Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus: Da muss sie erst reinkommen

Nur ein Drittel der Berliner Abgeordneten sind Frauen. Wenn Berlin am 26. September ein neues Parlament wählt, dürfte sich das kaum ändern.

Blick in den leeren Plenarsaal im Berliner Abgeordnetenhaus

Das leere Plenum im Abgeordnetenhaus, eher männlich Foto: picture alliance/dpa

BERLIN taz | Sieben Wahlkreise hat Steglitz-Zehlendorf. Fünf Männer nominierte die SPD als Direktkandidaten bei den letzten Abgeordneten­hauswahlen 2016. In zwei Wahlkreisen traten Frauen an: Ina Czyborra im Wahlkreis 6, das Dahlemer Gebiet rund um die Freie Universität. Und Barbara Loth im flächenmäßig größten Wahlkreis 7, der Grunewald und das Seengebiet bis zur südwestlichen Stadtgrenze umfasst.

Zwei Frauen, fünf Männer – das ist eine Frauenquote von rechnerisch nicht mal einem Drittel.

Steglitz-Zehlendorf und die SPD sind dabei nur ein Beispiel. Man kann die Wahlstatistik von 2016 für andere Bezirke und andere Parteien bemühen und man sieht: Auch bei Parteien, die sich selbst bereits Instrumente wie quotierte Wahllisten verordnet haben, sind Männer als Direktkandidaten deutlich überrepräsentiert. Selten ist das Verhältnis besser als das erwähnte von einem Drittel Frauen zu zwei Dritteln Männern. Eine Ausnahme sind die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg und Pankow und die Linke im Osten sowie in, schon wieder, Tempelhof-Schöneberg – hier traten bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 jeweils gleich viele Männer wie Frauen als DirektkandidatInnen für ihre Parteien an.

Ina Czyborra, SPD

„Die 30 Prozent scheinen eine Art magische Grenze zu sein“

Dennoch, so Czyborra: „Diese 30 Prozent Frauenanteil scheinen eine Art magische Grenze zu sein“, sagt die Abgeordnete, die in diesem Jahr erneut als SPD-Direktkandidatin in ihrem Dahlemer Wahlkreis antreten will. Denn die Geschlechterverteilung bei der KandidatInnenaufstellung in den Bezirken spiegelt sich folgerichtig in der Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses wider: Seit Jahren dümpelt der Anteil der Frauen dort bei einem Anteil von etwa einem Drittel, aktuell sind es 33,1 Prozent. Wobei Linke (50 Prozent Frauen) und SPD (39 Prozent), auch durch die quotierten Wahllisten, jeweils besser dastehen. Die Grünen haben gar einen Frauenanteil von 60 Prozent. Doch insbesondere FDP (17 Prozent Frauen) und AfD (13 Prozent) drücken den Schnitt nach unten. Beide Parteien sind, gemeinsam mit der CDU, gegen ein Paritätsgesetz.

Ganz viel: Der 26. September ist in diesem Jahr der Tag, an dem sich wirklich mal alles entscheidet. Ein Superwahltag in Berlin.

Zu wählen: Gewählt wird auf allen Ebenen: Es geht um die Bezirksparlamente und natürlich auch um den Bundestag. Entschieden wird an dem Tag gleichfalls, wen die Berlinerinnen und Berliner in Zukunft im Abgeordnetenhaus haben wollen.

Vielleicht, sagt Czyborra, sollte man es besser drastischer sagen: „Statt die 30 Prozent Frauen zu betonen, könnte man auch sehen: Wir verharren bei einer Männerquote von 70 Prozent.“

Die Parität als Ziel

Die rot-rot-grüne Koalition war 2016 unter anderem mit dem Ziel angetreten, diesen Umstand zu ändern. Spät in der Legislatur, aber dann doch, legten zunächst die Linken, dann die Grünen in den vergangenen zwei Jahren jeweils Eckpunktepapiere für ein Paritätsgesetz vor. Konkret ging es um die Verpflichtung auf eine quotierte Wahlliste, also abwechselnd mit einem Mann und einer Frau besetzte Listenplätze.

Für die Wahlkreise diskutierte man verschiedene Spielarten von „Wahlkreis-Duos“, bei denen die WählerInnen drei Stimmen hätten: für jeweils einen Mann und eine Frau und für die Liste einer Partei. Die SPD konnte sich auf dem Landesparteitag im Oktober 2019 immerhin dazu durchringen, ein Paritätsgesetz zum „Leuchtturmprojekt“ für Berlin auszurufen.

