Veruntreute Steuergelder bei den Grünen: Außer Spesen nix gewesen
Michael Osterburg war 15 Jahre lang der einflussreichste grüne Politiker in Hamburg-Mitte.Heute ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft gegen ihn.
Hamburg taz | Sein Name war untrennbar mit Hamburgs Grünen verbunden. Fünfzehn Jahre lang war Michael Osterburg als Chef der Bezirksfraktion der Kopf seiner Partei in Mitte. Und hatte sogar versucht, in die Bürgerschaft aufzusteigen, war aber an seinem Intimfeind in Mitte, dem heutigen Kreischef Farid Müller, nie vorbei gekommen.
Osterburgs steiler Abstieg begann im Januar 2019, als der heute 53-Jährige überraschend seinen Rückzug aus der Politik erklärte. Der Grund: Im Wahlkreis Hamm war er bei der Kandidatur um Platz zwei für die im Mai 2019 anstehenden Bezirksversammlungswahlen mit 17:8 Stimmen seinem nahezu unbekannten Gegenkandidaten Larry Wendt unterlegen. Zuvor hatte es zahlreiche Neueintritte bei den Grünen in Mitte gegeben und etliche Parteifreunde hatten hinter Kulissen erfolgreich daran gewerkelt, den streitbaren Fraktionschef auszubooten.
Bis dahin hatte Osterburg, der Parteifreunden als „mitunter aufbrausend und schwierig im Umgang“ galt, seine Fraktion über Jahre fest im Griff. „Er war als langjähriger Vorsitzender das Gesicht unserer Fraktion und wollte über alles Kontrolle haben und auch bestimmen“, beschreibt eine ehemalige Bezirksabgeordnete der Grünen ihren damaligen „Chef“.
Dabei schaffte er, vor allem in finanziellen Fragen, die innerparteiliche Kontrolle, ab. „Es gab kein Vier-Augen-Prinzip in der Fraktion. Michael schaltete und waltete, wie er wollte“, sagt die Ex-Abgeordnete. Statt der eigenen Geschäftsführung kontrollierte ein von Osterburg mit eingesetzter externer Wirtschaftsprüfer die Fraktionsfinanzen und damit auch Osterburgs Spesenabrechnungen. Beanstandungen gab es nie.
Osterburg schaltete und waltete, wie er wollte
Das änderte sich im Juni 2019 nach den Bezirkswahlen und nachdem der zurückgetretene Osterburg die Fraktion verlassen hatte. Als der neue Fraktionsvorstand um Lena Zagst und Manuel Muja sich einen Überblick über das Osterburg’sche Erbe verschaffte, stieß er bei den Abrechnungen schnell auf Ungereimtheiten. So fanden Mitglieder der Fraktion ihre Namen auf von Osterburg eingereichten Bewirtungsbelegen, an Tagen, an denen sie definitiv nicht mit ihrem Kollegen gespeist hatten.
Ein paar Stichproben später begannen Muja und Zagst mit der intensiven Prüfung aller von Osterburg eingereichten Spesenbelege der vergangenen fünf Jahre – und waren sprachlos über das Ergebnis. Die Prüfung belegte aus ihrer Sicht, dass der Lokalpolitiker die Fraktion um mehrere zehntausend Euro geprellt hatte.
Dabei geht es um mutmaßlich private Restaurantbesuche, die als „Hintergrundgespräche“ mit Journalist*innen und Politiker*innen abgerechnet wurden und in denen auch schon mal ein „Kinderteller Bolognese“ auf der Rechnung stand. Es geht um Amazon-Bestellungen von technischem Equipment und Haushaltsgeräten, um angebliche Kinderbetreuung à zwölf Euro die Stunde und auch eine Auslandsreise auf Fraktionskosten – die allerdings nicht, wie eine große Boulevardzeitung behauptete, Mallorca zum Ziel hatte.
Lange versuchten die Grünen, die Spesenaffäre intern zu klären. Negativ-Schlagzeilen konnte der neue, politisch noch unerfahrene Fraktionsvorstand nicht gebrauchen.
Die neu gewählte Fraktion zerbrach gerade in zwei Teile, nachdem ausgerechnet Osterburgs Lebensgefährtin, die grüne Landeschefin Anna Gallina, gegenüber einer Hamburger Tageszeitung zwei frisch gewählte Grünen-Abgeordnete der neuen Mitte-Fraktion als mögliche Islamisten geoutet und damit eine innerparteiliche Schlammschlacht ausgelöst hatte. Am Ende wechselten sechs grüne Abgeordnete zur SPD und die Grünen fanden sich erstmals seit Jahren auf der Oppositionsbank wieder.
Von den Grünen erhielt Osterburg seine letzte Chance
Um weiteren Schaden zu vermeiden, konfrontierte die Fraktionsspitze Osterburg hinter verschlossenen Türen mit den Spesenquittungen, erbat Aufklärung und Rückzahlung vom Ex-Politiker. Doch der stellte sich quer, soll keinerlei Aufklärungsinteresse gezeigt, die Vorwürfe aber auch nicht entkräftet haben.
Da er wissen musste, was auf ihn zurollt, wenn er nicht kooperiert, gilt sein Verhalten Parteifreunden als „nicht nachvollziehbar“. Nach mehreren ergebnislosen Anläufen blieb den Grünen schließlich nur noch der Weg zur Polizei. Am 15. Mai verbreiteten sie folgende Pressemitteilung: „Die Grüne Bezirksfraktion Hamburg-Mitte hat am 21. April 2020 Strafanzeige gegen den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden gestellt. Gegenstand der Strafanzeige sind Vorwürfe der Veruntreuung von Fraktionsgeldern.“ Muja betont: „Wir haben erst Anzeige erstattet, als alle Vorwürfe belegt werden konnten.“
Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue, wühlt sich durch die Osterburg-Quittungen und beziffert selbst die Höhe der möglicherweise veruntreuten Gelder auf 67.900 Euro. Auf besonderes Medieninteresse stoßen die zahlreichen Restaurantbesuche Osterburgs – denn sie bringen Justizsenatorin Anna Gallina, mit der Osterburg ein Kind hat, ins Spiel.
Viele der mehr als 90 Bewirtungsbelege stammen vom Italiener „Rucola e Parma“ in Eimsbüttel. Dessen Wirt, Hassan Maita, erzählte mehreren Medien ganz offen, Osterburg habe eigentlich nur mit Gallina – und mitunter auch deren Mutter – bei ihm gespeist und stets Bewirtungsbelege abgegriffen.
Gallina nimmt wie Osterburg, der inzwischen aus den Grünen ausgetreten ist, keine Stellung zu den Vorwürfen, um „die laufenden Ermittlungsverfahren nicht zu gefährden“. Bislang hätten weder Polizei noch Staatsanwaltschaft sie als Zeugin kontaktiert. Das ist „zum jetzigen Zeitpunkt nicht geplant“, sagt Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft auf taz-Anfrage.
Hintergrundgespräche beim Kinderteller
Den Ermittlern geht es derzeit darum, ob Osterburg tatsächlich mit den auf den Bewirtungsbelegen angegebenen Personen essen war, und nicht, wer stattdessen mit ihm speiste. Die Staatsschutzabteilung des LKA hat nahezu alle Personen angeschrieben, die auf Spesenabrechnungen von Osterburg auftauchen. Von zahlreichen Befragten erhielt sie die Auskunft, dass die Restaurantbesuche mit ihnen nicht stattgefunden hätten.
Doch schließt die Staatsanwaltschaft die Befragung Gallinas als Zeugin nicht mehr aus. Sollten sich die Vorwürfe gegen Osterburg bestätigen, stellt sich die Frage, was sie von den Spesenrechnungen wusste und in wie weit sie von den falsch abgerechneten Steuergeldern wissentlich profitierte.
Koalitionsfrieden ebenfalls in Gefahr
Die Opposition fordert deshalb längst Gallinas Kopf. Sie müsse ihr Amt so lange ruhen lassen, bis die Ermittlungen im Komplex Osterburg abgeschlossen seien, verlangt CDU-Fraktionschef Dennis Thering: „Tut sie das nicht, muss der Bürgermeister durchgreifen und sie beurlauben.“ Doch ein solcher Schritt ist ohne ausgewachsene Koalitionskrise nicht zu haben.
Die Grünen in Mitte haben inzwischen Konsequenzen aus der Spesenaffäre gezogen. Der Wirtschaftsprüfer, der die Spesenflut von Osterburg durchgewunken hatte, wurde noch 2019 ausgetauscht. Zudem wurde in der Fraktion eine interne Rechnungsprüfung und das Sechs-Augen-Prinzip bei allen Ausgaben eingeführt. Der Fall Michael Osterburg, er kann sich nun zumindest nicht wiederholen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien