Cashmere Radio in Berlin: Mehr als ein Radiosender

Aus einer früheren Werkstatt in Berlin-Lichtenberg sendet Cashmere Radio seit sechs Jahren ein Programm, das Radio als sozialen Raum denkt.

Ein Leuchtkasten strahlt in einen menschenleeren Raum

Eine schimmernde Höhle, die zur Radiostation verwandelte Autowerkstatt in Berlin-Lichtenberg Foto: Cashmere Radio

Wie fast überall ist gerade auch beim Lichtenberger Internetradio Cashmere Radio alles anders als sonst. Lukas Grundmann, einer der Betreiber, sagt: „Wir denken Radio eigentlich als sozialen Raum, wir Radiomacher kennen uns alle untereinander und es findet ein sozialer Austausch statt. Doch diese Komponente muss leider gerade unter den Tisch fallen.“

Giacomo Gianetta, einer der Gründer des Radios und Vorstandsvorsitzender des dazugehörigen gemeinnützigen Vereins, beschreibt das, was bei Cashmere zu Nichtpandemiezeiten gelebt wird, so: „Dienstags etwa kommen normalerweise die Moderatoren der Free-Jazz-Sendung, die beide Anwälte sind. Danach erscheinen die Grime-Leute, dann die Blues-DJs. Leute aus verschiedenen Generationen, die unterschiedliche Sprachen sprechen, mischen sich bei uns.“

Doch gerade müsse, so Grundmann, im Gegenteil geschaut werden, „dass die verschiedenen Leute sich möglichst nicht begegnen. Deswegen werden viele unserer Sendungen aktuell auch von zu Hause aus produziert.“ Homeoffice also auch beim Internetradio in Lichtenberg.

Das existiert seit sechs Jahren im Osten Berlins, braucht aber wahrscheinlich bald ein neues Zuhause. Es gibt Probleme mit den lokalen Baubehörden. Das Gebäude, in dem Cashmere untergebracht ist, war einmal eine Autowerkstatt. Und als solche ist sie immer noch im Bebauungsplan eingetragen. Irgendwann sei dann jemand vom Lichtenberger Bauamt vorbeigekommen, habe sich den Umbau in eine Radiostation angeschaut, erzählt Gianetta, „und meinte auch noch: ‚Das habt ihr aber toll hingekriegt‘.“

Neue Chancen benötigt

Nun bräuchte man aber die Genehmigung des Vermieters und des Bauamts, alles auflagengerecht umbauen zu dürfen, und das nötige Geld noch obendrein. Nichts davon ist vorhanden und die Chancen, dass sich irgendetwas daran ändert, seien ziemlich schlecht. „Derzeit sind wir nur noch in Duldung hier“, sagt Gianetta.

Dass Cashmere Radio seinen angestammten Platz nicht gerne verlassen wird, wenn es so weit sein sollte, kann man verstehen, wenn man es besucht. Man tritt durch ein knarziges Gatter am Eingang, begeht einen kleinen Garten, in einem schnuckeligen kleinen Häuschen ist der Radiosender untergebracht. Drinnen gibt es zwei kleine Aufnahmestudios und einen geräumigen Aufenthaltsraum mit Bar und großer Holztheke. „Wir sind eben nicht nur Internetradio, sondern vor allem ein sozialer Ort“, betont Giacomo Gianetta noch einmal.

Fast 100 Shows im Monat

Er hat gemeinsam mit zwei Freunden das Internetradio gegründet. Am Anfang hätten sie alle zwei Wochen Dienstags gesendet. Dann seien stetig mehr Sendetage dazugekommen. Inzwischen geht Cashmere beinahe täglich auf Sendung, auf fast 100 Shows kommt die Radiostation monatlich. Und für die sendefreien Zeiten gibt es das reichhaltige Archiv, in dem so gut wie jede Radiosession aufbewahrt wird, die je bei Cashmere zu hören war.

„Experimentelles Radio“ nennt sich dieses selbst. Und das ist es auch in mehrfacher Hinsicht. Einmal dadurch, dass es eben mehr ist als ein Radiosender. Wichtig ist vielmehr auch die Gemeinschaft, die sich um dieses herum gebildet hat und die sich in dem kleinen Häuschen mit Garten regelmäßig trifft.

Der Dauerzugriff auf das Archiv relativiert zudem einerseits das, was man sich im Allgemeinen unter einem klassischen Radiosender vorstellt, der jetzt im Moment live on air ist. Andererseits gibt es mit „Chronopolis“ eine von Lukas Grundmann kuratierte Show für generative Musik. Diese ist permanent via Stream abrufbar, wird von Algorithmen erstellt und ist eine Abfolge verschiedener Kompositionen, die nach diesem Prinzip erstellt werden.

Bildschirmschoner aus Klängen

„Generative Musik ist eine Art Bildschirmschoner aus Klängen, elektronische Stücke ohne Anfang und Ende. Komponisten aus der ganzen Welt schicken uns diese zu“, so Grundmann, der selbst Komponist ist und an der UdK Sound Studies unterrichtet. Im Gegensatz zum grundsätzlichen Archivgedanken des Internetradios wird die generative Musik nirgendwo gespeichert. Wer es verpasst, bestimmte dieser Kompositionen zu hören, wird diese Gelegenheit nie wieder bekommen.

Auch hinsichtlich der Musik, die im Allgemeinen bei Cashmere gespielt wird, trifft es der Begriff „experimentell“ gut. Hier soll und wird all das gesendet, was es im klassischen Radio – mit ein paar Ausnahmen – nirgendwo zu hören gibt. Soundtrips von Gitarrendrones bis zu indonesischem Gamelan, Acid-House, Postpunk, einfach für jede Art von Undergroundsound gibt es hier passionierte Radio-DJs mit interessanten Plattensammlungen. „Das ist tatsächlich kein Easy Listening bei uns“, sagt Giacomo Gianetta, „und eine komplett andere Welt als die des normalen Radios.“

Er sagt, was die Mitglieder betrifft, sei Cashmere das größte Internetradio Berlins, um die 130 sind es. Geld verdient hier niemand, auch Gianetta nicht, ebenfalls studierter Komponist, der ziemlich oft im Cashmere-Häuschen ist, weil es so viel zu tun gebe. So viel, dass er selbst gar nicht mehr dazu komme, eine eigene Radioshow zu hosten.

Längerfristig möchte man an den prekären Strukturen etwas ändern

Im vergangenen Jahr hat Cashmere zum zweiten Mal den Preis für Projekträume des Berliner Kultursenats bekommen. Einzelne Shows wie derzeit „Passage“ werden ebenfalls gefördert, in diesem Fall ein Jahr lang. Ansonsten gilt, so Gianetta: „Wir können unsere Miete bezahlen, mehr nicht.“

Projekt: Radiohaus für Berlin

Längerfristig möchte man an den prekären Strukturen etwas ändern, zumindest eine bezahlte Stelle schaffen, die sich um die ganze Organisation kümmert, doch das Problem sei, so der Vorstandsvorsitzende: „Es gibt einfach kaum eine Förderung für freie Radios in Berlin.“ Eine Ausnahme sei der von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg betriebene UKW-Sender 88vier für nichtkommerzielle Radios. Cashmere ist dort wöchentlich freitags bis samstags mit Sendungen vertreten.

Unbedingt eine Förderung wünscht man sich auch für das geplante nächste große Projekt. Ein Radiohaus für Berlin, das strebt das Radionetzwerk Berlin an, ein Zusammenschluss mehrerer Internetradios. Sechs über die Stadt verteilte Stationen wie Reboot.FM, Savvy Funk und Wearebornfree! Empowerment Radio hätten gerne einen gemeinsamen Ort, von dem aus sie fortan senden könnten.

Federführend in der Angelegenheit ist Cashmere Radio, auch weil es wahrscheinlich bald einfach einen neuen Raum braucht. Gianetta hat auch schon einen in Aussicht: auf dem riesigen Gelände rund um das Stasimuseum in Lichtenberg, bei dem gerade niemand so richtig weiß, was mit diesem geschehen soll. Dort stehen zig Gebäude leer und gammeln vor sich hin. Mit Gesine Lötzsch, für die Linke als Direktkandidatin des Bezirks Lichtenberg im Bundestag vertreten, gab es bereits Gespräche. „Sie klang sehr interessiert“, so Giacomo Gianetta. Ob das geplante Radiohaus freilich einen so schönen Garten haben wird wie aktuell Cashmere Radio, das wird sich erst noch beweisen müssen.

www.cashmereradio.com

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