Fatih Akin über seinen taz-Spot: „Eine Brille für die Realität“

Der Filmregisseur spricht über die Lage der Kinos, seine Enttäuschung über Disney, medialen Rassismus – und was das mit seinem taz-Spot zu tun hat.

Eine Frau steht auf einem Bürgersteig, in ihrer Hand eine Brille

Szene von den Dreharbeiten des taz-Spots mit Fatih Akin Foto: taz

taz: Fatih, du hast deinen ersten Werbefilm überhaupt für die taz gemacht. Aus welcher Überzeugung heraus?

Fatih Akin: Ich lese mich gerade durch das Werk von Jaron Lanier und war erschrocken, wie wenig Leute ihre Informationen noch aus den klassischen Medien, also geprüften Organen wie Zeitungen, beziehen. Immer mehr Leute nutzen soziale Medien, in denen die Algorithmen getrimmt sind. So entstehen Blasen. Wenn du googelst, die Erde ist flach und dir das ein paar Mal reinziehst, gibt dein Computer dir mehr davon. So wird Wahrheit etwas Individuelles. Das widerspricht meiner Überzeugung und ich wollte aktiv etwas gegen diese Entwicklung tun. So kam mir die Idee zu dem Werbespot.

Und wie kommt da die taz ins Spiel?

Jeder hat seinen Lieblingsverein. Aufgrund meiner Sozialisation liegt mir die taz näher als andere Zeitungen. Damit will ich nicht sagen, dass sie besser ist. Ich hätte diesen Spot aber nicht für eine andere Zeitung gemacht, nur für die taz, weil ich sie selber lese. Auch wenn ich nicht mit allen Artikeln, Kommentaren oder Interviewpartnern einverstanden bin, ist sie unter dem Strich die Zeitung, deren Positionierung mir persönlich am meisten entspricht.

Der 47-Jährige ist Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent. Bekannt wurde er durch Filme wie „Gegen die Wand“ für den er den Goldenen Bären der Berlinale bekam. Für „Aus dem Nichts“ gewann er den Golden Globe. Jetzt hat erstmals einen Werbefilm gedreht, für die Tageszeitung taz. Man findet ihn unter taz.de/keineangst.

Am Abend der Premiere redet Katrin Gottschalk, stellv. Chefredakteurin der taz, in einem taz Talk per Videostream mit den ProduzentInnen des Films. Fatih Akin kommt per Videobotschfat dazu.

Der taz-Spot ist eine Hommage an John Carpenters „They live“. In dem Film geht der Protagonist John Nada auf der Suche nach Arbeit nach L.A. und stößt dort auf eine Brille, mit der er eine Welt voller unterschwelliger Botschaften erblickt. Dich hat diese Brille an die taz erinnert, warum?

Ich zeige meinem Sohn Klassiker des Kinos und dachte mir, er muss auch Carpenter kennen. Er steht auf Sci-Fi und ich dachte, das könnte ihn interessieren. Als die Szene kam, auf die der taz-Spot basiert, da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das war eine intuitive Nummer.

Der slovenische Philosoph Slavoj Žižek betrachtet „They live“ als vergessenes Meisterwerk Hollywoods. Er sagt, durch die Brille, sehe man „die Diktatur innerhalb der Demokratie“, sie sei Ideologie-Kritik. Demnach ist die Verblendung nichts, das unserer Wahrnehmung hinzugefügt wird, sie ist in uns. Bist du auch so pessimistisch?

Ich bin überzeugt, dass wir verblendet sind, auch, dass ich verblendet bin und dass es so eine Brille braucht, um die Realität zu begreifen. Die Wahrheit ist eine seltsame Sache geworden. Zeitungen entscheiden, was relevant ist. Im Unterschied zu Social Media ist das aber nicht ein Influencer, oder ein Blogger, sondern eine Redaktion, die diskutiert, es findet also ein demokratischer Konsens über Inhalte statt. Können wir das bringen, können wir das nicht bringen, wenn wir das bringen, gibt es Ärger, wir bringen es aber trotzdem, wie bei Hengameh Yaghoobifarah und den Cops. Das, finde ich, sind richtige Tools.

Die taz dreht die Kontraste hoch.

In einer Richtung, die ihrem Standing nahekommt. Es gibt ja auch konservative, neoliberale oder rassistische Standings von anderen Redaktionen.

Inwiefern hat sich die Macht der Bilder und die Mittel der Manipulation bis heute weiterentwickelt?

Die Macht der Bilder war immer groß. Was sich verändert hat, ist, dass man alle Bilder sofort mit der ganzen Welt teilen. Im Fall von Georg Floyd ist das natürlich positiv – eine Straftat wird augenblicklich bezeugt und dient der ganzen Welt als Beweis. Es kann aber genauso gut in einem anderen Fall negativ sein. Außerdem lassen sich Bilder heute sehr viel einfacher manipulieren. Mit einer Morphing-App kann man Gesichter auf Bildern tauschen und das wird technisch immer besser, so dass man es nicht mehr erkennen kann. Das überfordert uns auf jeden Fall.

Hast du den taz-Film deshalb nicht für die sozialen Medien, sondern für das Kino gemacht?

Natürlich wird der Film auch in den sozialen Medien laufen, aber in einer Fassung, die nicht ich geschnitten habe. Im Augenblick gibt es keine Kinos, die aufhaben. Irgendwo soll man ihn ja sehen. Ich komme vom Kino. Da wollte ich immer hin. Ich denke in einer Kino-Rhetorik. Es gibt auch andere: eine Instagram-Story-Rhetorik, eine Serien-Rhetorik, YouTube und so weiter. Was mich interessiert ist die Leinwand, wo wir als Macher die Illusion schaffen, dass sie drei, vier, fünf, sechs Dimensionen hat. Am Ende arbeite ich aber für eine zweidimensionale Leinwand in einem Raum, in dem möglichst viele Leute gemeinsam etwas erleben. Das ist das Ding, wofür ich mich entschieden habe. Das hat andere Regeln, Tempi und einen anderen Rhythmus.

Du weigerst dich auch, das für Social Media zu schneiden. Ist das ein Widerstand?

Ich habe auch schon Kampagnen in den Sozialen Medien initiiert, wie #whatdidosmankavalado. Ich fürchte aber, dass es nicht viel bringt, wenn politischer Widerstand aus roten Herzchen besteht. Beim taz-Spot weigere ich mich aus einem pragmatischen Grund: Wenn ich einen Spot mache und der soll für die sozialen Medien adaptiert werden, finde ich es richtiger, wenn das jemand anderes macht. Das ist vergleichbar mit Theaterstücken oder Romanen die für Filme adaptiert werden. Sonst hätte ich ihn von vornherein nur für die sozialen Medien machen müssen und dabei hätte ich mich schwer getan. Nicht aus einem ideologischen Grund, sondern weil mir die Erfahrung fehlt – aber auch die Neugierde, das lernen zu wollen. Ich möchte andere Sachen lernen.

Wie kommt es, dass sich Leute den sozialen Medien so bereitwillig hingeben?

Ich glaube, dass die Leute im Silicon Valley, die das ins Leben gerufen haben, schon sehr bewusst darauf geguckt haben, wie man das Produkt, also den User so lange wie möglich an den Geräten hält. Sie haben erforscht, dass wenn etwas geliked wird, man einen Dopaminschuss bekommt, das macht dich süchtig und du willst mehr. Bis hin zum Haptischen stecken dahinter ausgeklügelte Mechanismen. Der Mensch ist auch ein Suchttier – und was sind die größten menschlichen Sehnsüchte: Essen – Foodporn wird wahnsinnig viel gepostet, Sex, Geld und Fame, die Jagd nach Bestätigung.

Kann das Kino dagegen ankommen?

Nein, ich glaube nicht. Das Kino ist auf dem besten Weg, so was zu werden wie die Oper. Ich weiß gar nicht, ob das gut oder schlecht ist. Wahrscheinlich werden weniger Menschen sich das noch geben, das Geld zu zahlen, das Aufraffen in der Kälte, um dort hinzugehen. Es werden in Zukunft weniger Leute das Kino schätzen, aber es wird bestehen, das glaube ich schon. Auch vor Corona war das Kino auf dem Weg in die Rezession. Corona hat das nur beschleunigt.

In dieser angespannten Lage hat Walt Disney gerade erklärt, sich stärker aus dem Kino-Geschäft zurückzuziehen.

Das ist ein heftiger Einschnitt. Ich finde das wirklich erschreckend, weil Disney mit die erfolgreichsten Kinofilme gemacht hat. Denken wir an das, was die gekauft haben, Pixar, Star Wars, Marvel oder auch an das eigene Programm. Das soll es künftig vor allem für zuhause geben?

Wofür steht die Konzentration auf Streaming Dienste?

Ein Bekenntnis zum gnadenlosen Rechnen, ohne Rücksicht auf Verluste. Das ist Kapitalismus in Höchstform: Wie maximieren wir unseren Gewinn? Indem wir auf die Kinos verzichten, weil sie zu teuer sind. Damit sagen sie: Wir produzieren nur noch für die Konsumenten zuhause. Das Kino als romantischer Ort oder Ideal? Fuck it! Der erste Film, den ich im Kinos gesehen habe, war ein Disney-Film! Und jetzt ziehen die sich zurück! Verstehst du, wenn ich sage, ich fühle mich verraten? Andere Leute werden diese Nische füllen, denn natürlich ist es für Kinder noch etwas Besonderes, ins Kino zu gehen – solange sie es kennen. Denn dort ist es dunkel, es gibt andere Kinder und Popcorn, es ist aufregend, es ist etwas anderes und eine Form von Abenteuer, das würde ich nicht unterschätzen.

Auch die gedruckte Zeitungen sind in Bedrängnis geraten, weil es weniger Leser*innen gibt und das Vertriebssystem in den nächsten Jahren an seine Grenzen stößt. Siehst du da Parallelen zum Kino?

Der größte Unterschied ist, dass man eine Zeitung – sei´s auf Papier oder in der App – alleine liest, im Kino bist du gemeinsam. Ich lese immer noch Bücher und nicht auf dem Kindle. Das habe ich nicht gelernt und muss es auch nicht, solange es noch Bücher gibt.

Hast du es probiert?

Ja, und es fühlte sich für mich sehr ungewohnt an und ich war zu faul, mich auf diese neue Gewohnheit umzustellen. Ich mag Papier. Mit Zeitungen ist das aber etwas anders. Ich fand Zeitungen immer sehr umständlich zu lesen. Weil es so große Blätter sind und obwohl ich lange Arme habe, habe ich es nie auf die Reihe gekriegt, sie ordentlich zu falten und umzublättern. Am besten war es noch in Cafés, wenn Zeitungen diesen Holzstab hatten, aber auch das fand ich unpraktisch, weil es so riesig klobig ist. Mit dem Fortschritt einer digitalen Zeitung kann ich schon etwas anfangen.

Im Spot geht es um Rassismus. Ist Deutschland immer noch unterschwellig rassistisch?

Ja, vor allem in der Zeitung. Wenn Blätter des Bildungsbürgertums wie die FAZ titeln: „Corona mit Migrationshintergrund“ und darin Deutsche mit einem bestimmten ethnischen Hintergrund, die zu ihren Familien gefahren sind, als Verschlepper des Virus angreifen, aber nicht die Weißen, die am Ballermann waren, sehe ich darin unterschwelligen Rassismus. Oder nehmen wir den Begriff der Deutsch-Türken im Zusammenhang mit den beiden Biontech-Forscher, die den Impfstoff entwickelt haben: Wie sehr wurde in den Medien auf ihrem Migrationshintergrund rumgeritten. Das fand ich intuitiv sofort falsch, egal, wie gut gemeint das ist. Das sind einfach Deutsche, aus, fertig, basta.

Was sagt das für dich aus?

Man separiert. Du und ich sind nicht dasselbe. Wir werden getrennt, durch ein Narrativ. Egal, ob das rassistisch gemeint ist oder nicht. Ich wünschte, wir würden da hin kommen, dass das gar nicht mehr zählt.

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