Allein bevor eine eigentlich avisierte gemeinsame Gesetzesvorlage entstehen konnte, grätschte den in der Frauenfrage eigentlich willigen Koalitio­närInnen die Rechtsprechung dazwischen.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte Anfang Februar, die im Grundgesetz festgeschriebene Gleichberechtigung der Geschlechter verpflichte zwar zu Chancengleichheit – aber im (Wahl-)Ergebnis könne am Ende etwas anderes herauskommen als Parität in den Parlamenten. Denn Frauen seien schließlich, wie Männer auch, als Vertreterinnen des ganzen Volkes gewählt, nicht einer Interessengruppe, selbst wenn diese immerhin etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmacht. Zuvor hatten 2020 die Landesverfassungsgerichte in Thüringen und Brandenburg mit ähnlicher Argumentation Paritätsgesetze in ihren Ländern gekippt.

Ines Schmidt, gleichstellungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, kann der Argumentation der Gerichte nichts abgewinnen. „Natürlich vertrete ich bestimmte Interessen als Frau“, sagt sie. Man solle sich doch nur mal ansehen, wer in den Ausschüssen einschlägige Themen zu Gleichberechtigung, Bildung und Frauenrechten beackere: „Frauen nehmen Fraueninteressen wahr, das ist so.“

Einer von Schmidts Schwerpunkten ist das Thema häusliche Gewalt. Sie erlebe zwar nicht, dass Männer ihr bei dem Thema nicht zuhörten. „Aber wieso greift nicht mal ein Mann das Thema aktiv auf? Meistens rede ich dazu“, sagt Schmidt, die 2016 ihren Wahlkreis in Lichtenberg knapp gegen den inzwischen zur rechtsextremen NPD gewechselten Ex-AfDler Kay Nerstheimer verlor. Und überhaupt, fragt Schmidt: „Wieso ist das Thema häusliche Gewalt eigentlich bei der Senatorin für Gleichstellung angesiedelt und nicht beim mit Kriminalität befassten Innensenator?“ Immerhin sei häusliche Gewalt doch in erster Linie das: Gewalt.

Die Abbildung von Diversität

Auch Ina Czyborra, die im Abgeordnetenhaus in den Ausschüssen für Bildung, Wissenschaft und Kultur sitzt, sagt: „Es geht um Vielfalt, auch an Erfahrungen und Hintergründen, die in die parlamentarische Arbeit eingebracht werden.“ Natürlich müsse man dann die Frage stellen: Wenn man den Frauenanteil in der Bevölkerung im Parlament abbilden will, was ist dann mit anderen Gruppen? Menschen mit Migrationshintergrund? Menschen mit einer Behinderung?

„Es ist nicht einfach, die Abbildung von Diversität in der Praxis festzuschreiben“, sagt Czyborra. Aber wenn sie in einer Runde sitze, wo die Mehrheit männlich, weiß und über 50 sei und mit ihnen zum Beispiel über ein Landesantidiskriminierungsgesetz diskutiere, „dann stimmt da grundsätzlich das Verhältnis nicht“.

Ein Paritätsgesetz, sagen Czyborra und Schmidt, werde man in der nächsten Legislatur weiterverfolgen. Die Diskussionen in der Partei gingen weiter, sagt Czyborra. Und Schmidt, gelernte Straßenbahnfahrerin und seit 2015 im Aufsichtsrat der landeseigenen Verkehrsbetriebe, sagt aus ihrer Erfahrung bei der BVG: „Als wir mit Sigrid Nikutta erstmals eine Chefin im Vorstand hatten, hat sich die komplette Unternehmenskultur geändert.“ Weniger Präsenzkultur, das Management war auch mal zum Abendbrot bei den Kindern daheim. Will sagen: „Wenn es an der Spitze nicht stimmt, dann ändert sich nichts.“ Übertragen auf die Direktmandate in den Wahlkreisen könnte man sagen: Es ist noch eine Menge zu tun bis zur Gleichstellung.

Silke Gebel, Fraktionschefin der Berliner Grünen, hatte bereits mit Blick auf das Thüringer Urteil vorgeschlagen, „folgenden Passus analog zu der Französischen Verfassung aufzunehmen, der den Verfassungsauftrag für mehr Parität deutlich festschreibt: ‚Es ist der gleiche Zugang von Frauen und Männern zu Wahlmandaten und Wahlämtern zu gewährleisten.‘“

Und natürlich ist der „Zugang“, etwa zu Direktmandaten und aussichtsreichen Listenplätzen, vielleicht formal gleich geregelt – doch die Wahlstatistik zeigt eben auch schonungslos, dass er für Männer eben oft noch etwas gleicher als für Frauen.

Das zu ändern wäre in der Tat vermutlich eine kleine Revolution.

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