Spielfilm über die Antifa: Vom Alphatier zum Hasenfuß
Wie viel Egoismus steckt im Aktivismus? Julia von Heinz’ Spielfilm „Und morgen die ganze Welt“ schildert die Antifa aus der Sicht einer zornigen Studentin.
Woran merkt man, dass mit der Welt etwas nicht in Ordnung ist? Und was bringt einen dazu, sie ändern zu wollen? Bei Luisa (Mala Emde) beginnt es im Container, wahrscheinlich auch schon früher. Als die junge Frau zusammen mit ein paar anderen nachts vor einem Supermarkt im Wohlstandsmüll wühlt, spürt sie bereits deutlich: Etwas ist faul – und das sind nicht die weggeworfenen essbaren Lebensmittel.
Die Erstsemesterstudentin, der die heimatlichen Nestfedern (verarmter Adel mit Jagdhobby und viel liebevoller Aufmerksamkeit) noch unsichtbar im Haar hängen, ist gerade dabei, über die Vermittlung ihrer besten Freundin Batte (Louisa-Céline Gaffron) in eine kommunenartige Hausgemeinschaft in Mannheim zu ziehen. Dort scheint man bereits tüchtig mit dem Ändern der Welt beschäftigt zu sein, zumindest zeigen sich mögliche Vorboten: Plenum, Plakate malen, Antifa-Demos, Selbstverteidigung, Party.
Die zunächst schüchterne Luise legt los, demonstriert, kocht Suppe, lernt boxen, befürchtet zu Recht den Rechtsruck der Gesellschaft, beschließt, ihn zu bekämpfen – und erlebt das erste Mal Todesangst, als sie bei der Kundgebung einer rechtspopulistischen, unschwer als AfD-Klon erkennbaren Partei nach einem Handgemenge von einem Rechten mit Bomberjacke verfolgt und niedergeschlagen wird: Sie macht sich in die Hose.
Es sind Details wie diese, die Julia von Heinz’ in Teilen autobiografischen Film verdichten und seine mit vitaler, beweglicher Kamera eingefangene Atmosphäre mit Authentizität aufladen. Wie ihre Protagonistin Luise war auch von Heinz politisch im Kampf gegen Rechtspopulismus und -radikale aktiv, allerdings in den 1990ern, als Teenager. Luisa ist dagegen 20, über das Kopfsteinpflaster Mannheims radelt sie zur Uni, um bei Juravorlesungen die Theorie zu lernen, was sie in der Praxis nach und nach als unzureichend empfindet. Denn weder die legalen rechtlichen Möglichkeiten noch das Demonstrieren genügen ihr bald.
„Und morgen die ganze Welt“. Regie: Julia von Heinz. Mit Mala Emde, Noah Saavedra u. a. Deutschland/Frankreich 2020, 111 Min.
Und so erzählt von Heinz’ Film, der im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig angesichts der starken Auswahl leer ausging, zwar einerseits von dem Erwachen eines politischen Bewusstseins. Doch andererseits sucht und seziert er dabei das Private im Politischen: Wie auf einem Schachbrett setzt die Regisseurin und Drehbuchautorin ihre Figuren um Luisa herum. Batte, der Gaffron eine bezaubernde Vernunft mitgibt, hat ihre Freundin zwar in die Antifa-Szene hereingeholt, weiß aber – im Gegensatz zu der sich immer mehr radikalisierenden Luisa –, wo ihre persönlichen Grenzen sind: Gewalt ist ausgeschlossen. Sie will weder sich noch andere in Gefahr bringen.
Der sanfte Dietmar (Andreas Lust), ehemaliges Mitglied der Revolutionären Zellen, spiegelt die Aktionsbereitschaft der Jüngeren mit freundlicher Resignation – er saß bereits für die Sache im Knast und ist nicht mehr überzeugt von der Effektivität zivilen politischen Handelns. Luisa dagegen driftet nach der, man darf sagen: traumatischen Gewalterfahrung, bei der ihr der charismatische Kommunarde Alfa (Noah Saavedra) beispringt, in eine andere Richtung.
Sie beginnt, mit Alfa und seinem besten Freund Lenor (Tonio Schneider), deren Namen sprechend sind, Pläne zu schmieden und auszuführen. Zunächst belauscht und beobachtet man die Rechten, macht sodann Waffenverstecke, später auch Pläne ausfindig. Und überlegt schon bald, wirklich aktiv zu werden, das Maulheldentum hinter sich zu lassen. Aber bringt das tatsächlich etwas?
Luisa, deren innere Entwicklung vom vorsichtigen Landkind zur tollkühnen Draufgängerin von Mala Emde präzise und sensibel dargestellt wird, bleibt dabei immer ein bisschen draußen: Zu Hause, bei den Eltern, wo sie ihre Schießkenntnisse beim Jagen zeigen muss, ist sie genauso wenig sie selbst wie auf dem beschaulichen, aber für Luisa hoch aufregenden Pflaster Mannheims. Sie sucht etwas – und der politische Aktivismus ist, eventuell, nur eine Station auf dieser Suche.
„Und morgen die ganze Welt“ mit den Produktionen etwa über die RAF und ihre Vorgeschichte zu vergleichen, mit Uli Edels „Baader Meinhof Komplex“, Andres Veiels „Wer wenn nicht wir“ oder Margarethe von Trottas Film „Die bleierne Zeit“, kann man sich demzufolge sparen: Julia von Heinz’ Fokus ist ein wenig anders.
Es geht ihr neben anderem um das Gemeinschaftsgefühl, das ihre Protagonistin in der Wohngruppe erlebt, um Luisas unbewussten Versuch, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und das behütete Elternhaus zu bringen. Und damit nicht nur um politische, sondern auch um persönliche Leidenschaft, um eine diffuse Sehnsucht, der die Regisseurin mit dem deutlichen, aber beiläufigen Charisma Alfas kurz ein Ziel gibt: Etwas bahnt sich zwischen Luisa und Alfa an, in einer eindrücklichen Szene lässt Alfa sie jedoch zunächst auf einer Party stehen.
Doch als sie sich dem schwulen Lenor offenbart, zeigt er Verbitterung: „Ihr Mädchen habt es so einfach“, bringt er das in dem Zusammenhang selten diskutierte Thema auf den Punkt. Denn auch unter politischen Aktivist*innen und Gerechtigkeitskämpfer*innen mit Diversity-Bewusstsein wird zuweilen nach Aussehen, Sympathie und Lust entschieden, auch hier tummeln sich Selbstdarsteller*innen, Mitläufer*innen und Krawallbrüder und -schwestern.
Dass der energische Aufrührer Alfa nicht nur ein Hallodri ist, sondern einen ähnlich privilegierten Hintergrund hat wie sie und seine politische Haltung an- und ablegt wie ein T-Shirt mit Antifa-Slogan, das wird Luisa jedoch erst klar, als etwas passiert ist und dem politischen Engagement Konsequenzen drohen. Dann wird Alfa nämlich plötzlich vom Alphatier zum Hasenfuß.
„Man findet häufig Stellvertreterpolitik: Ich selbst bin zwar nicht betroffen, ich setze mich aber für andere ein“, sagte von Heinz kürzlich in einem Zeitungsinterview auf die Frage nach der heilen Welt in der Backstory ihrer Protagonist*innen. Und sie gibt zu, dass das Verhalten von Figuren wie Alfa ihr damals nicht fremd war: „Man hat eher versucht, eine bessere Herkunft oder eine gewisse Aufgehobenheit, die man vielleicht hatte, herunterzuspielen.“
Sich ehrlicher mit den eigenen Handlungsgründen auseinanderzusetzen, beim politischen Aktivismus neben altruistischen auch egoistische Motive ausfindig zu machen, haben die Autor*innen des soeben erschienenen, dem Film thematisch nicht ganz unähnlichen Buchs „Aufprall“, Bettina Munk, Heinz Bude und Karin Wieland, ebenfalls geschafft: Das Buch verarbeitet fiktiv ihre authentischen Hausbesetzererfahrungen im Berlin der 1980er.
Dabei werden klar auch die persönlichen Beziehungen als Triebfedern beschrieben: Ohne das Charisma von „Soraya“, einer der drei Buchfiguren, hätten die anderen beiden trotz aller aufgeweckten Erkenntnis die schmuddelige Besetzerrealität wohl kaum so lange mitgemacht, ohne die Hoffnung auf eine wie auch immer geartete Nähe wäre man vielleicht längst in die Provinz zurückgekrochen.
Im Gegensatz zu dem Buch „Aufprall“, das neben der lebhaften, bildreichen Beschreibung jenen symptomatischen „Aufprall“, einen Autounfall mit tödlichen Folgen, als Handlungshöhepunkt nutzt, franst „Und morgen die ganze Welt“ am Ende jedoch ein wenig aus: Die Story wird im letzten Teil des Films dünner, die Aktionen werden unverständlicher, die Dramaturgie schwankt etwas, sodass man sich am Ende verdutzt fragt, was eigentlich genau passiert ist, außer ein paar Fastkatastrophen, und ein paar beklemmenden Zusammenstößen mit Nazis.
Vielleicht ist das Nicht-ganz-Durchziehen der Geschichte aber auch signifikant für eine spezielle Haltung, die mit den Generationen und ihren dadurch bedingten Unterschieden beim politischen Kampf zusammenhängt. Es könnte stimmen, was Thomas Jefferson einst deklamierte: Jede Generation braucht eine neue Revolution. Und die ist eben nicht immer gleich.
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