Musikfestival Nyege Nyege in Uganda: Heavy Bass an den Gestaden des Nils

2015 als Underground-Veranstaltung entstanden, war das diesjährige Nyege Nyege-Festival in Uganda eine ebenso denkwürdige wie strapaziöse Erfahrung.

Eine Frau mit Flügeln steht an einem Gewässer, im Hintergrund ein Musikfestival

Alles erlaubt? Abenddämmerung bei Nyege Nyege am Nil Foto: Claudia Lacave/Hans Lucas/afp

Promiskuität, Drogenmissbrauch und „Transgender-Umerziehung“: Fast wäre das Festival Nyege Nyege in Uganda rechter Propaganda zum Opfer gefallen. Eine Reihe von Po­li­ti­ke­r:in­nen trachtete danach, es aus diesen Gründen noch kurz vor Beginn verbieten zu lassen. „Wir können unsere Moral nicht opfern, nur weil so viele Tickets verkauft wurden“, hieß es in einem Statement.

Doch der ugandische Tourismusminister Martin Mugarra Bahinduka verteidigte die Veranstaltung sogleich mit dem Hinweis, dass sie viele ausländische Gäste und damit auch Bares ins Land bringe – Tausende Eintrittskarten wurden vorab verkauft. Am Ende steigt das Festival also dennoch; der Streit um Nyege Nyege zeigt allerdings, wie groß der Einfluss der von US-Sekten geförderten Evangelikalen auch in Ostafrika ist.

Die vier Tage an den Gestaden des Nils werden, alles in allem, zu einer so denkwürdigen wie strapaziösen Erfahrung. Das Gelände des Festivals ist traumhaft gelegen: Direkt vor den Stromschnellen der Itanda-Wasserfälle, wo der Nil eine fast kreisrunde Bucht bildet, liegt das neue riesige Festival­areal im satten Grün auf Hügeln, unweit der Quelle des Nils im Victoriasee. Das gemeinsame morgendliche Bad im Fluss wird zum Ritual (obwohl mir ein Tropenmediziner wegen Bilharziose-Gefahr noch davon abgeraten hat).

Nach zwei Starkregentagen unmittelbar vor dem Start wird das Festival jedoch auch geprägt von organisatorischen Schwierigkeiten: Viele der Gästeunterkünfte sind nicht rechtzeitig fertig geworden, es fehlt an Toiletten, Duschen und Mülleimern und zunächst gibt es kein fließend Wasser (darum das Bad im Nil). Die Sicherheitsvorkehrungen sind unzureichend, auf dem Gelände kommt es zu zahllosen Diebstählen und einigen gewalttätigen Überfällen.

Menschen in z.T. aus Müll gefertigten Kostümen laufen einen Waldweg entlang

Wir müllen alles zu: Performance von Zora Snake und Kinact Collective, Kinshasa Foto: shrapnite

Es macht den Eindruck, als ob dem 2015 vom Label Nye­ge Nye­ge Tapes gegründeten Underground-Festival, das sich experimenteller elektronischer Musik, vornehmlich aus Ostafrika, verschrieben hat, nach zwei Coronajahren der Sprung in die nächste Dimension noch nicht richtig gelungen ist; gleichzeitig sind die meisten Ugander:innen, die man auf dem Festival kennenlernt, ungemein freundlich.

Vielleicht kann man es im Nachhinein auch einfach so entspannt sehen wie Kevin aus dem Produktionsteam des Festivals: „The mess brought fun“, sagt er und lacht. Ohnehin muss man sich als aus dem reichen Norden angereister Besucher fragen, ob es nicht vermessen ist, sich gleich zu beschweren, wenn nicht alles sofort dem Standard entspricht, wie wir ihn bei uns gewöhnt sind.

Künstlerischer Austausch

Immerhin sind alle von den Komplikationen betroffen, gleich, ob von fern angereiste Weißbrote, afrikanische Gäste aus Nachbarländern oder eingeladene Künst­le­r:in­nen aus aller Welt. Darunter rund 30 Mu­si­ke­r:in­nen und Tänzer:innen, die am „Afropollination“-Projekt beteiligt sind.

Portrait von Musiker:innen vorm Hintergrund des Meeres

Afropollination-Tän­ze­r:in­nen Zai und Nana, Tansania, und Exocé, Kongo Foto: Vincent Moon

Bei dieser Kooperation geht es um gegenseitige künstlerische Befruchtung: Deutsche Künst­le­r:in­nen und solche aus zahlreichen afrikanischen Ländern sind vor und nach dem Festival zu Gast in der Nyege Nyege-„Villa“ der Hauptstadt Kampala. Die ist ein ständig überfülltes Community-Haus mit Patio, zwei kleinen Studios und schlichten Gästezimmern mit Stockbetten.

Wer einen Eindruck vom Spirit des offenen Hauses bekommen will, muss dort nur einen Abend rund um das Festival verbringen: Während Maiko aus Dar es Salaam auf der Terrasse in der ersten Etage unveröffentlichte Songs vorspielt, deren Rasanz und Verspieltheit einem die Schuhe ausziehen, improvisieren der in Berlin lebende Footwork-Bewahrer DJ Paypal aus den USA und der japanische Drum-Machine-Magier KΣITO vom TYO Gqom-Kollektiv zusammen im Studio im Erdgeschoss.

Der Innenhof eines Hauses in Afrika, Menschen im Gespräch, Wäsche auf der Leine

Immer was los: der Innenhof der Nyege Nyege-Villa in Kampala Foto: Luca Jacob

Finanziert wird Afropollination mit Mitteln aus dem Turn-Fonds der Kulturstiftung des Bundes, der Projekte zwischen Deutschland und Afrika fördert. Dabei kooperieren Piranha Arts aus Berlin, Musiklabel und -veranstalter in einem, und Nyege Nyege aus Kampala miteinander; das aus einem Partykollektiv entstandene Label aus Uganda hat mit seinen Veröffentlichungen abenteuerlicher afrofuturistischer elektronischer Sounds längst Kultstatus – und die eigene Villa in Kampala ist eine der wenigen sicheren Orte für die LGBTQ-Szene des Landes.

Einer, der das Haus so gut kennt wie kaum ein Zweiter, ist Don Zilla. Sechs Jahre lang hat er die Nyege Nyege-Studios geleitet. Es seien wichtige, aber auch „herausfordernde“ Lehrjahre gewesen, sagt er heute. Denn er habe ununterbrochen mit sehr unterschiedlichen Menschen zu tun gehabt und immer auf Harmonie geachtet.

In seiner Musik lässt Don Zilla unheimliche Industrial-Klänge mit schlingernden Bässen und ostafrikanischen Rhythmen verschmelzen. „Multidimensionale Musik“ nennt er das; er sei ein Medium und mache Musik nicht nur für die Menschen, sondern auch für Aliens und die Natur, sagt Don Zilla in bester Lee Perry-Manier. „Was ich mache, ist nicht aus dieser Dimension, ich schnappe es irgendwo anders auf und bringe es zu uns.“

Portrait des Musikers Don Zilla

Bringt Musik aus einer anderen Dimension zu uns: Don Zilla Foto: Zuri Maria Daiß

Während des Festivals geht diese freigeistige, rebellische Attitüde allerdings etwas verloren. Viel Fläche wird Sponsoren wie Smirnoff, Coca-Cola und der ugandischen Brauerei Bell eingeräumt – ihre Soundsystems sind zudem fetter (und lauter) als die vom Nyege Nyege-Kollektiv betriebenen. Der Spagat zwischen Kommerz und Subkultur gelingt bei der diesjährigen Ausgabe von Nyege Nyege nicht wirklich, finde ich. Die meisten ugandischen Fans des Festivals stört das allerdings überhaupt nicht.

Möglichst sozial inklusiv

Derek Debru, einer der beiden Nyege Nyege-Gründer, freut sich vor allem, dass alles „ohne größere Katastrophen“ abgelaufen sei, und betont: „Der Eintrittspreis für die lokale Bevölkerung ist absichtlich niedrig, damit ihn sich alle leisten können.“ Ein Teil der Tickets sei sogar verschenkt worden, um eine möglichst sozial inklusive Veranstaltung zu ermöglichen; in einem Land wie Uganda mit seinen extremen Klassenunterschieden gebe es das sonst nicht.

