piwik no script img

EU und RusslandRätselraten in Brüssel

Das Urteil gegen Kremlkritiker Nawalny setzt die EU unter Handlungsdruck. Der Ruf nach neuen Sanktionen gegenüber Moskau wird lauter.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell spricht mit Außenminister Heiko Maas am 25. Januar in Brüssel Foto: John Thys/ap

BRÜSSEL taz | Die Europäische Union hat die Haftstrafe für den Kremlkritiker Alexei Nawalny scharf verurteilt, zögert jedoch bei möglichen Konsequenzen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen forderte Russland auf, Nawalny sofort und bedingungslos freizulassen. Der Außenbeauftragte Josep Borrell meinte, mit dem Urteil verstoße Russland gegen internationale Verpflichtungen zur Rechtsstaatlichkeit.

Man müsse auch über neue EU-Sanktionen reden, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert im Namen der Bundesregierung am Mittwoch in Berlin. „Das weitere Vorgehen wird im Kreis der europäischen Partner zu besprechen sein, weitere Sanktionen sind nicht ausgeschlossen.“ Beim letzten Treffen der EU-Außenminister war das Thema jedoch nicht zuletzt auf deutschen Wunsch vertagt worden.

Gegen neue Strafmaßnahmen sprach sich der Linken-Politiker Gregor Gysi aus. „Ich plädiere im Verhältnis zu Russland für einen Wandel durch Annäherung“, sagte der außenpolitische Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion der taz. „Die permanente Androhung von Sanktionen und auch ihre Verhängung schließt eine solche Politik aus. Das imponiert immer weniger und wird oppositionelle Kräfte in Russland nicht schützen.“

Nawalnys Inhaftierung und den Widerruf der Bewährung könne man allerdings „nur verurteilen“. „Das ist weder angemessen noch nachvollziehbar“, sagte Gysi.

Offen für Sputnik V

In Brüssel herrscht derzeit noch Rätselraten über das weitere Vorgehen. Borrell will am Freitag sogar zu Gesprächen nach Moskau reisen. Auch von der Leyen ging auf Russland zu. Die CDU-Politikerin sagte, sie sei offen für die Zulassung des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V. Zuvor müssten aber „alle Daten“ auf den Tisch.

Im Europaparlament wird derweil der Ruf nach Sanktionen lauter. Die Verurteilung Nawalnys zu Lagerhaft und die Repressionswelle gegen die Opposition zeige, dass die Führung in Moskau „nicht mehr autoritär, sondern totalitär“ agiere, sagte der grüne Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky der taz. Deshalb müssten die gesamten Beziehungen mit Russland auf den Prüfstand.

Dies gelte auch für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und das umstrittene Pipeline-Projekt Nord Stream 2. Lagodinsky will neue Projekte an drei Vorbedingungen knüpfen: die Einhaltung der Menschenrechte, die Eindämmung von Korruption und die Vermeidung von Schaden für die inner­europäische Zusammenarbeit. Nur wenn alle drei Bedingungen erfüllt wären, könne man mit Moskau noch Geschäfte machen.

Bei Nord Stream 2 sei dies nicht der Fall, so der Grünen-Politiker. Das Projekt müsse daher sofort gestoppt werden. Dies hatte zuletzt auch Frankreich gefordert. Deutschland sei mit seiner Haltung zu Nord Stream 2 völlig isoliert, kritisierte Lagodinsky. „Es ist mir langsam peinlich, die deutsche Politik zu erklären“, fügte er hinzu. Berlin verliere international an Glaubwürdigkeit.

Klare Ansage

Bei seiner Reise nach Moskau müsse Borrell sich auch mit Nawalny und Vertretern der Opposition treffen, forderte Lagodinsky. Der Kreml-Kritiker sei zu einer Symbolfigur für eine neue demokratische Opposition geworden. Der EU-Außenvertreter müsse der russischen Führung klar aufzeigen, was für sie auf dem Spiel stehe.

Skeptisch äußerte er sich zu einer möglichen Kooperation bei Impfstoffen. Sputnik V könne vom Kreml für Propaganda ausgeschlachtet werden. Berlin scheint dies nicht zu stören: Auch Kanzlerin Angela Merkel hat sich offen für eine Zusammenarbeit mit Russland bei Vakzinen gezeigt. Nun zieht auch die EU nach.

Mitarbeit: Tobias Schulze

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Ich bewundere immer wieder die sinn- und argumentfreien Polemiken eines Rolf B.

    Wenn man keine sachlichen Argumente hat, dann muss man mit unsachlichen Polemiken ("Kettenhund", "einfältiges Sanktionsgeschrei") reagieren.

    Im Übrigen: Heiko Maas habe ich noch nie schreien gehört, geschweige denn ein "einfältiges Sanktionsgeschrei".

    Und die Frage, für wen Mass arbeitet, ist auch ganz einfach zu beantworten: für mich, für Sie und für alle Deutschen, denn wir müssen uns für die von der russischen Diktatur unterdrückten Menschen einsetzen und dürfen nicht einfach wegschauen, wenn dort Menschen ermordet, vergiftet und rechtsstaatswidrig eingesperrt werden.

    Und dann sei die Frage erlaubt: Was hat das alles mit Assange zu tun? NICHTS! Der Verweis auf Assange soll hier lediglich vom Thema ablenken.

  • Ja! Respekt der politischen Weitsicht all derer, die da eine Erneuerung der Brandt/Bahr Strategien von "Wandel durch Annäherung" vorschlagen!...



    .. anstatt dem Horror des Totalitarismus.. durch Isolation und Sanktionen... zu dienen! In Respekt der Vakzin Kontakt idèen mit Russland verdient sogar Frau Dr Merkel Anerkenntnis im Brandtschen Sinne..



    Zudem mögen sich die EU und Herr Maas bitte an die eigene Nase fassen:



    Wieso wird der Fall Julian Assange, als Problem des Europäischen Humanismus, einfach totgeschwiegen?



    Assanges Handlungen/wikileaks sind und waren eine globale Bereicherung der Aufklärung und der Notwendigkeit der Freiheit des Journalismus! Wie auch der Herr Navalny in Russland, auf seine art.. eben aktiv ist, der Aufklärung und der Freiheit des Journalismus in Russland zu dienen!



    Für Herrn Navalny Freiheit zu fordern, aber Assanges Tortur in UK quasi durch Ignoranz zu legitimieren?



    Gehts noch? Kein Wunder, der Vertrauensverlust der Politik in der Jugend... in der EU.. als auch in Russland..

  • Dass Nord Stream 2 gestoppt werden muss, ist keine Erfindung der USA. Das Projekt ist energiepolitisch sinnlos, weil es bereits genug Leitungen gibt. Dazu die Unterstützung einer Diktatur.



    Sollte es jedoch mit dem Schicksal Nawalnys verknüpft werden: Ist er denn der lupenreine Demokrat? Alles was man über ihn liest, legt das nicht nahe. Der macht sein nationalistisches Ding. Fand die Okkupation der Krim okay z.B.

    • @Vigoleis:

      Mit dem "energiepolitisch sinnlos" haben Sie ja recht, trotzdem wäre der Projektstopp kontraproduktiv, das habe ich an anderer Stelle schon Mal zu erklären versucht. Nochmal:

