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Corona-Ausbruch im Heim trotz Impfung13 milde Verläufe, ein Todesfall

In einem Altenheim bei Osnabrück haben sich 14 geimpfte Bewohner mit der britischen Coronavariante B 1.1.7 infiziert. Eine 101-Jährige ist gestorben.

Nun unter Quarantäne: das Altenpflegeheim Haus St. Marien in Belm Foto: Jonas Walzberg/dpa

Osnabrück taz | Tim Rotthaus ist die Betroffenheit anzumerken. Aber er weiß: Was jetzt wichtig ist, ist Offenheit. Also erzählt er. Über den 2. Februar, als in seinem 100 Bewohnerplätze großen Alten- und Pflegeheim Haus St. Marien in Belm bei Osnabrück die Coronaschnelltests anschlugen. Über die PCR-Testung aller Bewohner und Mitarbeiter, zwei Tage später. Über das Besuchs- und Betretungsverbot, dass dort derzeit gilt, vorerst bis zum 20. Februar.

Rotthaus ist der Geschäftsführer. 14 Bewohner von Haus St. Marien haben sich infiziert, mit der britischen Coronavariante B 1.1.7. Was daran ungewöhnlich ist: Alle hatten den Impfstoff von Biontech/Pfizer bekommen – am 25. Januar zum zweiten Mal. 13 der Infizierten gehe es gut, sagt Rotthaus. „11 von ihnen haben keinerlei Symptome, zwei nur sehr milde – belegte Stimmen, leichtes Halskratzen.“

Und dann erzählt er von der Bewohnerin, die in der Nacht zu Mittwoch verstorben ist. „Ich will da nichts kleinreden“, sagt er. „Aber sie war 101, und ihr gesundheitlicher Allgemeinzustand war nicht sehr gut. Ich denke, sie ist mit, aber nicht an Corona verstorben.“

Die 13 milden Verläufe führt Rotthaus auf den Impfstoff zurück. „Und die Wirkung war ja vielleicht noch nicht einmal voll ausgeprägt.“ Nicht jeder in St. Marien ist geimpft. „Es gibt Mitarbeiter, die haben das Impfangebot abgelehnt“, sagt Rotthaus. „Darüber gibt es unter unseren Mitarbeitern natürlich jetzt Diskussionen.“ Für die Bewohner ist die Quarantäne hart. Um die Auswirkungen abzumildern, bietet St. Marien Videoanrufe an.

Auf welchem Weg die Infektion ausbrach, ist bisher unbekannt. Jeder Besucher macht einen Schnelltest. Jeder Mitarbeiter auch, jeden Tag. Den Stand der Prüfung durch das Berliner Robert-Koch-Institut (RKI), die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angeordnet hatte, da der Ausbruch trotz Impfung auch im Bund interessiert, kennt Rotthaus nicht.

„Es gab schon zwei längere Treffen hier vor Ort, weitere sind geplant“, bestätigt Burkhard Riepenhoff, Sprecher des Landkreises, die gemeinsamen Untersuchungen von RKI und Gesundheitsdienst für Landkreis und Stadt Osnabrück. „Das Geschehen ist ja sehr auffällig. Zweimalig Geimpfte, bei denen es gleich 14-fach zu einer Infektion kommt, und das mit einer Mutation. Das ist auch für das RKI kein Tagesgeschäft.“

Was die Prüfung ergab? Man sei dort „in Amtshilfe tätig“, hält Susanne Glasmacher, Sprecherin des RKI, sich bedeckt. Es gebe noch keine Ergebnisse, sagt auch Riepenhoff. „Diese Untersuchungen werden sich über einen längeren Zeitraum hinziehen.“ Die Hygienekonzepte in den Häusern der Caritas seien jedenfalls gut.

Dennoch hat es auch im 64 Wohnplätze großen Seniorenzentrum St. Franziskus in Osnabrück einen Corona-Ausbruch gegeben: 17 Bewohner sind betroffen. Es handelt sich dort aber nicht um die Mutation B 1.1.7.

13 Senioren seien bereits wieder aus der Quarantäne entlassen, sagt Nadin Kohlbrecher, Sprecherin des Caritasverbandes für die Diözese Osnabrück, der auch die Sozialstation des Hauses St. Marien betreibt. Alle Patienten hätten „einen milden oder asymptomatischen Verlauf durchlebt“. Und das, sagt Sven Jürgensen, Sprecher der Stadt Osnabrück, „obwohl die Bewohner noch keinen zweiten Impftermin hatten“.

In St. Franziskus sind Dreiviertel der 59 Mitarbeitenden geimpft. Sieben sind selbst von einer Infektion betroffen. „Drei davon sind bereits geimpft“, sagt Kohlbrecher, „die anderen vier haben nicht an der Impfung teilgenommen.“

Grundsätzlich sei nach Angaben der Hersteller und Virologen „davon auszugehen, dass eine Impfung nicht per se gegen eine Infektion schützt“ – wohl aber vor einem schweren Krankheitsverlauf, sagt Kohlbrecher. „Diese Erwartung finden wir aktuell bestätigt und sind dankbar und erleichtert.“

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13 Kommentare

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  • "Jeder Besucher macht einen Schnelltest."

    Wahrscheinlichkeitslehre war nie meine Königsdiziplin, aber wenn ich einen Schnelltest habe, der zu 95% richtige Ergebnisse liefert, rutscht mir halt bei 20 Personen eine mit falschem Ergebnis durch...

    Egal wie man es nimmt: auch mit Schnelltest wird sicher 1x im Monat ein Infizierter durch so ein Heim gehen. Schnelltests verbessern die Erkennung, aber nicht auf 100%

  • Frau Türeci und Herrn Sahin kann man gar nicht genug danken für ihre Leistung bei der Entwicklung ihres Impfstoffs. Sollte vielleicht denjenigen Menschen mit unterkomplexem Weltbild wie "Wirtschaft immer böse böse" zu denken geben. Nur Risikobereitschaft und absoluter Leistungswillen bringen so etwas zustande.

    • 0G
      02612 (Profil gelöscht)
      @Goodfella:

      Hallo ? Sie setzen Wissenschaftler herab auf das Niveau von Wirtschaft und Industrie - unfassbar ! Das haben gerade Herr Sahin und sein Team nicht verdient !

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Goodfella:

      "Wirtschaft immer böse böse"



      Als gäbe es im Kommunismus oder Sozialismus keine Wirtschaft.

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Hab ich in der DDR gesehen was Wirtschaft im Sozialismus kann. Nein Danke.

        • @Goodfella:

          Dann haben Sie auch gesehen, was Wirtschaft im Kapitalismus bspw. bei Foxconn in China, in Tönnies' Schlachtfabrik, Kakaoanbau in der Elfenbeinküste, DHL samit Konkurrenz, Amazon, Cobaltabbau in Kongo usw. usf. kann?

          • 0G
            02612 (Profil gelöscht)
            @Uranus:

            ... einige Mitmenschen sollten einfach öfters " Images " von John Lennon hören - und versuchen zu verstehen ...

            • @02612 (Profil gelöscht):

              Ja, das könnte helfen. Ist wohl auch zugänglicher als bspw. die Gedichte des chinesischen Foxconn Arbeiters, Xu Lizhi (1990-2014), der die Arbeits- und Lebensbedingungen nicht mehr ertragen konnte und sich selbst tötete:



              "我就那样站着入睡》



              "I Fall Asleep, Just Standing Like That"

              眼前的纸张微微发黄



              The paper before my eyes fades yellow

              我用钢笔在上面凿下深浅不一的黑



              With a steel pen I chisel on it uneven black

              里面盛满打工的词汇



              Full of working words

              车间,流水线,机台,上岗证,加班,薪水……



              Workshop, assembly line, machine, work card, overtime, wages...

              我被它们治得服服贴贴



              They've trained me to become docile

              我不会呐喊,不会反抗



              Don't know how to shout or rebel

              不会控诉,不会埋怨



              How to complain or denounce

              只默默地承受着疲惫



              Only how to silently suffer exhaustion

              驻足时光之初



              When I first set foot in this place

              我只盼望每月十号那张灰色的薪资单



              I hoped only for that grey pay slip on the tenth of each month

              赐我以迟到的安慰



              To grant me some belated solace

              为此我必须磨去棱角,磨去语言



              For this I had to grind away my corners, grind away my words

              拒绝旷工,拒绝病假,拒绝事假



              Refuse to skip work, refuse sick leave, refuse leave for private reasons

              拒绝迟到,拒绝早退



              Refuse to be late, refuse to leave early

              流水线旁我站立如铁,双手如飞



              By the assembly line I stood straight like iron, hands like flight,

              多少白天,多少黑夜



              How many days, how many nights

              我就那样,站着入睡



              Did I - just like that - standing fall asleep?

              -- 20 August 2011"



              Rest in Power Xu Lizhi!



              libcom.org/blog/xu...onn-suicide-poetry

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Das wohl, aber auf die Errungenschaften kommunistischer oder sozialistischer Wirtschaft möchte vermutlich niemand wieder angewiesen sein, der den Genuss schon hatte.

        • @TazTiz:

          apropos BELM: der ortsjundige Senior weiss, dass dort die britische Armee stationiert war. Ergo gibt es sicherlich immer noch einen regen verschwägerten Austausch mit den Briten

        • @TazTiz:

          @TAZTIZ Yep. Ausser in China. Aber das ist dort ja auch kein wirklicher Sozialismsus.

  • Es sollte bedacht werden, dass das Immunsystem ca. 10 Tage Zeit nach der Impfung braucht um Anitkörper aufzubauen.