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Arbeitsschutz bei OnlineplattformenGegen Ausbeutung von Crowdworkern

Lieferando & Co stehen schon lange in der Kritik. Bundesarbeitsminister Heil will nun gegen Billiglöhne auf Digitalplattformen vorgehen.

Plattformökonomie hört sich gut an, dafür wird schlecht bezahlt Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Was sich hinter dem etwas sperrigen Begriff Plattformökonomie verbirgt, betrifft schon lange den Alltag vieler Menschen in Deutschland. Dahinter kann ein junger Mann stehen, der Pizza ausliefert für Essenslieferdienste wie Lieferando, oder eine Haushaltshilfe, die über eine Onlineplattform gebucht wird, um Fenster in einem Büro zu putzen. Es kann aber auch die Übersetzerin sein, die online ihre Aufträge entgegennimmt.

Dass Arbeit über digitale Plattformen vermittelt wird, hat sich oft als hilfreich und vorteilhaft erwiesen – nicht nur in der Coronazeit. Nur: Für die Arbeiter:innen sind die Bedingungen manchmal ziemlich miserabel. Billiglöhne, Scheinselbstständigkeit, keine soziale Absicherung sind Begleiterscheinungen dieser digitalen Flexibilisierung.

Lieferando zahlt beispielsweise nur knapp über dem Mindestlohn und versuchte in Köln die Wahl eines Betriebsrats zu torpedieren. Auch Essenslieferdienste wie Foodora und Deliveroo stehen immer wieder in der Kritik, arbeitsrechtliche Mindeststandards zu unterwandern.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) möchte nun die Arbeitssituation der Plattformarbeiter:innen verbessern. Am Freitag legte er ein Eckpunktepapier mit dem Titel „Faire Arbeit in der Plattformökonomie“ vor. „Ich werde nicht zulassen, dass Digitalisierung in der Plattformökonomie mit Ausbeutung verwechselt wird“, sagte Heil. Allein auf die Selbstregulierung der Unternehmen zu setzen, werde nicht reichen.

Billiglöhne und fehlende soziale Absicherung

Für eine bessere soziale Absicherung will das Bundesarbeitsministerium etwa, dass soloselbstständige Plattformtätige in die gesetzliche Rentenversicherung mit einbezogen werden und die Plattformen sich an der Beitragszahlung beteiligen.

Oder: Um besser gegen Scheinselbstständigkeit vorgehen zu können, soll bei Zweifeln vor Gericht die Plattform in der Pflicht sein, das Gegenteil zu beweisen. Zudem sollen je nach Dauer Mindestkündigungsfristen festgeschrieben werden – denn in der Praxis können Arbeiter:innen oft sehr kurzfristig gekündigt werden.

Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds, begrüßte die Initiative des Bundesarbeitsministers. „Es ist ein richtiger und überfälliger Schritt, um dem Wildwuchs im digitalen Schattenarbeitsmarkt zu begegnen“, sagte Piel der taz. Gut sei insbesondere, dass Soloselbständige nun „verpflichtend in den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung und Unfallversicherung aufgenommen werden sollen“ und sich die Plattformbetreiber an den Kosten beteiligen müssten.

Dennoch sieht Piel noch Nachholbedarf, um die kollektiven Rechte der Plattformbeschäftigten zu stärken. „Gewerkschaften brauchen unbedingt Zugangsrechte zu den Plattformbeschäftigten, um dort bessere Arbeitsbedingungen organisieren zu können“, sagte die Gewerkschafterin.

„Digitaler Schattenarbeitsmarkt“

Nach einer EU-Erhebung beziehen 2,7 Millionen Menschen in Deutschland entweder mindestens die Hälfte ihres Einkommens aus Plattformarbeit oder arbeiten mindestens zehn Stunden pro Woche auf diese Weise, wie das Ministerium schreibt. Andere Studien kämen zu geringeren Zahlen.

Das Arbeitsfeld scheint jedenfalls sehr heterogen zu sein. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2019, für die rund 700 Plattformarbeiter:innen befragt wurden, gaben 59 Prozent der Befragten an, „sehr“ oder „eher“ zufrieden mit dieser Form der Arbeit zu sein. 31 Prozent hatten ein monatliches Nettoeinkommen von über 3.000 Euro zur Verfügung.

Doch jeder vierte Befragte musste mit weniger als 1.500 Euro zurechtkommen. Fast alle gaben an, nur nebenberuflich Plattformarbeit zu leisten, um die Haupttätigkeit finanziell zu ergänzen.

Auch Hubertus Heil betonte: „Es gibt Plattformen, in denen ich keineswegs den Eindruck habe, dass prekäre Arbeit vorherrscht“, und nannte etwa Handwerksplattformen. Doch faire Bedingungen seien generell nötig: „Plattformen dürfen nicht mit den niedrigsten Löhnen und dem schlechtesten Schutz miteinander konkurrieren.“ Das Thema soll nun auch auf dem Digitalgipfel der Regierung am Montag und Dienstag diskutiert werden.

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9 Kommentare

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  • Wenn das so schlimm ist für den Mindestlohn zu arbeiten, dann stimmt der Mindestlohn nicht.

  • Crowdworker kann es eigentlich gar nicht geben. Angestellt mit Mindeslohne oder echter Selbständiger.



    Das hatten wir vor 30 Jahren mit Kurierfahrern schon mal und niemand hat das bis heute geregelt.

  • Des Kaisers neue Kleider.......



    Wer früher als Tagelöhner/innen bezeichnet wurde nennt sich heute Crowdworker/in oder ähnlich fantasievoll....



    Das hört sich für viele freier und fortschrittlicher an - die Abhängigkeit bleibt die gleiche.



    Das gilt auch für die scheinbar unüberschaubare Masse von sogenannten Soloselbständigen.

    • @Bürger L.:

      Die "Ich-AG" war auch so ein Unwort, welches dann ganz schnell wieder aus dem Sprachgebrauch verschwunden ist.

  • Gäääähn ... der Wahlkampf beginnt...

  • Im Grunde sollte es eine Pflicht geben, einen Betriebsrat zu haben.

    Wenn das erstmal obligatorisch ist, dürfte es einiges ändern.

  • Die Künstersozialkasse könnte hier als Vorbild dienen. Eine entsprechende Sozialabgabe auf den Rechungsbetrag und entsprechend in GKV bzw. eine Rentenkasse eingezahlt.

  • Bund, Länder und Gemeinden Handeln genauso. Für Ausschreibungen müssen mindestens drei Angebote eingeholt werden. Der billigste macht meist das Rennen. Wie der Preis zustande kommt interessiert nicht.

  • "Billiglöhne, Scheinselbstständigkeit, keine soziale Absicherung"

    Altersarmut garantiert nicht vergessen! Das fällt zwar prinzipiell unter "soziale Absicherung", hat aber noch eine weitere Dimension der Perfidie: die Entsorgung der zur weiteren Mehrwertschaffung nicht mehr fähigen Mehrwertschaffungsmaschine in Richtung "sozialverträgliches Frühableben".

    Dazu kommen Atomisierung (schlechter gewerkschaftlicher Organisationsgrad) und häufig auch Zwang zur Nutzung eigener Produktionsmittel (Fahrrad, Computer). Damit fallen die Wertschaffenden der Plattform/Click/Gigökonomie aus dem Raster des marx'schen Proletariats - und sehr oft auch aus dem Blickfeld der traditionellen Arbeiter*innenbewegung: eine Klasse ohne Bewusstsein, die funktional die Rolle des Proletariats einnimmt, aber sozial näher am Sub- und Lumpenproletariat steht, und die fast keine Debatte über Vollbeschäftigung, ALG1 und Mindestlöhne tangiert. Zumindest die Wagenknecht-Linke hat für diese Menschen nur gelebte Verachtung übrig: wenn die Lieferandofahrer*innen kein Brot haben, ist das ihr Pech; wären sie mal Kohlebagger gefahren...