Giffeys Doktor, Söders Frauenquote und Türecis Erfolg: Liberal, bis der Arzt kommt
Damit Biontech nicht schnellverdrostet, dürfen die Erfinder*innen nicht zu Lanz gehen. Derweil hat die SPD ewig mit Giffeys lausigem Lappen herumgedoktort.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Kein Parlamentsvorbehalt im „dritten Bevölkerungsschutzgesetz“.
Und was wird besser in dieser?
Wäre hübsch, die Opposition lieferte einen Entwurf für ein „Gesetz zum Schutz vor Bevölkerungsschutzgesetzen“.
Özlem Türeci und Uğur Şahin vom Unternehmen Biontech haben einen Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt, der zu 90 Prozent wirksam ist. Ist das Ende der Pandemie nun in Sicht?
Nee, der Anfang eines Hypes à la „Frau Türeci ist unser Zuckerberg“. Die Story „von der Migrantin zur Menschheitsretterin“ wird so vorweihnachtlich bepudert, dass man die drohende Schnellverdrostung schon ahnen kann. Also zum Schutz aller Beteiligten: Nüchtern gucken, was der Impfstoff kann, verantwortungsbewusst einsetzen, kein Podcast und nicht zu Lanz gehen.
Nach der Anticoronademo in Leipzig, bei der Polizist:innen, Journalist:innen und Gegendemonstrant:innen von Rechten angegriffen wurden, kriselt es in der sächsischen Koalition. Sehen wir bald den Koalitionsbruch?
So billig wäre noch keine Protestbewegung zu Erfolg gekommen. Denn – außer der regierenden Kenia-Koalition sind rechnerisch nur Querfrontregierungen möglich: Mit der AfD oder den Linken. So rauften sich CDU, Grüne und SPD zusammen – Not, gutes Gespräch und Elend. Die Demo war zu groß, um zugelassen zu werden; und zu bunt, um Nazis und Gewalttäter auszusortieren. Jokerfrage: Was hätte ein Innenminister, der mit Teilen der Demo sympathisiert, anderes gemacht als genau die „Deeskalationsstrategie“, die glanzvoll schiefging?
Im Streit über ihr Doktorarbeitsplagiat hat Franziska Giffey lange geschwiegen. Nun verkündet sie, auf den Doktortitel zu verzichten. Richtig so?
Der lausige Lappen – Plagiate auf 75 von 205 Seiten – hat die SPD bereits eine verheißungsvolle Vorsitzende und nun bald auch eine Bürgermeisterkandidatin gekostet. Giffey selbst hat von vornherein auf herumdoktern gesetzt, statt nüchtern einzuschätzen, dass sie Mist gebaut hat. Fremdmist sogar. Mit einem Geständnis am Anfang wäre sie ungefähr dort gelandet, wo sie jetzt ist – nur Jahre früher. Also praktisch vorm Comeback.
Am Freitag waren die Corona-Infektionszahlen in Deutschland auf einem neuen Höchststand, obwohl viele Bereiche wie etwa Restaurants geschlossen sind. Brauchen wir noch härtere Maßnahmen?
Im März konnten 7.000 Tests pro Tag untersucht werden, jetzt 300.000. Der Anstieg erklärt sich also gutteils statistisch. Das allerdings dürfte Hinterbliebenen eine mäßig tröstliche Grabinschrift sein, in jedem einzelnen Fall kann es ums Leben gehen. Allem Quertrinkergetrommel zum Trotz wünschen sich im aktuellen „Politbarometer“ 30 Prozent der Befragten härtere Maßnahmen. Wir sind liberal und antiautoritär, bis der Arzt kommt. Dann nicht mehr.
Die CSU ist nicht gerade für ihre Frauenpolitik bekannt, diese Woche spricht Söder sich plötzlich für eine Frauenquote in DAX-Vorständen aus. Wie kommt’ s?
Söder ist halt ein bayerischer Hochleistungsigel, der schon überall dort ist, wo ein müßiger Konkurrent hinhoppeln mag. Derzeit reicht sein Œuvre vom „Asyltourismus“ à la AfD über den persönlich von ihm kurz nach der Steinzeit erfundenen Umweltschutz. Nun also Cheffeminist, womit die volle Spannbreite der CSU – von Zote bis Quote – klassische Dimension erreicht. Die Partei macht keine GroKos, sie ist eine. Die Union wird gerade sehr viel männlicher, da fördert Söder Frauen überall dort, wo sie ihm nichts anhaben können.
Die EU will die Vergabe von Haushaltsmitteln künftig an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit knüpfen. Polen und Ungarn drohen deshalb, gegen den EU-Haushalt nun ein Veto einzulegen. Was nun?
Lachen. Ungarn und Polen sind Hauptempfänger der Coronahilfen, an die das EU-Parlament den Rechtsstaatsdeal geknüpft hat. Bei Licht betrachtet kauft sich die EU die üblichen Verdächtigen. Mal schauen, ob sie korrupt sind oder korrupt.
Kinderarzt und Buchautor Remo Largo ist gestorben. Haben Sie auch „Babyjahre“ mit ihm verbracht?
Das Buch kam rechtzeitig zu spät um die Volljährigkeit meiner Kinder herum in mein Radar. Gerade für Eltern gilt ja: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht.
Und was machen die Borussen?
Wenn sie ordentlich Einschaltquote wollen, müssen Sie bei „Bares für Rares“ ein paar antiquarische Spieler verkaufen. Zuletzt soff das Egalspiel der Nationalelf dagegen ab.
Fragen: degi, waam, cas
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein