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Ungerechte Impfstoff-Verteilung„Feigenblatt der Reichen“?

Das Covax-Programm soll Impfstoffe auf der ganzen Welt fair verteilen. Aber Anspruch und Realität klaffen bisher weit auseinander.

Ob und wann die Straßenverkäuferinnen in Südafrika geimpft werden, ist fraglich Foto: Themba Hadebe/ap

Kapstadt taz | „Impfstoffe gegen Covid-19 müssen globale öffentliche Güter sein, die für alle Länder zugänglich und bezahlbar sind“ – so begründete die Bundesregierung im September 2020 Deutschlands Beitritt zu dem globalen Impfprogramm Covax. Sie verpflichtete sie sich zur Zahlung von 675 Millionen Euro für beschleunigten Zugang und verbesserter Diagnostik. „Die Pandemie kann nur besiegt werden, wenn sie weltweit unter Kontrolle gebracht wird“, hieß es: „Niemand ist sicher, bis alle sicher sind.“

Covax, geleitet von der Weltgesundheitsorganisation WHO sowie den internationalen Epi­demiebe­kämpfungs­or­ga­ni­sa­tionen Gavi und Cepi, wurde im April 2020 ins Leben gerufen. Weltweit sind bisher 190 Staaten beigetreten, wobei weder die USA noch Russland dabei sind. China trat im November bei. Die Idee: Die reichen Länder finanzieren über Covax Impfstoffe für die armen Staaten. UN-Generalsekretär António Guterres sprach vom „einzig gangbaren Weg zu fairer und gerechter Impfstoffverteilung überall auf der Welt“.

Das Impfprogramm hat sich nach eigenen Angaben etwa 2 Milliarden Covid-19-Impfdosen von den Herstellern gesichert, von denen mindestens 1,3 Milliarden den 92 Covax-Mitgliedsländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zur Verfügung gestellt werden, um die am stärksten gefährdeten 20 Prozent ihrer Bevölkerungen bis Ende 2021 impfen zu können.

Doch ein Aktivist der Kampagne „Impfstoffe für Süd­afrika jetzt!“ nennt Covax „ein Feigenblatt der Reichen, um nationale Geschäftemacherei mit Pharmakonzernen zu verschleiern“. So gibt es bislang keine Zusagen, dass arme Länder auch Unterstützung dafür erhalten, die für sie geeigneten Impfstoffe selbst zu produzieren. Dies erst brachte vor vielen Jahren den Durchbruch bei der weltweiten Aidsbekämpfung, der jetzt als Vorbild für die Covid-19-Impfkampagnen gilt.

Von den 98 reichen Ländern im Covax-Programm haben die meisten inzwischen nationale Absprachen mit Pharmafirmen getroffen und sich die größten Anteile an bereits oder in Kürze zugänglichen Impfstoffen selbst gesichert – oft ein Mehrfaches dessen, was sie selbst brauchen. Die Befürchtung ist, dass die Armen dann warten müssen auf das, was übrig bleibt. Die Macht der Pharmakonzerne bleibt unangetastet.

Patentrechte verhindern eigene Produktion

Medico interna­tio­nal und die BUKO Pharma Kampagne mit ihrer Protestaktion „Patente töten!“ weisen darauf hin, dass die Preise für Impfstoffentwicklung und Produktion über die Patentrechte geschützt sind, während die Rechte von Patienten dem untergeordnet bleiben. Inzwischen hat auch Ärzte ohne Grenzen einen Aufruf „Für globale Solidarität in der Pandemie“ veröffentlicht.

Derzeit laufen die Bewerbungen der armen Länder, in denen sie bei Covax ihre Impfpläne einreichen, aufgrund deren dann die Impfstoffverteilung erfolgen soll. Doch die Finanzierung ist noch nicht gesichert. Laut WHO konnten bisher erst 2,1 Milliarden US-Dollar bereitgestellt werden – bei einem Gesamtbudget von 7 Milliarden US-Dollar, das nötig ist, um wenigstens die Zusage der Impfung von 20 Prozent der Bevölkerungen armer Länder bis Ende 2021 einhalten zu können.

Ein von Covax beauftragter Experte der US-Finanzberatung CITI warnt: Wenn es nicht gelingt, in Kürze die fehlenden 4,9 Milliarden US-Dollar aufzutreiben, „könnte es sein, dass manche armen Länder erst 2024 mit dem Impfen beginnen können.“

Länder, die es sich leisten können, setzen daher nicht allein auf Covax. Südafrika, das mit aktuell über 36.000 Toten fast die Hälfte der in Afrika an Covid-19 Verstorbenen verzeichnet und wegen der neuen Virusmutation 501.V2 mit einer Ausweitung der Pandemie rechnet, setzt prioritär auf den AstraZeneca-Impfstoff aus Indien, den das Serum Institute dort produziert. Noch im Januar sollen die ersten von insgesamt 1,5 Millionen Dosen eintreffen und ab Februar Ärzte und medizinisches Pflegepersonal geimpft werden. Weitere 20 Millionen Dosen sind laut Präsident Cyril Ramaphosa bereits in direkten Verhandlungen mit Pharmafirmen bestellt und sollen im ersten Halbjahr 2021 in Südafrika zur Verfügung stehen.

Die Logistik für umfangreiche Impfungen fehlt

Weiteres Ziel ist, bis Ende 2021 mehr als 60 Prozent aller 58 Millionen Südafrikaner*innen zu impfen, um dadurch Herdenimmunität für alle zu erreichen. „Völlig unrealistisch“, meint dazu der Vorstand der Medizinischen Assoziation Süd­afrikas (Sama). „Dann müssten wir ab sofort täglich rund 150.000 Menschen impfen – dafür fehlen bislang alle logistischen Bedingungen.“

Doch erst an letzter Stelle nennen die südafrikanischen Regierungspläne Covax, vor allem weil die Entscheidung da­rüber, wer welchen Impfstoff ab wann erhalten kann, nicht ausreichend transparent ist.

Als derzeitiger Vorsitzender der Afrikanischen Union brachte Ramaphosa außerdem eine neue Initiative mit auf den Weg, nach der AU-Mitgliedsstaaten bei der Afreximbank (African Bank for Ex- and Import) Impfstoffbestellungen aufgeben können. Demnach stünden ab April die ersten 50 Mil­lionen von 270 Millionen Dosen bis Jahresende für arme Länder in ­Afrika ohne Eigenfinanzierung zur Verfügung.

Und gemeinsam mit Indien hat Südafrika bei der Welthandelsorganisation beantragt, dass während der ­Coronapandemie alle Vorschriften zum Patentschutz für Medikamente außer Kraft gesetzt werden, um dadurch die Produktion von Impfstoffen auch in ärmeren Ländern zu ermöglichen.

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6 Kommentare

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  • Eine halbwegs gerechte Verteilung kann sich nur an demografischen Faktoren orientieren. Demnach haben Deutschland, Japan und Italien als älteste Gesellschaften der Welt mit den meisten Hochbetagten nun mal Anspruch auf mehr Impfstoff als Indonesien, wo höchstens zehn Prozent der Menschen auch nur über 60 Jahre alt ist.

    • @Suryo:

      Exakt. Man schaue sich nur mal die Todeszahlen in GB, F, ES oder IT an.

      Zudem fehlt den armen Ländern schlicht die Infrastruktur zur Aufrechterhaltung der Kühlkette von -80C bei dem mRNA-basierten Impfstoffen. Das Zeug wäre bei einer Lieferung schlicht vergammelt. Die Vektor-Impfstoffe von AZ, J&J oder das zeug von Sinopharm sind im Kühlschrank haltbar und somit für diese Länder geeignet.

      • @MGlover:

        Achso, weil sie keine Infrastruktur haben, sollen sie auch nichts erhalten und lieber "warten und krepieren". Ahh ja.



        So ähnlich wie die Corona-Leugner die auf die "schwachen Krankheitsverläufe" bei den jüngeren setzen und gerne dabei Oma und Opa verrecken lassen wollen. Ohhh warte, nein wenn es die eigene Oma/Opa treffen würde, dann ist man ja ähnlich schnell wie die AfD am heulen warum es nicht genug Impfstoff gibt. Schöne Doppelmoral...

        Die WELT hat dafür sorge zu tragen, dass auch die kleinen, existenzschwachen Länder davon profitieren. Denn wir werden auch diesen Virus nicht dadurch wegbekommen in dem WIR uns hinter eine Geimpft-Mauer verstecken und hoffen danach kommt keiner mehr mit Mutationen zu uns etc. Aber Weitblick, Solidarität ist ja in der heutigen Zeit schlicht ein Fremdwort..

        • @Daniel Drogan:

          Sie verstehen es nicht und schlagen deshalb mit Ihrer Ideologiekeule um sich.

          Das Problem ist, dass diese mRNA-Impfstoffe sehr fragil und temperatursensitiv sind. Sie können das Zeug natürlich tonnenweise in diese Länder verschicken. Aber wenn nicht gewährleistet ist, dass "-80 Grad Celsius Kühlschränke" vorhanden sind (und die sind echt teuer) und 24h Stromzufuhr gegeben ist, wird Ihnen das Zeug kaputtgehen bevor Sie auch nur eine Person geimpft haben. Die Vektorimpfstoffe von AZ und J&J müssen nur bei 4C (also bei normaler Kühlschranktemperatur) und sind deshalb besser geeignet.

          Zum zweiten ist auch die Produktion für mRNA-Impfstoffe in diesen Ausmassen noch teuer und nicht so ausgereift im Vergleich zu den Vektorimpfstoffen, die bereits etwas länger bekannt sind und bei denen Produktionsprozesse optimiert und billig sind.

  • „Doch ein Aktivist der Kampagne „Impfstoffe für Süd¬afrika jetzt!“ nennt Covax „ein Feigenblatt der Reichen, um nationale Geschäftemacherei mit Pharmakonzernen zu verschleiern““



    Damit kann D. gewiss nicht gemeint sein. Denn in letzter Zeit habe ich immer nur klagen gehört, dass die für D. georderte Impfstoffmenge viel zu gering sei!

    • @Pfanni:

      Also in der Form, weniger so schlimm, ist schon eigentlich ganz gut? Die EU bekommt trotzdem zügig und viele Impfdosen. Hier hätte man direkt international agieren sollen. Alle Pharmaunternehmen die von zig Ländern Milliarden-Beträge für die Entwicklung und Freitestung bekamen, hätten unter den Schirm der Vereinten Nationen gehört. Und dann wäre dort die Verteilung durchgeführt worden. Nun ist es so das jedes Land selbst, mal mehr und mal mit weniger Geld, sich seinen Anteil "reserviert" hat.

      Die armen Länder schauen wieder in die Röhre und die Faschos werden wieder begeistert feiern, hey Geflüchtete bringen Krankheiten mit wenn sie Asyl suchen, doch dabei sind wir selbst Schuld. Sowohl für die Asylströme, wie auch das in anderen Ländern Krankheiten es noch gibt, weil wir sie nicht grundlegend bekämpfen wollen. Sondern jeder seinen egoistischen Weg geht!