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Kanzleramtschef und SchuldenbremseKompromisslinie für Schwarz-Grün?

Kanzleramtschef Helge Braun denkt darüber nach, die Schuldenbremse auszusetzen. Für eine Koalition mit den Grünen könnte der Vorstoß hilfreich sein.

An der Uhr drehen: Wirft die Union die Schuldenbremse über Bord? Foto: Julian Stratenschulte/dpa

BERLIN taz | Bisher wirkte die künftige Finanzpolitik der Union wie eine Quadratur des Kreises: CDU und CSU planen über die komplette Soli-Abschaffung eine saftige Steuersenkung für Reiche. Sie wollen trotz der immensen Verschuldung durch die Coronapandemie weiter investieren, aber auch irgendwie die Schuldenbremse einhalten. Fachleuten schwante, dass das schwer zusammenzubringen sein würde.

Doch nun, rechtzeitig vor dem Bundestagswahlkampf, gibt es einen realistischeren Ansatz von Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). Braun skizzierte in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt, wie er sich die künftige Finanzpolitik vorstellt. Tenor: Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll befristet aufgeweicht – und Steuererhöhungen für Reiche ausgeschlossen werden. „Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten“, schrieb Braun.

Der Merkel-Vertraute schlug vor, eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden, „die begrenzt für die kommenden Jahre einen verlässlichen degressiven Korridor für die Neuverschuldung vorsieht und ein klares Datum für die Rückkehr zur Einhaltung der Schuldenregel vorschreibt.“ Braun warb außerdem für den Verzicht auf Steuererhöhungen und für die Begrenzung der Sozialversicherungsbeiträge bei höchstens 40 Prozent des Bruttolohns.

Der Vorstoß aus dem Kanzleramt sorgte für eine heftige Diskussion innerhalb der Union. Heftige Kritik kam aus der Bundestagsfraktion. Brauns Vorschlag sei seine „persönliche Meinung“, sagte der haushaltspolitische Sprecher Eckhardt Rehberg: „Die Unionsfraktion im Bundestag hält an der Schuldenbremse im Grundgesetz fest.“ Solide Staatsfinanzen seien für die Unionsfraktion nicht verhandelbar. Ähnlich äußerte sich der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann.

Vorgeschmack auf schwarz-grün?

Bei CSU-Chef Markus Söder, der beim Wahlkampfkurs ein gewichtiges Wort mitzureden hat, lohnte es sich, genau auf die Formulierung zu achten. „Das wäre ein falsches Signal“, sagte Bayerns Ministerpräsident. „Wir sehen ein dauerhaftes Aussetzen der Schuldenbremse sehr skeptisch.“ Aber: Von einem „dauerhaften“ Aussetzen der Schuldenbremse war bei Braun nirgendwo die Rede. Söder öffnete also bereits eine kleine Tür.

Der Koalitionspartner signalisierte Gesprächsbereitschaft. Der Vorschlag mache deutlich, dass die bisherigen Aussagen zur Finanz- und Haushaltspolitik aus der Union „nicht haltbar“ seien, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider der taz. „Zu Gesprächen über eine zukunftsorientierte Reform der verfassungsrechtlichen Schuldenregel ist die SPD bereit.“ Allerdings müsse die CDU klären, ob der Vorstoß aus dem Kanzleramt nur ein medialer Testballon gewesen oder zumindest mit dem neuen CDU-Vorsitzenden Laschet abgestimmt sei.

Auch unter ÖkonomInnen sorgte der Vorschlag für eine muntere Debatte. „Damit würde die Union den Markenkern solider Haushaltspolitik aufgeben“, twitterte Lars Feld, der Chef der so genannten Wirtschaftsweisen. Marcel Fratzscher hingegen, der Präsident des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW), lobte den Vorschlag als „richtig und konsequent“. Die wirtschaftliche Erholung, Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz, die digitale Transformation und stabile Sozialsysteme sollten Vorrang vor der Schuldenbremse haben, so Fratzscher.

Falls sich Brauns Position in der Union durchsetzt, wäre auch schon eine Kompromisslinie in der Finanzpolitik für eine schwarz-grüne Koalition beschrieben. Die Grünen wollen die Schuldenbremse lockern und mit einer Investitionsregel verbinden. „Spannend, die ideologische Front bei der Union bröckelt“, kommentierte Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler die Debatte. Allerdings fordern die Grünen Mehrbelastungen für Reiche, etwa über eine Vermögensteuer – Konfliktstoff bliebe also genug.

Die Angelegenheit ist auch ein Hinweis darauf, wer in der Union die Hosen an hat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Bundeskanzlerin in den Vorstoß ihres Vertrauten eingeweiht war. Armin Laschet, der neue CDU-Chef, aber wohl eher nicht – wie es der Sozialdemokrat Schneider schon vermutete. Laschets Generalsekretär Paul Ziemiak erklärte jedenfalls am Dienstag, dass sich die CDU klar zur Schuldenbremse bekenne. Nach der Krise müsse man so schnell wie möglich wieder zu soliden Haushalten zurückkommen. Das klang etwas angefressen.

Es bleibt also spannend in der CDU. Braun bemühte sich, die Debatte am Dienstagnachmittag via Twitter wieder einzufangen – und beteuerte: „Ich liebe die Schuldenbremse.“ Statt des Verbs „lieben“ nahm er ein rotes Herzchen. Sicher ist sicher.imeinung & diskussion

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1 Kommentar

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  • Ein freudscher Artikel. Laschet direkt so: NICHT MIT MIR.