Schwarzer Atlantik

Die Tonspur der Sklavenschiffe: Afrika gilt als das Mutterland der Popkultur. Doch die populäre Musik aus Afrika ringt noch um globale Anerkennung

Ob Salsa oder Rap: Westliche Moden fielen in Afrika stets auf fruchtbaren Boden. Auch darum klingt die Musik oft vertraut

VON DANIEL BAX

Ob Afrika wirklich die Wiege der Menschheit ist, mag umstritten sein. Völlig außer Zweifel aber steht, dass Afrika das Mutterland der modernen Popmusik ist: Blues und Jazz, Reggae und Rap, die brasilianische und die kubanische Musik haben ihre Ursprünge in afrikanischer Musik. Denn durch den Sklavenhandel wurden viele Angehörige afrikanischer Völker wie der Ashanti und der Yoruba von den Küsten des Kontinents in die Neue Welt verschleppt. Dort begründeten sie neue Musikstile, basierend auf mitgebrachten Traditionen.

Auf den Plantagen, wo die Verschleppten aus allen afrikanischen Regionen landeten, diente die Musik als zentrales Medium der Kommunikation. Weil den Sklaven auf den Baumwollfeldern in Nordamerika aber das Trommelspiel verboten war, haben sich die komplexen Rhythmen afrikanischer Herkunft bis heute eher in Südamerika und der Karibik gehalten.

Die wichtigsten Hafenstädte, in denen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert die Sklavenschiffe anlegten, waren Salvador in Brasilien, Havanna und Port-au-Prince in der Karibik und New Orleans in den USA. Noch heute sind dies die Zentren des kubanischen Santería-Kults, der brasilianischen Candomblé-Rituale und der Voodoo-Religion, die unverkennbare Parallelen und afrikanische Ursprünge aufweisen.

Viele Sklaven konvertierten zum Christentum, bewahrten in ihren synkretistischen Ritualen und Prozessionen zum Karneval jedoch afrikanische Traditionen. Hinter der Vielzahl der katholischen Heiligen, die sie verehrten, lugt bis heute der Pantheon afrikanischer Gottheiten hervor.

In seinem Buch „The Black Atlantic“ ist der britische Soziologe Paul Gilroy diesen Verbindungen nachgegangen, sie haben auch schon viele Musiker in Afrika und der Diaspora beschäftigt. Im Zuge der weltweiten Black-Consciousness-Bewegung seit den Sechzigerjahren fand vielerorts, von den USA bis Brasilien, unter schwarzen Künstlern und Intellektuellen eine bewusste Auseinandersetzung mit afrikanischen Themen statt.

Doch davon ist, abgesehen vom plakativen Afrozentrismus mancher US-Rapper, wenig geblieben: Vorbei die Zeiten, als James Brown zum „Rumble in the Jungle“ nach Zaire reiste und Harry Belafonte seine südafrikanische Kollegin Miriam Makeba auf US-Bühnen holte. Der transatlantische Kulturaustausch beschränkt sich heute auf wenige Einzelfälle und fällt eher in die Sparte „Weltmusik“. Jenseits dessen harrt die populäre Musik aus Afrika noch immer der globalen Anerkennung.

Dabei klingt afrikanische Musik, aufgrund des globalen Siegeszugs von afrikanisch geprägten Genres wie Salsa und Rap, für westliche Ohren weit weniger fremd als, sagen wir einmal, Musik aus Asien. Im Gitarrenspiel eines Ali Farka Touré aus Mali begegnen dem westlichen Hörer Muster, die ihm vom US-amerikanischen Blues vertraut sind. Und auch Paul Simon reiste in den Achtzigerjahren nicht umsonst nach Südafrika, um dort sein „Graceland“ zu finden.

Hinzu kommt, dass die moderne Musik in Afrika ohnehin sehr stark von westlichen Einflüssen geprägt ist – insbesondere von Rückkopplungseffekten aus der afrikanischen Diaspora, auf der anderen Seite des Atlantiks. Zwar spielen jahrhundertealte Traditionen wie die der westafrikanischen Griots, der Kaste der Musiker und Geschichtenerzähler, noch immer eine große Rolle. Zugleich aber fielen westliche Moden in Afrika schon immer auf besonders fruchtbaren Boden. Schon während der Kolonialzeit wurden Jazz und kubanische Musik adaptiert. Deswegen verwundert es nicht, dass der Mbalax-Sound eines afrikanischen Stars wie Youssou N’Dour Erinnerungen an kubanische Musik hervor ruft. Heute sind es Reggae und HipHop, die sich wachsender Beliebtheit erfreuen. Doch weil in diesen Genres die Diaspora den Ton angibt und den technischen Standard setzt, bleiben ihre afrikanischen Adepten häufig ungehört.

Das allerdings könnte sich ändern: Denn die neuen Zentren der afrikanischen Diaspora befinden sich heute nicht mehr in den USA und Südamerika. Sondern in Europa. Durch die Migration der Gegenwart sind Paris und London zu den neuen Hauptstädten der afrikanischen Musik avanciert. Und von dort aus gelingt immer mehr Künstlern aus Afrika den Sprung auf die Bühnen der Welt. Einige von ihnen, die in diesem Sommer nach Deutschland kommen, stellen wir in dieser Beilage vor.