Debatte um Literaturkritik im Radio: Kampf um Literaturkritik am Morgen
Über die Streichung von Literaturformaten im Radio wurde im Literaturhaus Köln gestritten. Dabei nervte die Arroganz, das Publikum zu unterschätzen.
Bubble, Content, Learning: Obwohl es in der Debatte um die Streichung von Literaturkritik im WDR angeblich nicht ums Sparen geht, ist der Marketing-Sprech dominant. Gegen den Wegfall der täglichen Literaturkritik im WDR-Magazin „Mosaik“ hatten etliche Kulturleute in einem offenen Brief an den Sender protestiert. Laut Petitionsinitiatorin Insa Wilke ist bei vielen der Punkt erreicht, wo man sage, „das reicht jetzt“, so die Literaturkritikerin bei einer Diskussion im Literaturhaus Köln. „Die Räume werden enger, in denen man über Literatur ernsthaft sprechen kann.“
Es gebe einen regelrechten Trend, dass Literaturformate im Rundfunk gestrichen werden, bestätigt Kiepenheuer-&-Witsch-Verlegerin Kerstin Gleba. Dabei bräuchten Bücher eine Öffentlichkeit, in der sie wirken können.
Volker Schaeffer, Leiter der aktuellen Kultur beim WDR, fühlt sich missverstanden. Es gehe nicht um Kürzung, sondern Veränderung. „Wir müssen digitaler werden“, so sein Credo. Was gegen das Hochladen von Radiobeiträgen nach der Ausstrahlung in eine gut sortierte Mediathek nach DLF-Vorbild spricht, sagt er nicht. Aber: Was online funktioniere, könne ja ins lineare Radioprogramm rückgeführt werden.
Das Begleitmedium
Der Hessische Runkfunk (hr) soll hier als Beispiel für die Umstrukturierung eines öffentlich-rechtlichen Senders fungieren. Alf Mentzer, der die Kultur beim hr verantwortet, spricht sich für Massenwirkung aus: Der Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen sei es, den größtmöglichen Teil der Bevölkerung zu erreichen. Und Radio sei heute eben ein Begleitmedium, dem niemand mehr „in Pfötchenstellung“ zuhöre, sagt Schaeffer. Die Zuschauer:innen im Chat sind unterdessen erbost. Diese Arroganz, das Publikum ständig zu unterschätzen, nerve.
Das Morgenmagazin „Mosaik“ bei WDR 3 zielt mit etwa 15.000 Zuhörer:innen auf eine in der Tat geringe Hörerschaft. Doch wie weit müssen sich die Öffentlich-Rechtlichen den Interessen des Marktes unterwerfen? Wilke hat bereits in ihrem Essay in der Zeit für die Beachtung von intellektuellen Minderheiten plädiert. Es gehe bei Literaturkritiken nicht nur um die verhandelten Gegenstände, sondern auch darum, wie literarische Sprache funktioniert.
Aufgabe einer Kultursendung sei es, Denkanstöße zu geben und nicht nur abzubilden, was Hörer:innen angeblich hören wollen. Sie kritisiert auch die vage Sprache der Reform und will genau wissen: „Wie ist der Plan?“
Maximal unkonkret
Dieser Plan werde gemeinsam entwickelt, verspricht Schaeffer, und auch Mentzer weiß maximal unkonkret: Der Plan sei ein Prozess. Inhalte scheinen in diesem Prozess erst mal zweitrangig zu sein, der Fokus liegt auf der Digitalisierung. Studierende besäßen heute kein Radio- oder Fernsehgerät mehr. Man müsse schauen, wie man jüngere Gruppen erreiche, sagt Mentzer. „Es hilft nichts, wenn ein Literaturwissenschaftler den Hip-Hop mit Heidegger erklärt.“
Was stattdessen helfen würde, ist allerdings auch nicht klar, denn die jüngere Hörerschaft, die man ansprechen will, ist auf dem Podium, wie zu erwarten, nicht vertreten. Wie so oft wird die Verjüngung von medialen Formaten vorgebracht von jenen, die ihre Medienkompetenz überhaupt erst durch jüngere Kolleg:innen erlernten.
Die Öffentlich-Rechtlichen müssen digitaler und, ja, auch jünger, werden, das wird niemand ernstlich bestreiten. Das Durchschnittsalter der Hörer:innen von WDR 3 liegt bei 58 Jahren. Dass man Jüngere mit der Literaturkritik im „Mosaik“-Magazin nicht erreicht, könnte aber ganz praktische Gründe haben: Um 6.45 Uhr sind diese Studierenden ohne Radiogerät ohnehin eher selten wach.
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