Kritik am Impfprogramm: Hilflose Effekthascherei
Viele Mängel bei der Impfstoffbeschaffung sind systembedingt. Mit Lieferketten und Produktionsstandorten kennt sich die Privatwirtschaft besser aus.
E s muss doch jemanden geben, der an dem derzeitigen Impfchaos Schuld trägt. Die Bundesregierung. Die Länder. Die EU-Kommission. Die Konzerne. Patente. Kapitalismus. Jens Spahn. Die Medien. Doch vermutlich kann es in Sachen Impfstoffe nicht wesentlich schneller gehen – weil das System, in dem wir leben, an seine Grenzen kommt. Daran ändert auch der Impfgipfel von Bund und Ländern nichts.
Möglichst viel EU, um keinen „Impfnationalismus“ zuzulassen? Heißt aber auch wenig effektive Entscheidungswege. Dass Israel, Großbritannien und selbst die bis vor Kurzem noch dilettantisch regierten USA schneller impfen, ist die logische Konsequenz und ein Ergebnis einer anderen Widersprüchlichkeit. Zumindest in Deutschland, bis vor kurzem EU-Ratspräsident, wollte man eine EU, die gute Konditionen aushandelt und die Pharmakonzerne in Haftung nimmt, falls die Vakzine Schäden hervorrufen, und bitte schön nicht zu viel Profit für „die Industrie“. Also waren andere schneller beim Bestellen.
Natürlich ist es richtig, aufzuzeigen, wo es ein Versagen bei der Impfstoffbeschaffung gegeben hat. Aber vieles ist systembedingt. Hektische Rufe nach „Notimpfstoffwirtschaft“ (Robert Habeck) oder staatlichem Produktionszwang (Markus Söder) sind hilflose Effekthascherei. Der Ruf nach einer starken Hand klingt toll in konservativen Ohren, wo man auf taffe Macher steht, und super in linken Ohren, wo man staatliche Eingriffe in die Pharmaindustrie immer gut findet.
Das Problem ist aber: Das Wissen um globale Lieferketten und geeignete Produktionsstandorte liegt in der Privatwirtschaft. Das lässt sich nicht von der grünen Parteizentrale oder der Bayerischen Staatskanzlei aus zurückdelegieren. Bis Ministerien wissen, wie Impfstoffe am besten produziert werden, ist der Südpol eisfrei. Besser wäre ein anderer Weg: Pharmakonzernen sehr hohe Profite für schnellere Lieferungen anbieten, verbunden mit der Pflicht, Lizenzen an andere Unternehmen zu vergeben, die mit einspringen können. Nicht schön. Aber ein Ergebnis unseres Systems.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen