piwik no script img

Arbeitsrechtsreform in SchwedenDie schwedische Linke bleibt hart

Die Linkspartei in Schweden hat eine neue Vorsitzende. Und die geht direkt auf Konfrontation bei der Frage einer neoliberalen Reform.

Ihr Name bedeutet „Gerechtigkeit verbreiten“: Nooshi Dadgostar Foto: Jessica Gow/TT

Gerade ins Amt gewählt, habe sie schon „den Finger am Abzug“, formulierte es die Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter am Wochenende. Mit Nooshi Dadgostar wählte sich Schwedens Linkspartei Vänsterpartiet am Samstag auf ihrem coronabedingt teilweise digital durchgeführten Parteitag eine neue Vorsitzende. Und deren Herausforderungen sind von Beginn an gewaltig.

Dadgostar ist die Nachfolgerin von Jonas Sjöstedt, der die größte linke Oppositionskraft in den vergangenen acht Jahren äußerst geschickt geführt hatte und sie mit einer Verdoppelung der WählerInnenbasis auf 11 Prozent zur viertstärksten Partei machte und populärster Parteivorsitzender des Landes war. Die 35-Jährige tritt die Nachfolge kämpferisch an.

Die „sozialistische und feministische Partei auf ökologischer Grundlage“, wie sich die Vänsterpartiet in ihrem Programm selbst charakterisiert, muss sich nämlich entscheiden: Bei einer strittigen Arbeitsrechtsreform kann sie mit ihren Stimmen einem Misstrauensvotum der Rechtsopposition zu einer Mehrheit verhelfen und damit die sozialdemokratisch-grüne Minderheitsregierung von Stefan Löfven kippen. Falls Löfven die Bedingungen der Linkspartei und des Gewerkschaftsbunds zum Kündigungsschutz nicht akzeptieren und sich bei der Reform stattdessen liberalen Forderungen beugen sollte, werde sie davor nicht zurückschrecken, machte die neue Vorsitzende vor ihrer Wahl deutlich.

Dadgostar wurde im südschwedischen Pers­torp in einer Flüchtlingsunterkunft geboren, der ersten schwedischen Adresse ihrer aus dem Iran in das skandinavische Land geflohenen Eltern. Sie wuchs dann in Göteborg auf – „wir besaßen fünf Möbelstücke, hatten kein Geld und nur Schulden“ – und begann sich als 14-Jährige bei Ung Vänster, der Jugendorganisation der Linkspartei, politisch zu engagieren. „Eine selbstverständliche Wahl“, sagt sie: „Mein persischer Name bedeutet ‚die Gerechtigkeit verbreiten‘ und ich will eine Gesellschaft ohne tiefe Gräben.“

Ahnung vom wirklichen Leben

Nach dem Abitur zog sie nach Stockholm, studierte Jura und leitete eine Initiative gegen die Privatisierung von Wohnraum des sozialen Wohnungsbaus. Seit 2014 ist sie Reichstagsabgeordnete, wurde sozialpolitische Sprecherin ihrer Partei, 2018 zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt und im vergangenen Jahr wurde sie Mutter. Mit ihr, die die US-Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez als Vorbild nennt, haben nun fünf der acht schwedischen Reichstagsparteien weibliche Parteivorsitzende, drei im Alter zwischen 33 und 37 Jahren.

„Allzu viele Menschen, die täglich zur Arbeit gehen, haben das Gefühl, dass die Politiker keine Ahnung von ihrer Lebenswirklichkeit haben“, so Dadgostar. Die Pandemie-Erfahrungen der letzten Monate hätten gezeigt, dass der schwedische Sozialstaat viel anfälliger sei als befürchtet: Es werde ihr „großes Projekt“ sein, die Menschen zu überzeugen „dass Politik etwas verändern kann“ und das Land dazu einer starken linken Kraft bedürfe.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Das Vorbild AOC sollte in allen Ländern Schule machen. Rock on, Nooshi!

  • taz: „Allzu viele Menschen, die täglich zur Arbeit gehen, haben das Gefühl, dass die Politiker keine Ahnung von ihrer Lebenswirklichkeit haben“, so Dadgostar.

    Das Gefühl haben Deutsche zwar auch, dass viele ihrer "Volksvertreter" keine Ahnung von der Lebenswirklichkeit der Bürger haben, dennoch wählen sie immer wieder die Parteien die nur Politik für die Oberen Zehntausend machen. Demnächst wird man bei uns wohl sogar noch den ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden und Lobbyisten für BlackRock zum Bundeskanzler machen. Friedrich Merz - der auch als Aktienexperte der CDU bekannt ist - wird als Bundeskanzler den Gini-Koeffizient (der liegt momentan bei 0,81) in Deutschland sicherlich noch höher steigen lassen.

    taz: „Mein persischer Name bedeutet ‚die Gerechtigkeit verbreiten‘ und ich will eine Gesellschaft ohne tiefe Gräben.“

    Dann kann man Nooshi Dadgostar nur noch viel Erfolg wünschen und hoffen, dass dann auch Deutschland endlich mal vernünftig wird und seine neoliberalen Politiker endlich in Rente schickt.

  • Sicherlich hat Sie den Finger am Abzug, aber auch den Lauf am eigenen Kopf. Einfach gegen alles sein reicht nicht aus. Das hilft auch nicht Ihrer Partei.

    • @Kristina:

      Vor allem muss auch sie einen Pln auflegen, die 20% strukturelle Jungenarbeitslosigkeit in Schweden in den Griff zu bekommen www.nzz.ch/wirtsch...n-stand-ld.1584055.



      Der schwedische Arbeitsmarkt ist eine Zweiklassengeselschaft: Eine mit hohem Lohnniveau und der extensivem Arbeitnehmerschutz, alljährlich in Kollektivverträgen ausgehandelt zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Die andere mit viel weniger Sicherheit ausgestattete, befristeter und generell auch weniger generös entlöhnte Anstellungen. Ohne diese Kategorie wäre der schwedische Arbeitsmarkt preislich nicht konkurrenzfähig. In den ersten kommt man nur mit der Top-Bildung und Kontakten, was vor allem Migranten nicht haben. Für das üppige schwedische Sozialsystem ist das auch nicht so pralle.



      "Zwar scheint es logisch, dass die Sozialdemokraten nicht diejenigen sein wollen, die das «schwedische Modell» demontieren. Doch was die Kritiker einer Arbeitsmarktliberalisierung nicht sehen – oder nicht sehen wollen: Sozial gerecht und solidarisch ist das «schwedische Modell» schon längst nicht mehr. Es begünstigt die Insider, die es in den geschützten Bereich geschafft haben, auf Kosten der wachsenden Gruppe derer, die ausgesperrt bleiben. Wenn sich dieser Abstand verringern soll, ohne dass die Konkurrenzkraft der Wirtschaft leidet, geht das kaum, ohne dass die Insider zugunsten der anderen etwas von ihren Privilegien abgeben."

  • Nooshi Dadgostar soll mal noch mehr gegen so eine Reform machen, noch mehr Leute aktivieren und sogar noch radikaler diesen Unsinn ablehnen ... bis sie Staatsfeind Nummer 1 ist, der Punkt ist doch, dass solche Reformen nur bittere Armut erzeugen.

    Warum braucht Schweden noch ärmere Arbeitnehmer?

    Um mit China und Indien in der Fertigung zu konkurrieren, um die Textilindustrie aus Laos, Vietnam oder Bangladesch zurück zu holen?

    Hartz-IV in Schweden brauchen die Schweden nicht, natürlich stehen die Systeme unter Druck, natürlich muss Solidarität ausgehandelt werden und ergibt sich nicht einfach, aber so?

    NEIN DANKE! (M.M.)



    Bravo Nooshi Dadgostar bitte nicht nachlassen!



    P.S. Was hat Deutschland von Hartz-IV? Warum leben hier mehr als 1 Mio. Kinder und Jugendliche in Armut?

  • Ich kann mir vorstellen, dass die Linkspartei in Deutschland auch an Zustimmung gewinnen könnte, wenn es in Zukunft eine schwarzgrüne Regierung geben würde, die höchstwahrscheinlich dem Neoliberalismus noch einmal Auftrieb geben könnte.



    Dass Sozialdemokraten und Grüne in Schweden den Kündigungsschutz weitestgehend schleiften, erinnert mich an die Zeiten, wo in Deutschland mit Hartz IV Grüne und SPD die grundgesetzlich garantierte Würde des Menschen erheblich relativierten.