ihrem Getrommel an und setzte mit ihrem wunderbaren Gesang den Ton.
Ich war total beeindruckt: Die Musik rumpelte auf die schönste und charmanteste Art, war lässig, zickig, laut, rau und sanft zugleich, ein unvergesslicher Abend. Ihre Platte „Séries Américains“ und unsere Platte „In Dixieland“ waren damals beide bei Alfred Hilsberg in Hamburg erschienen und wurden in der Dezember-Spex 1987 auf derselben Seite besprochen. Wir lebten und arbeiteten in Deutschland, kuckten aber von außen drauf! 2011 bekam ich dann von ihr und Wolfgang Müller im Berliner Südblock eine kleine Françoise-Wollita überreicht, die sitzt seitdem im Regal über meinem Schreibtisch.
Michaela Melián, Künstlerin/F.S.K.
Schampus und Schnecken
Liebe, Berührung, wilde Party die Nähe war Stereo Total immer wichtiger als jegliche Abgegrenztheit.
Eins meiner schönsten Erlebnisse mit Françoise und Brezel war ein Gig in Paris. Ich wollte/musste ein paarmal vor/nach ihnen auflegen, die Konzerte sollten nicht „nur“ einfach Konzerte sein, sie hat mich mit Jacno bekannt gemacht, und wir alle, waren danach schön Paris Posh aus, mit Herve & Paul, dem schwule Cabine Grafikteam, es gab Schnecken (echt lecker!) und Champagner für die Arbeiterklasse, okay!
Eine kleine Runde mit Françoise zu haben, im Restaurant, im Kiez, war selten möglich bzw. gar nicht gewünscht. Ihre Ausstrahlung, ihre und Brezels Lebenslust, Diskursgeilheit waren magnetisch, unverblümt, echt, wie soll ich sagen, Neugier und Offenheit, Prinzipen der Lebensfreude. Gestern hörte ich, sie war abergläubisch (Heute auf Bayern 2 der Talk, Interview, 10 Jahr her). Ich sehe ihre kecken Augen und ihre Geheimwaffen! Ich muss lachen wenn sie über sich lacht und ich muss weinen, dass wir alle eine so kokette, freche, freigeistige, lebensbejahende Frau verloren haben.
Peter Wacha aka Upstart, Rote Sonne
Radikal kratzbürstig
Gefühlsduselei? Geht gar nicht mit und für Françoise … Deshalb mal so: Für mich war Françoise Cactus genau das, was das Leben in Berlin besonders gemacht hat. Ein wunderschön radikaler Freigeist, lässig unabhängig, erratisch glasklar in ihren Entscheidungen, französisch charmant, herzlich sowie kratzbürstig und natürlich unglaublich lustig … ohne Witze zu erzählen. Seit ich irgendwann mal nach Berlin gezogen bin und Freunden von außerhalb erklären musste, was so toll an Berlin ist, war das hier meine fast perfekte Erklärung: „Da lebt Françoise Cactus…“. Das geht jetzt leider nicht mehr.
Marcus Liesenfeld/DJ Supermarkt
Bürgermeisterin der Herzen
Der Oldtimer ist futsch, hast du vor vier Monaten geschrieben. Françoise. Frankreich. Meine Freundin. Wir beschlossen doch noch letztes Jahr Bürgermeisterinnen zu werden. Du von deinem französischen Kaff, ich von meinem polnischen. Die bescheuerte digitale Tafel am Bahnhof sollte weg. Alle Bürgerinnen und Bürger sollten Kunst machen. Du meintest das ernst und es klang wie ein Joke. Mein Frankreich, mein Cactus, meine Bürgermeisterin der Herzen. Du bist viel zu früh gegangen.
Mariola Brillowska, Künstlerin
Geistiger All-Nighter
Einmal hatte ich mit Françoise diskutiert, ob es Masochismus überhaupt gibt. Später verfasste Françoise für ein Buch von mir eine Sadomaso-Story über einen Roboter und eine Frau. Einmal war ich masochistisch genug, einer Françoise zuzuhören, die die männliche heterosexuelle Spezies (m)eines bestimmten Alters zum Schafott führen lassen wollte. Eine All-Nighter-Session in der Roten Rose folgte, in der wir die Aspekte des Geschlechterkrieges in aller Unschärfe-Relation umrissen.
In der Zukunft werde ich mit Françoise diskutieren, ob die Quantenphysiker recht haben, wenn sie sagen, dass die Seele nicht stirbt, weil sie zurück ins geistige Universum geht. Auf zum nächsten All-Nighter!
Mario Mentrup, Schauspieler, Musiker, Filmemacher
Kaktus in der Großstadt
Ich kannte Françoise mein halbes Leben lang. Sie und Brezel, zwei Genies der Lebenskunst. Sie war ein Magnet, man wollte immer in ihrer Nähe sein. Sie akzeptierte die exzentrischsten Persönlichkeiten, bei ihr fühlten sich alle wohl, denn sie zensierte nicht und urteilte nicht.
Sie war eine Anarchistin, keine Stalinistin. Wenn jemand total nervte, sagte sie nur lapidar: „Ach, der hat eine Macke, ich mag ihn trotzdem“. Françoise, Du warst ein Kaktus in der Großstadt. Außen spitz und innen zart. Wo immer Du jetzt zwitscherst, gibt es nicht nur Tee und Salat. Der Club Paradis sucht noch eine trinkfeste Drummerin! Klau schon mal die Drumsticks, mon Cleptomane.
Felix Kubin, Musiker
Sprechen wie Musik
Es war ja vor allem ihre Sprache, ihre gesprochene Sprache. Ich konnte ihr sehr lange zuhören, ohne mich zu langweilen.
Richard Nöbel, taz Layout
Ohne Metropolen-Arroganz
Für uns in der schwäbischen Provinz war Berlin Mitte der 90er ein absoluter Sehnsuchtsort. Umso aufgeregter waren wir, als Françoise, Brezel und ihr Stereo-Total-Flohzirkus 1997 zum Konzert im Tübinger Jugendhaus anreisten. Zwei Freunde und ich machten das Interview für die Zeitung, bei dem wir ihnen Hörproben lokaler Bands vorspielten. Natürlich jubelten wir ihnen auch unser eigenes, extrem am Berliner Lo-Fi orientiertes Demo unter – und waren außer uns, als Françoise Cactus, die etwas wahnsinnig angenehm Mütterliches ausstrahlte, dazu sagte: „Ich mag das. Das ist so Underground.“ Metropolen-Arroganz entwickelten wir bald selbst, als wir nach Berlin zogen. Bei der großen Cactus war nichts, wirklich nichts davon zu spüren.
Joachim Hentschel, Journalist und Autor
Traurig und sexy zugleich
Françoise trug ihre langen roten Schaftstiefel wie eine Trophäe, damals als ich sie das erste Mal sah, mit Coco beim Autostop, Ausfahrt Dreilinden. Das ist lange her, vielleicht 1984? Ihr Blick aus den blauen, extrem offenen Augen war ein Bullshit-Detector, skeptisch und schnell – bereit für etwas, mit dem niemand rechnen würde. Und wenn nichts kam, kam es von Françoise. Sie nutzte Deutsch als Fremdsprache virtuos. Wir hatten eine Band zu dritt für einen einzigen Auftritt an Elvis' Todestag und nannten uns „Die Bomben“. Da war ihre nonchalante „do it yourself“-Attitude und Finesse – wie man einen guten Song schreibt zum Beispiel und welches Parfum zu wem und was passte. Als Französin war sie auch großartig. Touche moi von Les Lolitas bleibt mein all-time-Favorit, traurig und sexy zugleich.
Claudia Basrawi, Schauspielerin
Schillernd und über ihr schwebend
Musikgewaltig seit 35 Jahren. Bohemienne und Grande Dame mit Grandezza, Coolness und Distinktion. Voller Humor, Frechheit, Mut, Geschmack, Eigensinn, Größe und Schönheit … Ein Konstante zwischen dem alten Berlin der 80er und 90er und dem der Nuller und Zehner.
Du bist ne Marke und ein Gesamtkunstwerk. Ein nichtwegzudenkender Teil der Stadt – Wie die Mauer, der Fernsehturm, die Aerzte oder das wilde Kreuzberg – Du wirst jetzt immer über uns schweben. Und in unseren Gedanken weiterleben.
Ran Huber, Konzertveranstalter
Sie prahlte nie
Ich hatte immer größten Respekt vor Françoise Cactus. Und war sehr befangen in ihrer Nähe. Allerdings durfte ich einige ihrer Texte für Anthologien in unserem Verlag anfragen. Sie antwortete zunächst nicht. Auf Nachfrage reagierte sie freundlich und war mit niedrigen Honoraren einverstanden. Sie verpasste eine erste Deadline, selten eine zweite, schließlich kam der Text. Und der war dann bereits ungewöhnlich perfekt für ein Manuskript. Das sagte ich ihr. Sie nahm es hin, wusste es ja selbst. Doch sie prahlte – anders als so viele Großkünstler – nie mit ihrem Können. Vielleicht wurde sie deshalb nie als die große Künstlerin erkannt, als die sie bleiben wird.
Jörg Sundermeier, Verbrecher Verlag
Winnies Abgang
Jetzt weiß nur noch ich, wer Winnie Schäfer ist. Ach herrje. Die Geschichte: Es hat mich viel Mühe gekostet, Francoise und Richard beizubringen wer Winnie Schäfer ist. Es war bekannt das sich beide überhaupt nicht für Fußball interessierten.
Sie mussten also ständig wiederholen: Winnie Schäfer ist der Trainer von Karlsruhe und wurde gerade entlassen. Es war mühselig und ich habe es ständig abgefragt und beide haben es auswendig gelernt. Als Matti, der damalige Sportredakteur, dann aufgeregt ins Layout kam und sagte wir müssen die Sportseite aktualisieren, sagten sie, wegen Winny Schäfer vom KSC der gerade gefeuert wurde. Matti verstand die Welt nicht mehr.
Jörg Kohn, taz Layout
Die Stimmen wurden gesammelt von Beate Scheder und Julia Hubernagel
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