Kurseinbruch im Dax: Gefährliche Schuldzuweisung
Der Aktienindex Dax fällt und die deutsche Wirtschaft schiebt die Schuld auf die kommenden Einschränkungen. Doch die hat nicht die Politik verursacht.
D ie deutsche Wirtschaft befindet sich im Schock: Der Aktienindex DAX ist bereits um etwa 10 Prozent gefallen, seitdem unübersehbar ist, dass die Coronapandemie zurückkehrt. Allerdings haben die Börsianer nicht etwa Angst vor dem Virus – sondern vor den Einschränkungen, die die Politik anordnen wird, um weitere Ansteckungen zu vermeiden.
In der deutschen Wirtschaft hat sich ein seltsam verqueres Bild durchgesetzt: Man strickt an der Legende, dass es der Konjunktur bestens ginge, wenn nur kein zweiter „Lockdown“ drohte. Dieses Narrativ ist extrem gefährlich, weil es die Politikverdrossenheit fördert. Zudem ist es schlicht falsch. Die Wirtschaft würde auch einbrechen, wenn es keine offiziellen Kontaktbeschränkungen gäbe. Nicht die Politik ist das Problem – sondern das Virus.
Die meisten Menschen sind nämlich nicht blöd. Sie wissen, dass Corona weitaus tödlicher ist als eine Grippe und höchst seltsame Spätfolgen nach sich ziehen kann. Auch ohne offiziellen Lockdown würden daher viele BürgerInnen Bars, Restaurants und Läden meiden, sobald die Infektionszahlen in die Höhe schießen.
Wie vorsichtig viele BürgerInnen sind, zeigte sich in den vergangenen vier Wochen. In den Geschäften waren 10 Prozent weniger Menschen unterwegs, wie Bewegungsdaten der Handys verraten. Dabei waren die Infektionsraten im vergangenen Monat noch harmlos im Vergleich zu den Ansteckungsraten, die in nächster Zukunft zu erwarten sind.
Auch aus den USA weiß man, dass es ökonomisch nichts bringt, auf Lockdowns zu verzichten. Obwohl US-Präsident Trump stets bedacht war, die Wirtschaft „offen“ zu halten, ist die Wirtschaftsleistung zwischenzeitlich um 10 Prozent geschrumpft, und 10 Millionen Amerikaner wurden arbeitslos. Trumps Ignoranz hat Unternehmen und Beschäftigten nichts gebracht, aber rund 230.000 Menschen das Leben gekostet.
Es ist also genau andersherum, als viele Börsianer glauben: Lockdowns sind keine Zumutung, sondern der schnellste Weg, zur Normalität zurückzukehren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod