Aktivist über Böll-Stiftung und Atomwaffen: „Unvereinbar mit grünem Programm“
Die Chefin der Böll-Stiftung unterstützt einen Aufruf für Nukleare Teilhabe. Ein Skandal, findet der Anti-Atomwaffen-Aktivist Leo Hoffmann-Axthelm.
taz: Herr Hoffmann-Axthelm, ICAN hat jahrelang für den internationalen Atomwaffenverbotsvertrag gekämpft. Am Freitag ist er in Kraft getreten. Wie fühlt es sich an?
Leo Hoffmann-Axthelm: Das ist ein historischer Moment. Das Atomwaffenverbot war ja lange ein sehr abstraktes Thema. Und noch kämpfen wir stark mit dem Vorurteil, dass es einfach unmöglich sei, Atomwaffen zu verbieten. Das Inkrafttreten des Vertrags wird uns noch mal Wind in die Segel bringen, wenn es darum geht, weitere Staaten vom Beitritt zu überzeugen. 122 Staaten haben 2017 für das Verbot gestimmt.
Das Inkrafttreten ist aber erst mal nur ein symbolischer Akt. Bei weitem nicht alle Staaten haben den Vertrag unterschrieben. Die Atomwaffenstaaten selbst sind nicht dabei.
Das liegt in der Natur der Sache. Insofern wäre ich vorsichtig, da von einem nur symbolischen Schritt zu sprechen. Erstens, weil Symbolik natürlich extrem wichtig ist. Atomwaffen sind ja vor allem Statussymbole und keine Waffen, die man tagtäglich auf dem Kriegsschauplatz einsetzt. Und zweitens ist auch Völkerrecht und Politik ein sehr symbolträchtiges Feld. Wenn Atomwaffen gleichgesetzt werden mit geächteten Waffen wie Chemie- und Biowaffen, dann wird das verändern, wie wir alle über Atomwaffen nachdenken.
Die Vorfreude auf das Inkrafttreten war aber wahrscheinlich etwas getrübt: Auf Twitter haben Sie sich mit der Böll-Stiftung gezofft, weil deren Vorsitzende Ellen Ueberschär einen Aufruf unterzeichnet hat, indem sie die Nukleare Teilhabe der Nato und die in Deutschland stationierten US-Atombomben befürwortet. Was genau ist Ihre Kritik daran?
Zunächst kann man festhalten, dass wir jetzt, wo das Verbot real wird, eine viel größere Gefahr darstellen für all jene Staaten, die an Atomwaffen festhalten und auch in der Zukunft ihre Sicherheitspolitik auf Massenvernichtungswaffen aufbauen wollen. Insofern ist es vollkommen normal, dass die uns kritisieren. Und es ist auch normal, dass innerhalb Deutschlands die Parteien und Thinktanks ihre Position dazu klären. Das ist erst mal ein gesunder Prozess, weil vorher alle behauptet haben, an einer atomwaffenfreien Welt zu arbeiten. Aber wenn alle behaupten, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, dann kann etwas nicht stimmen, denn irgendwo hapert es ja doch. Insofern ist es extrem hilfreich, dass wir jetzt sehen, wer nur so tut, als wäre er für nukleare Abrüstung, aber ansonsten auf Zeit spielt, um am Status quo festzuhalten.
Und Letzteres hätten Sie aus Reihen der Böll-Stiftung nicht erwartet?
Das war für uns sehr überraschend. Ich würde sogar sagen, dass wir empört sind über das Statement, dass die Chefin der Böll-Stiftung mitunterzeichnet hat. Es ist schon extrem harter Tobak, dass ausgerechnet aus der grünen-nahen Stiftung kommt, dass Deutschland dauerhaft an Atomwaffen festhalten muss, an der Nuklearen Teilhabe weiterhin teilnehmen muss und dazu auch die Modernisierung atomwaffenfähiger Kampfjets mittragen muss. Das ist vollkommen unvereinbar mit dem neuen Grundsatzprogramm der Grünen, das den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbot explizit vorsieht.
Leo Hoffmann-Axthelm ist für die Anti-Atomwaffen-Kampagne ICAN in Brüssel tätig. ICAN setzt sich für ein Verbot von Atomwaffen ein und bekam 2017 den Friedensnobelpreis.
Allerdings: So lange Russland Atomwaffen besitzt, könnte eine einseitige Nukleare Abrüstung der Nato-Staaten tatsächlich Probleme schaffen.
Die Böll-Stiftung und die Grünen wollen nicht den Eindruck erwecken, dass sie nicht solidarisch mit den osteuropäischen Nato-Saaten wären. Das kann ich gut verstehen, das ist wichtig. Nur darf man die Solidarität mit Osteuropa nicht dafür instrumentalisieren, dass man an Massenvernichtungswaffen festhält. Stattdessen muss man in die ehrliche Debatte gehen, dass man konventionelle Fähigkeiten braucht, um sich glaubhaft an der Nato zu beteiligen.