Provisorisch überdachte Bühne mit Tänzern, nächtliche Szene

Parties direkt ins Netz: Die Plattform Boiler Room hatte eine eigene Bühne Foto: Zuri Maria Daiß

Musikalisch sind viele magische Momente zu erleben. Die spannendsten – und düstersten – Auftritte finden auf der versteckten „Dark Star“-Bühne mitten im Wald statt. Das Genre Gqom aus Südafrika, das wie ein ewiges, scheinbar direkt ins Inferno führendes Keuchen klingt, wird nicht nur vom famosen DJ MP3 aus Durban dargeboten, sondern auch vom japanischen Kollektiv TYO Gqom.

Ein gutes Beispiel dafür, wie schnell Sounds inzwischen um die Welt wandern. Der Nyege Nyege-Künstler Chrisman aus dem Kongo spielt wiederum ein Set, in dem er brasilianischen Baile Funk ebenso selbstverständlich aufgreift wie angolanischen Tarraxinha, der Kizomba mit Trap verbindet.

Nächtliches Konzert, zwei DJs spielen mit verbundenen Augen

Singeli können Sisso und Maiko auch blind spielen Foto: Christian Askin

Zu Recht begeistert sind alle Be­su­che­r:in­nen von den Jungs aus Tansania: Sisso, Maiko und DJ Travella spielen ­Singeli-Hochgeschwindigkeitssongs in Endlosloops auf billigen Laptops und PC-Tastaturen. Ihre Musik hat eine treibende punkige Energie, die Euro-Gabba geradezu altbacken aussehen lässt. Auf einer ähnlich hohen BPM-Zahl bewegen sich interessanterweise die gesampleten Balafon-Kaskaden von DJ Diaki aus Mali von der westlichen Seite des riesigen Kontinents.

Interesse an Noise

Das wachsende Interesse afrikanischer Künst­le­r:in­nen an Metal, Noise und anderen drastischen Spielarten ist eine Entwicklung, die auf den ersten Blick überraschen mag. Derek Debru sagt: „Überall in Afrika gibt es Kids, die verstanden haben, dass ihre musikalische Identität einen internationalen Wert hat und dass es möglich ist, auch als musikalischer Außenseiter seinen Lebensunterhalt zu verdienen.“

Wen man beim Festival wann zu sehen bekommt, ist oft dem Zufall überlassen, ständig wird das Programm umgeschmissen. Frustrierend ist das für jene, die dabei vergessen werden. Haxan hat Glück: Der Auftritt des jungen Berliners aus dem Afropollination-Projekt wird nach einem heftigen Regenschauer zunächst abgesagt, dann aber auf Mitternacht des letzten Festivaltages verlegt. Mit Industrial- und Hardcore-Rap kriegt der headbangende Haxan die Leute, und das mit deutschen Texten, aus denen Wut und Dringlichkeit sprechen.

Portrait des Rappers Haxan

Berlin meets Uganda: Haxan gibt eine Mitternachtsshow Foto: Julius Gabele

Danach übernimmt eine Legende: Yamataka Eye, Mitbegründer der japanischen Noise-Band Boredoms, legt ein verzinktes, vom Singeli-Sound beeinflusstes Drum-’n’-Bass-Set hin, das einem das Gefühl gibt, man werde auseinandergeschraubt, wieder zusammengesetzt und neu geboren – ein Akt der Reinigung zum Abschluss, der einen die Anstrengungen der vorherigen Tage vergessen lässt.

Und die künstlerischen Kooperationen des Afropollination-Projekts werden weitergehen – und 2023 in Deutschland fortgeführt: zunächst im Januar auf dem Schiff MS Stubnitz in Hamburg, wo erneut Künst­le­r:in­nen zu Residenzen eingeladen werden, und beim CTM-Festival in Berlin. Danach an einem Juni-Wochenende im Festsaal Kreuzberg und schließlich bei einer Veranstaltung von COSMO-Radio im Juli in Dortmund.

Mehr Infos: nyegenyege.com/afropollination

Die Reise wurde z.T. vom Afro­pollination-Projekt finanziert.

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