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Buch „Ten Cities“ über ClubkulturMusik lässt sich nicht aufhalten

Der Band „Ten Cities“ zeigt die Clubkultur von zehn afrikanischen und europäischen Städten von 1960 bis heute – und ist so massiv wie ein Telefonbuch.

Openair Kuduro-Party in Luanda, Angola im Jahr 2015 Foto: Anita Baumann

Als der Blog africaisacountry.com vor einiger Zeit titelte, „#Breaking News: New York Times entdeckt, dass afrikanische Künstler das Internet benutzen“, war dies die ironische Reaktion auf ein eigentlich wohlmeinendes, gut recherchiertes Porträt der US-Zeitung über Pioniere der elektronischen Musik Nairobis. Zwischen den Zeilen wurde dennoch das Exotische an den kenianischen Musikern und ihrem Erfolg betont und damit die übliche herablassende Sichtweise bestätigt: dass Popmusik aus Afrika nicht auf der Höhe der Zeit ist.

Das ist nur eines von vielen erhellenden Details aus dem Reader „Ten Cities. Clubbing in Nairobi, Cairo, Kyiv, Johannesburg, Naples, Berlin, Luanda, Lagos, Bristol, Lisbon. 1960–March 2020“.

Das beim Leipziger Verlag Spector Books auf Englisch veröffentlichte Buch hat annähernd die Größe und das Gewicht von einem alten gelben Telefonbuch, es ist ein voluminöser, üppig bebilderter Reader, nicht nur für Nerds und Clubber:Innen, Stadt- und Musikhistoriker:Innen. 25 Autor*innen liefern tief schürfende Einblicke in Clubszenen und deren Geschichten von zehn Städten in Afrika und Europa, ihre Recherchen gehen über die bekannten Party-Metropolen hinaus.

Ephemere Orte

Wobei Clubs in „Ten Cities“ weniger durchgebrandete Kommerzläden meint, sondern eigentlich alle Orte, an denen Menschen zusammenkommen, um Musik zu hören, miteinander zu tanzen, sich unter Alkohol und Drogen vom Bass tragen zu lassen und einzutauchen in eine eigentümlich fluide Welt non-verbaler Kommunikation; Orte, die oft kurzlebig und ephemer sind – und morgen legendär.

Dave Morales im My Way Club in Neapel, Italien im Jahr 1992 Foto: Giovanni Calemma

Etwa Kellerlöcher im Berlin nach dem Mauerfall. Oder stillgelegte Zisternen des Aquädukts und „heimliche“ Räume, versteckt in Innenhöfen, wie in Neapel, wo im Schatten des Vulkans in den 1980er Jahren eine Vesuwave genannnte Szene entstand, die süditalienische Variante des New Wave.

Im ukrainischen Kiew wiederum feierte, wer es sich leisten konnte, in den 1990ern am Ufer des Dnjepr ebenso hedonistisch wie in verlassenen Industriehallen und Tunnelanlagen; während bis heute viele Heranwachsende im angolanischen Luanda in Candongueiro-Sammeltaxen und in Kenias Hauptstadt Nairobi in Matatu-Kleinbussen musikalisch sozialisiert werden. Und andernorts reichen Boxentürme auf einer Brachfläche unter freiem Himmel für eine gute Blockparty aus.

Labore des Politischen

Beim Querlesen und Betrachten der vielen Fotos fällt zweierlei auf: zum einen, wie lokal unterschiedlich und differenziert die hybriden Clubkulturen, ihre Codes und Styles sind – und wie wichtig diese Kulturen wiederum für die Identität der Städte. Zum anderen, dass Clubbing durchaus politisch ist; dass es, bei allen Ambiguitäten und Exklusionen, als gelebte Praxis einen Möglichkeitsraum für Begegnungen und Erfahrungen öffnet – so wie bereits die Soundsystem-Partys karibischer Einwanderer im Großbritannien der Siebziger eine alternative Aneignung des öffentlichen Raums waren.

DJ Invizable im Orange Farm Township Johannesburgs, Südafrika 2015 Foto: Chris Saunders

Johannes Hossfeld ­Etyang, ­einer der drei Heraus­­ge­ber:In­nen, definiert Clubs in „Ten Cities“ als „Labore des Politischen“, als Prismen, welche die Überschneidungen und Unterschiede zwischen der „inneren Sphäre des Sounds (in der Nacht)“ und dem „Draußen, der Gesellschaft bei Tageslicht“, sichtbar machen können.

Clubsounds aus Afrika

Das Buch will darüber hinaus vor allem eines: der Clubkultur Afrikas zu ihrem Recht verhelfen. Denn seit mehr als 50 Jahren, so schrei­ben neben Hossfeld Etyang Joyce Nyai­ro und Florian Sievers einleitend, haben afrikanische Kulturen der globalen Clubszene „ständig neue Ideen, Genres und Sounds“ geliefert – von Highlife bis zum neuen großen Ding, den Afrobeats, dessen Songs inzwischen auch in den europäischen und nordamerikanischen Charts landen. „Man könnte sogar argu­mentieren, dass viele der elementaren Komponenten des zeitgenössischen Clubbing zuerst in Afrika praktiziert wurden.“

The Jazzolomos im Jahr 1953 in Johannesburg, Südafrika Foto: Jürgen Schadeberg

Doch obwohl Musik das alltägliche Leben in den afrikanischen Metropolen zwischen Kairo und Kapstadt bestimmt, spielt das in der hegemonialen Wahrnehmung des Nordens kaum eine Rolle. Der afroamerikanische Einfluss auf Techno aus Detroit ist zwar hinlänglich thematisiert, jener Afrikas auf die populäre Tanzmusik aber bisher weniger.

Swinging Sophiatown

Von Geschichten zu erfahren wie der von Sophiatown, einem damaligen Vorort Johannesburgs, ist darum umso wichtiger. Es war eine eher verrufene black neighbourhood und wurde in den 1950ern Keimzelle des südafrikanischen Jazz. Dann kamen trotz der Apartheid-Repressionen auch weiße Studenten ins Viertel, um Marabi-Jazz und die Sängerin Dolly Rathebe zu hören.

Die Schriftstellerin Nadine Gordimer tanzte hier erstmals mit einem schwarzen Südafrikaner. Autoren des legendären Magazins Drum lebten und feierten in swinging Sophiatown – darunter der deutsche Fotograf Jürgen Schadeberg, von dem das Buch einige Bilder enthält.

Vieles in „Ten Cities“ weckt Erinnerungen an Paul Gilroys berühmte Thesen vom „Black Atlantic“-Kulturtransfer, doch betont es die Wechselwirkungen zwischen Afrika und Europa stärker – und macht den komplementären Raum eines „Black Mediterranean“ auf (– eine Verbindung, die mittlerweile täglich Tote fordert, weil Europa sich in eine Festung verwandelt).

Luanda-Lissabon-Connection

Ein Beispiel dafür ist der Kuduro. Der in Luanda Anfang der Neunziger aus Semba und Zouk, HipHop und House entstandene rasante Musikstil wurde von angolanischen Migranten in den Vorstädten Lissabons (zunächst vom Buraka Som Sistema, später vom Label Príncipe) mit weiteren Elektro-Elementen angereichert, um von dort aus als progressive Kuduro auf den Tanzflächen westlicher Clubs zu landen.

Eine „Meerjungfrau“ in Lagos, Nigeria 2018 Foto: Mike Calandra Achode / Tommaso Cassinis

Wer einen Eindruck von der Frische gerade neuer elektronischer Musik aus Afrika bekommen möchte, vom allgegenwärtigen Spiel mit Masken und Identitäten, sollte in die aufgezeichneten Showcases und DJ-Sets vom Nyege-Nyege-Festival aus Uganda reinschauen, dessen jüngste Ausgabe am ersten Dezember-Wochenende stattfand (wenn aus bekannten Gründen auch nur digital).

Ein Fokus lag auf der Gqom-Szene Durbans. In der Stadt am Indischen Ozean wurde bereits vor zehn Jahren aus House, südafrikanischen Kwaito und Techno ein neuer – so synkopierter wie düsterer – Clubstil kreiert, der heute noch quicklebendig ist. Inspirierend war bei Nyege-Nyege auch wie REY Sapienz in seinem Congo-Dadaismus-Set die Gitarren des Soukous bis zur Unkenntlichkeit verzerrte.

Dafür, warum ausgerechnet die Beziehung zwischen Afrika und Techno keine Liebe auf den ersten Beat war, liefert „Ten Cities“ auch eine naheliegende Erklärung: Weil afrikanische Musik rhythmisch eben oft komplex ist, durchsetzt mit Synkopen, ist Pumpen im 4/4-Takt nicht gerade attraktiv. Inzwischen haben sich die Vorzeichen aber erfreulicherweise gewendet und anspruchsvollere Beats mit afrikanischen und arabischen Einflüssen sind global häufiger zu hören.

Hervorgegangen ist „Ten Cities“ aus einem vom Goethe-Institut 2012 in Nairobi initiierten musikalischen Austauschprojekt gleichen Namens, bei dem 2014 bei Soundway Records eine Compilation mit Kooperationen veröffentlicht wurde. Acht Jahre nach Beginn liegt nun der wuchtige Reader vor, der weniger stylish als gehaltvoll ist (was wieder zeigt, dass es sich am Ende lohnen kann, wenn solche Projekte über einen längeren Zeitraum laufen und entsprechende Ressourcen erhalten).

Grundlagenwerk zu 60 Jahre Ausgehen

Das Buch ist kein Loblied auf stumpfes „Abfeiern“, reflektiert in den Kapiteln über „Spaces/Politics“ vielmehr Widersprüche, urbane und politische Zusammenhänge – wenn die Architektin Ângela Mingas etwa über die Ölstadt Luanda schreibt, durch den Bauboom seien die alten Gebäude „eines nach dem anderen wie die Steine bei einem Dominospiel unter der Gewalt der zerstörerischen Kräne“ gefallen, „alles im Namen eines fortschrittlichen Luanda“. Oder wenn es aus Nairobi heißt, der Stempel als City of slums gehe an der komplexen Wirklichkeit vorbei, denn Kenias Hauptstadt sei „höchst divers“, auch musikalisch.

Man kann „Ten Cities“ ein Grundlagenwerk über 60 Jahre Ausgehen nennen – ein Gegenstand, bei dem Interviews und persönliche Erinnerungen oft weiter führen als ein Blick in die Archive. Auf einen Schwachpunkt weisen die Herausgeber:Innen selber hin: Wie in der Geschichtsschreibung über Techno spielen Frauen in dem Buch eine eher marginale Rolle, obwohl sie in Clubs tatsächlich eine starke Präsenz haben. Hier sei noch „viel mehr Forschung nötig“.

Ten Cities

Johannes Hossfeld Etyang, Joyce Nyairo, Florian Sievers: „Ten Cities. Clubbing in Nairobi, Cairo, Kyiv, Johannesburg, Naples, Berlin, Luanda, Lagos, Bristol, Lisbon. 1960 – March 2020.“ Spector Books, Leipzig 2020, 560 Seiten, ca. 40 Euro

So lange gilt, was der nigerianische Autor Maik Nwosu seinem Protagonisten, dem Clubmanager Faith, in dem im Nachtleben von Lagos angesiedelten Roman „Alpha Song“ (2001) in den Mund legt: „Du und ich, wir wissen, dass die Musik nichts aufhalten kann … Selbst wenn Gott sich entscheidet, der Welt ein Ende zu bereiten, und Armageddon kein Märchen ist, selbst dann wird das Wasser oder sonst was auf den Körpern der Toten Musik spielen.“

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