      Nordstream 2 hat für Herrn Putin und seine Freunde den Zweck weitgehend erfüllt: Für den russischen Teil der Finanzierung, rund 5 Mrd Euro für die Pipeline, und nochmal 5 Mrd für das russlindeinterne Zuleitungsnetz, hat Gazprom sich bei russischen Banken verschuldet, das Geld hat sich Putins Spezi Timtschenko, der die Pipeline baut, längst eingesackt, und Gazprom (=russischer Steuerzahler), wird diese Schulden jahrelang zurückzahlen. Wenn die Bundesregierung ihre Genehmigungen für dieses Projekt jetzt widerruft, werden Gazprom und die deutschen Co-Finanziers (nochmal 5 Mrd) die Hand aufhalten und sich für ihr willkürlich gestopptes Energie-Infrastrukturprojekt völlig zurecht, unter Berufung auf den Internationalen Energiecharta-Vertrag, mit 15 Mrd Euro (plus X für entgangene Gewinne etc.) vom deutschen Steuerzahler entschädigen lassen. Da freut sich Herr Putin ein zweites Mal, und das Mantra von den "unzuverlässigen Partnern im Westen" wird durch alle Propagandakanäle gejagt. Das Deutschland Entschädigungen zahlen müsste, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Rechtslage ist absolut eindeutig.

      Die Politiker (in diversen Parteien) die öffentlich den Abbruch fordern, haben entweder so wenig Ahnung von der Materie, dass sie sich mal besser zurückhalten und andere machen lassen sollten. Oder sie wissen das alles ganz genau und wollen sich nur billig profilieren, in der Gewissheit, dass ihre leeren Forderungen ohne Folgen bliebe werden.

      Und diejenigen, die (weil sie das natürlich alles genau wissen) öffentlich rumdrucksen und am Projekt festhalten, sollten der Öffentlichkeit einfach mal klipp und klar erklären, warum, auch wenn es ein komplettischer politischer Offenbarungseid ist.

      Und dann sollte man sich mit sinnvollen Maßnahmen befassen, nämlich Sanktionen gegen Schlüsselpersonen.

    • @Vigoleis:

      Aber es kommt doch bei Nawalny nicht darauf an, ob er ein lupenreiner Demokrat ist! Auch nichtlupenreine Demokraten dürfen nicht vergiftet und rechtsstaatswidrig eingesperrt werden. Im übrigen isz Wladimir "Nowitschok" Putin auf jeden Fall viel weniger demokratisch als Nawalny.

  • „Ich plädiere im Verhältnis zu Russland für einen Wandel durch Annäherung“



    damit stimmt wohl selbst Hr. Gysi einer Veränderung unserer Demokratie hin zu einer Kleptokratie zu! Eine brandgefährliche Aussage. Oder hat er mal wieder etwas "gesagt" was er so nicht gemeint hat?



    Wie oft sollen wir denn noch unsere "Klappe" halten, nur um günstig an Geld, Energie oder Impfstoff zu kommen, und dafür auf die Menschenrechte verzichten?



    Geht`s eigentlich noch Hr. Gysi!

    • @Sonnenhaus:

      Ooh, da fehlt etwas @SONNENHAUS...



      "Wandel durch Annäherung" war ja nun mal primär in der 'Entwicklung zur Abwicklung' des Kalten Krieges.. als auch zur friedlichen Vereinigung von BRD und DDR.. (worin die NATO als auch UDSSR Militär kaum ne Rolle spielten)..



      wie auch dereinst nord stream I und II als zivile Symbole von Frieden galten.. usw...

  • Ich bewundere immer wieder die Tatsache, dass ein Herr Maas wie ein Kettenhund reagiert, wenn es darum geht, ein Handlungskonzept mit Moskau zu entwickeln, das auf einfältiges Sanktionsgeschrei verichtet. Hat sich das denn jemals positiv ausgewirkt?



    Maas befriedigt doch nur das Ansinnen seiner transatlantischen Freunde. Und das auf Kosten einer eigenen souveränen Strategie. Für wen arbeitet Maas eigentlich?



    Ich wünschte mir, er würde mit gleichem Engagement für die von den USA gefolterten oder den in England gefolterten Gefangenen wie z.B. Julian Assange eintreten. Aber Menschrechtsverletzungen im Nato Freundekreis sind offensichtlich nicht der Rede wert. Diese Heuchelei ist unerträglich.

    • @Rolf B.:

      Ja @ROLF B....