Für Sie wäre also okay: Atomwaffen raus, dafür aber mehr Panzer?
Es gibt schon einen Unterschied zwischen konventionellen Waffen und Massenvernichtungswaffen. Atomwaffen sind ab heute völkerrechtlich verboten. Konventionelle Waffen sind dagegen in der Lage, zwischen Kombattanten und Zivilisten zu unterscheiden. Es ist selbstverständlich, dass Panzer erlaubt sind und Atomwaffen verboten. Das ist jetzt auch im Völkerrecht so verankert.
Der umstrittene Aufruf, über den wir hier reden, wurde zwar von der Böll-Chefin unterzeichnet und von der Stiftung beworben. Allerdings steht unter dem Papier ausdrücklich: „Alle Autoren geben hier allein ihre persönliche Ansicht wieder.“ Kann man da der Stiftung an sich wirklich einen Vorwurf machen?
Man kann es ihr sicherlich nicht direkt zum Vorwurf machen. Allerdings ist es auch sehr schwierig jetzt noch zu behaupten, dass es nur eine persönliche Meinung sei. Denn wenn ich Vorsitzende einer Organisation bin, dann werde ich kaum öffentlich Dinge von mir geben, die diametral gegen die Position dieser Organisation gehen. Wir sind sehr daran interessiert, was jetzt die tatsächliche Position der Stiftung ist.
In ihrem Twitter-Streit mit der Stiftung ging es auch darum, ob ICAN noch von der Böll-Stiftung unterstützt wird. Sie sagen: nein. Die Stiftung sagt: doch. Also was denn jetzt?
Die Frage ist, wie man Unterstützung definiert. Richtig ist, dass die Böll-Stiftung uns als ICAN Deutschland lange finanziell unterstützt hat, wofür sehr dankbar sind. Das hat vor zwei Jahren aufgehört. Auf Twitter wollte die Böll-Stiftung hervorheben, dass sie letztes Jahr noch ein Projekt von den Kollegen bei ICAN Frankreich finanziell unterstützt und einen Meinungsbeitrag von uns auf ihrer Website gepostet hat. Man kann also sagen, dass wir durchaus noch mit der Böll-Stiftung zusammenarbeiten. Aber „Unterstützung“ heißt für eine kleine NGO wie uns vor allem finanzielle Unterstützung und nicht, nur einen Blog-Artikel zu posten.
Wie kam es vor zwei Jahren zum Ende der finanziellen Unterstützung?
Es ist normal, dass man sich nicht zu lange auf einen bestimmten Stifter verlassen sollte und dass man seine Finanzierungsstruktur diversifizieren muss. Wir können uns auch nicht darüber beschweren, wie das damals vonstatten ging: Die Böll-Stiftung hat lange vorher angekündigt, dass die Gelder gestrichen werden. Wir konnten uns also darauf einstellen. Warum es zu der Entscheidung kam, weiß ich natürlich nicht.
Unabhängig vom Streit mit der Böll-Stiftung: Wie geht denn Ihre Arbeit nach dem Inkrafttreten des Verbotsvertrags weiter?
Zunächst werden wir versuchen, die Debatte, die jetzt in Deutschland an allen Ecken und Enden losgeht, mit Fakten zu unterfüttern. Wir haben nämlich die sehr schwierige Situation, dass die Bundesregierung und alle anderen Nato-Staaten an der Nuklearen Abschreckung festhalten wollen und sich nicht zu schade sind, sehr merkwürdige Argumente ins Feld zu führen. Deswegen haben wir alle Hände voll damit zu tun, diese lange diskreditierten Argumente auszuräumen. Gleichzeitig verschafft der Verbotsvertrag aber auch Klarheit darüber, wer für die Nukleare Abrüstung ist und wer dem Prozess im Wege steht. Das ist gerade vor der Bundestagswahl sehr hilfreich. 92% der Bundesbürger unterstützen das Verbot von Atomwaffen in repräsentativen Umfragen.
Und wo sehen Sie da die Bundesregierung?
Im letzten Jahr hat die Bundesregierung bei der Stockholm-Initiative mitgemacht. Da hat ein Dutzend Staaten eine Liste von Sachen veröffentlicht, die sie für die Nukleare Abrüstung machen wollen. Wenn man sich diese Liste aber genau anschaut, kann man sich nur in die Haare greifen. Zwei Drittel der Punkte sind wohlfeile Appelle an die Atomwaffenstaaten. Keiner der Punkte ist etwas, was Deutschland selber umsetzen könnte. Kein Wort darüber, ob Deutschland innerhalb der NATO dafür werben könnte, die Rolle von Atomwaffen zu reduzieren. Die Zeit solcher inhaltsleerer Statements, die in der Realität nichts ändern, müssen wir dringend überwinden. Es gibt jetzt eine Alternative: Den Beitritt zum UN-Atomwaffenverbotvertrag, kurz AVV.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr