Die Grünen und Fridays for Future: Dreitagebart und Anzug
Der Spagat zwischen Klimabewegung und bürgerlicher Mitte macht die Grünen erfolgreich. Bewegungen wie Fridays for Future können zur Gefahr werden.
D ie Grünen sind, anders als oft behauptet, keine Volks-, sondern eine Milieupartei. Sie repräsentiert keinen Querschnitt der Gesellschaft, sondern die in der Wissensgesellschaft wachsende Klasse von AkademikerInnen, oft urban und im öffentlichen Dienst beschäftigt. Genau deshalb sind die Grünen so erfolgreich.
Sie gewinnen Wahlen und Mitglieder, weil sie dem launischen Publikum etwas Besonderes bieten: Man ist irgendwie noch immer ein kleines bisschen rebellisch (eine Eigenart, die Robert Habecks Dreitagebart perfekt zum Ausdruck bringt), aber zugleich auch äußerst verantwortungsbewusst und als Anzugträger darauf geeicht, 2021 mit der Union zu regieren.
Das Grünen-Image ist ein perfektes Angebot für konforme Nonkonformisten. Die Grünen haben das Copyright auf Klimaschutz – und bestimmen damit derzeit einen Großteil der politischen Agenda. Doch ihre Erfolge sind schwankender, als man derzeit glaubt. Es wäre nicht das erste Mal, dass Grüne nur Umfragen gewinnen.
Deshalb beobachtet die Parteispitze nervös die Absetzbewegungen am ökologischen Rand, die Proteste gegen die A 49 in Hessen, die auch an die Adresse der Grünen gehen, und die Klimaliste, die in Baden-Württemberg zur Landtagswahl antreten will.
Auch bei Fridays for Future sind nicht mehr alle AktivistInnen begeistert von den maßvollen Plänen der Grünen. Deren Projekt ist für 2021 der ökologische Umbau der Industriegesellschaft – zusammen mit Union und Konzernen. Das wird, auch mit einer Laschet-Union, eine Politik der kleinen Schritte. Daher sind die jetzigen Risse im grünen Spektrum keine flüchtige Irritation, die wieder vergeht, sondern das Wetterleuchten von Widersprüchen, die sich erst später richtig entladen werden.
Die grüne Spitze muss da die Balance halten. Die Ökoliberalen müssen einerseits glaubhaft machen, authentische Stimme der Bewegungen zu sein, die ja ihre eigene Herkunft widerspiegeln, und andererseits moderat und sehr anpassungsfähig in der Mitte um Merkel-WählerInnen ringen. Es ist ein Weg mit Absturzgefahr.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen