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Corona-Auflagen in BerlinLetzte Warnungen vorm Lockdown

Der Senat diskutiert am Dienstag über schärfere Corona-Auflagen. Eine erweiterte Sperrstunde könnte kommen. Schulen kritisieren Krisenmanagement.

Mahnung zur Einhaltung der Maskenpflicht auf der Karl-Marx-Straße Foto: Jörg Carstensen/dpa

Berlin taz | Kommt der zweite Lockdown, und wenn ja, wie sieht er aus? Angesichts der weiter steigenden Coronazahlen drängt Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) auf schärfere Maßnahmen, um das öffentliche Leben weiter einzuschränken und so die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Die Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 EinwohnerInnen innerhalb einer Woche, sei am Sonntag erneut gestiegen auf einen stadtweiten Durchschnittswert von nun 122,7 (Vortag 119,1), sagte Kalayci am Montag im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses. Ab einer Inzidenz von 50 gilt ein Gebiet nach Definition des Robert-Koch-Instituts als Risikoregion.

Der Senat will am Dienstag Verschärfungen der aktuell geltenden Coronamaßnahmen bis hin zu einem möglichen neuen Lockdown beraten. Man sei dabei, „weitere Schritte, weitere Maßnahmen zu erörtern in einem Stufenplan“, sagte Kalayci am Montag. „Und je nachdem, wie sich die epidemiologische Lage in Berlin entwickelt, rechne ich auch mit weiteren Einschränkungen“, sagte sie. Die Lage sei „sehr ernst“ und die Dynamik nehme auch nicht ab.

Wie Kalaycis „Stufenplan“ als Diskussionsgrundlage für den Senat konkret aussieht, blieb am Montag unklar. „Den Beratungen im Senat greifen wir nicht vor“, sagte ihr Sprecher der taz. Aus der Bildungsverwaltung – auch Schul- und Kitaschließungen könnte es bei einem neuerlichen Lockdown wieder geben – hieß es lediglich, man wolle im Vorgriff auf Dienstag „kein Statement zu einzelnen Szenarien geben“.

Nach Informationen der Berliner Morgenpost plädiert Kalayci für eine frühere abendliche Sperrstunde – derzeit gilt noch 23 Uhr. Sie spricht sich außerdem für kleinere Teilnehmerzahlen bei Kultur- und Sportveranstaltungen sowie eine Ausweitung der Kontaktverbote draußen aus. Aktuell begrenzt das „Vereinzelungsgebot“ nur zwischen 23 Uhr und 6 Uhr ein privates Treffen auf fünf Personen – demnächst könnte dies, wie schon im Frühling, den ganzen Tag über gelten.

Zu einer möglichen Verschärfung der Sperrstunde wollte sich die zuständige Wirtschaftsverwaltung nicht äußern. Die Sprecherin von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) bestätigte lediglich, dass sie einen „rechtssicheren Entwurf“ für die Gastronomie erarbeitet habe. Die Sperrstunde für Gastronomie und Handel gilt seit dem 10. Oktober. Allerdings haben bereits über 30 Wirte erfolgreich dagegen geklagt und dürfen nach 23 Uhr offen bleiben, wenn auch keinen Alkohol ausschenken.

Schulschließungen explizit vermeiden

In den Schulen ist man indes am Montag einigermaßen besorgt in die erste Woche nach den Herbstferien gestartet: Auch vonseiten der Schulleitungen mehren sich Rufe nach Nachbesserungen am aktuellen Krisenmanagement, das Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) verantwortet – und zwar noch bevor der vor den Ferien beschlossene Stufenplan für die Schulen überhaupt in Kraft getreten ist. Das soll eigentlich am Donnerstag so weit sein. Kern des vierstufigen Szenarios ist, dass Schul­schließungen explizit vermieden werden sollen. Die letzte Stufe „rot“ sieht lediglich einen Wechsel zwischen Homeschooling und Unterricht mit Abstandsregel in halbierter Klassenstärke vor.

Daran halte man auch fest, betonte eine Sprecherin von Scheeres am Montag – und zwar ungeachtet dessen, was im Senat besprochen werden könnte. Scheeres sei grundsätzlich weiterhin der Überzeugung, „dass aus ihrer Sicht Schulen und Kitas so lange wie möglich offen bleiben müssen. Sie sind nach bisheriger wissenschaftlicher Erkenntnis keine Coronahotspots.“ Die Zahlen geben ihr da – bisher – auch recht: Von 2.700 Kitas seien Stand Montag lediglich 36 komplett geschlossen, bei 54 gebe es „Teilschließungen“. Für Zahlen zu den Schulen sei es nach den Herbstferien noch zu früh, aber der Start sei „insgesamt gut“ gewesen, so ein Sprecher.

„Der Stufenplan der Bildungsverwaltung ist unvollständig“, kritisierte indes Ralf Treptow, Schulleiter am Pankower Rosa-Luxemburg-Gymnasium und Vorsitzender der Vereinigung der Oberstudiendirektoren des Landes Berlin, am Montag der taz. Für einen Notbetrieb im Lockdown gebe es kein Szenario.

Zudem müssten die Schulleitungen selbst entscheiden dürfen, wann sie SchülerInnen und Personal in Quarantäne schicken dürften, betonte Treptow. Die von Scheeres vorgesehenen wöchentlichen Schalten zwischen Schulaufsicht und Gesundheitsamt seien viel zu schematisch gedacht, um auf das Infektionsgeschehen reagieren zu können: „Die Schulleitungen brauchen jetzt eine Rechtsgrundlage, aufgrund deren sie selbst entscheiden können.“

Das sieht auch seine Kollegin Gunilla Neukirchen, Schulleiterin am Lankwitzer Beethoven-Gymnasium und Vorsitzende der Berliner SchulleiterInnen in der Gewerkschaft GEW, so. Von einem pauschalen Schul-Lockdown hält sie zwar nichts – auch weil man im Frühjahr gesehen habe, dass SchülerInnen mit mehr Unterstützungsbedarf besonders darunter litten. „Aber wir brauchen jetzt klare Richtwerte, ab wie vielen Coronafällen eine Schule geschlossen werden muss.“ Der Stufenplan von Scheeres sieht solche Richtwerte nicht vor.

„Es ärgert mich, dass wir jetzt nicht vorsichtiger sind und eventuell tatsächlich einen Notbetrieb an den Schulen provozieren“, sagt Neukirchen. Die Schulleitungen müssten schon deshalb selbst entscheiden dürfen, weil die Gesundheitsämter „die Kontrolle verloren“ hätten und Kontaktnachverfolgung zum Teil nicht mehr stattfinde, sagt sie.

Gastro-Branche: Unnötige Erschwernis

Mit Blick auf die Senatssitzung am Dienstag sieht sich die Gastrobranche indes als „der falsche Adressat“ für Verschärfungen der Corona-Auflagen, sagt Tom Zyankali, Inhaber der Kreuzberger Zyankali-Bar und Ansprechpartner des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga für Bars und Clubs. Untersuchungen hätten gezeigt, dass „in der Gastro gar nicht so viel passiert“, was die Infektionszahlen beeinflusse, sagte er der taz.

Die Sperrstunde und deren mögliche Ausweitung sei eine unnötige Erschwernis für die Branche: „Der Umsatz am Wochenende geht damit so richtig runter“, sagte Zyankali. Mit seiner Bar etwa mache er nur noch 15 bis 20 Prozent des normalen Umsatzes. „Ich bin froh, wenn ich in diesem Oktober noch auf 3.000 Euro Umsatz komme“, sagte er, im Vorjahresmonat seien es rund 18.000 Euro gewesen.

Angesichts der bundesweiten Verschärfung der Krise rufen zahlreiche Verbände der Veranstaltungs-, Gastronomie- und Tourismuswirtschaft-Branche für Mittwoch zur zweiten Großdemonstration nach Berlin. Als Aktionsbündnis „Alarmstufe Rot“ fordern sie von der Bundesregierung Hilfen, die sich gezielter an den Bedürfnissen der Unternehmen orientieren. „Die Lage der vielen Soloselbstständigen und Einzelunternehmer dramatisiert sich zusehends und bedarf dringend einer Lösung durch die Politik, abseits von Hartz IV und der Grundsicherung“, erklärte das Bündnis.

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7 Kommentare

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  • 18k Umsatz im Monat mit einer Bar? wtf

    • @Usch Bert:

      "wtf"



      Kommt schon drauf an, wie gross die Bar ist, wie viel Miete man zahlt und wie viele Angestellte davon gefüttert werden.



      Die Zahl 18000 sagt erstmal gar nichts aus.

      • @Stefan L.:

        sie können die Bar googeln... 10k Miete werden das eher nicht sein bei Größe und Lage

        • @Usch Bert:

          Sie wissen aber schon, dass Umsatz nicht Gewinn ist, oder?



          Ich habe jetzt keine Lust, die Bar zu gugeln aber 18.000.- Umsatz im Monat sind 600.- am Tag.



          Das finden Sie wirklich wtf-viel?



          Davon zahlen Sie Miete, Angestellte, Getränke, ggf. Essen oder Snacks, Küche, Versicherungen, Steuern, Reinigung, Strom, GEMA etc. - und für den Inhaber soll ja auch noch was übrig bleiben. Sie waren wohl noch nie selbständig, oder?

          • @Stefan L.:

            die Margen im Getränkeverkauf, 20-30%, nach Steuern, kenne ich dagegen sehr gut. der teuerste Posten ist das Personal. aber bei 18k bleibt netto selbst dann mehr als genügend übrig.



            wir reden hier nicht von einem Restaurant sondern einer Bar.

  • Man muss bei Schulen unbedingt differenzieren: bis ca. zur 7.-8. Klasse sind die Schülis eine Sackgasse für das Virus. Ab der Pubertät werden sie ziemlich schlagartig so gute Wirte und potentielle Superspreader, wie alle anderen jungen (biologisch) Erwachsenen. Warum das so ist, ist nicht klar. Vielleicht liegt es daran, dass sich die T-Zell-Immunität in der Pubertät grundlegend umbaut: vorher erfolgt die T-Zell-Reifung direkt neben den mittleren Atemwegen; danach nicht mehr.

    Allerdings liegt da auch ein Risiko. Wenn eine Kita oder Grundschule wegen eines Covid-19- (oder besser gesagt PIMS/MISC-)Ausbruchs geschlossen wird, muss unbedingt dafür gesorgt werden, dass die Kleinen das Virus nicht in der Familie weitergeben. Das ist zwar nicht häufig, aber es geschieht in der Regel unerkannt, da bis zur Pubertät die ohnehin schon wenig diagnostische Atemwegssymptomatik in der Regel ausbleibt. Die einzige halbwegs sichere Diagnosemöglichkeit ist eine PCR auf Blutprobe. Antigen-Schnelltests kann man da ziemlich vergessen. Vielleicht funktionieren aber Antikörper-Schnelltests hier hinreichend gut; für die Diagnostik bei Erwachsenen sind sie fast wertlos, weil die gängigen Fabrikate auf alle Coronaviren-Infekte positiv reagieren, also auch auf die harmlosen - und letztere betreffen in Deutschland jährlich 1-2 Millionen Menschen, aber unter denen sind kleine Kinder kaum vertreten.

    • @Ajuga:

      Das ist Blödsinn. Auch Kinder erkranken an dem Virus, auch schwer - mit welchen Langzeitschäden ist noch gar nicht ab zu sehen.

      Es muss daher gelten JEDE Infektion zu vermeiden. A wegen des Leids aber auch B weil es sonst die Gesellschaft Jahrzehnte Unmengen Geld kosten wird die Geschädigten zu versorgen.