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Neues Asyl- und Migrationspaket der EUUnwort des Jahres

Die „Rückführungspatenschaft“ des EU-Migrationspakets kehrt Solidarität um. Es geht nicht mehr um das Teilen der Asyl-, sondern der Abschiebelast.

Fernbedienung und Bibel in einer Zelle in der Abschiebhaftanstalt Eisenhüttenstadt Foto: Stafanie Loos

Von den Plänen für das neue EU-Asylsystem, die die EU-Kommission am Mittwoch vorgestellt hat, blieb ein Begriff hängen: „Rückführungspatenschaften“. Im Netz wurden ihm noch am selben Tag beste Chancen für die Wahl zum „Unwort des Jahres“ bescheinigt.

Auf das, was dahintersteckt, muss man erst mal kommen. Wenn in Brüssel von „Solidarität“ im Zusammenhang mit Flucht und Migration die Rede war, war damit in der Vergangenheit eines gemeint: Die Lasten der Flüchtlingsaufnahme möglichst gleichmäßig zu verteilen. Das wird nun umgedreht: Solidarität könne auch heißen, die Lasten der Abschiebungen zu teilen, verkündete die Kommission. Es ist eine bemerkenswert peinliche politische Verrenkung.

Regierungen wie die von Viktor Orbán in Ungarn leben von ihrer Kompromisslosigkeit in der Flüchtlingsfrage. Doch statt wenigstens zu versuchen, die Haltung der Visegrád-Staaten plus Österreich zu sanktionieren, nahm die Kommission sie jetzt anbiedernd vor Kritik in Schutz: „Die Sorge des einen ist nie legitimer als die des anderen. Alle Sorgen verdienen es, angepackt zu werden“, sagte der Kommissar für die Förderung des europäischen Lebensstils, Margaritis Schinas, am Mittwoch.

Doch die populistisch hochgepeitschte „Sorge“ vor angeblicher Überfremdung und die Bereitschaft zu Menschenrechtsbrüchen ist eben nicht genauso legitim wie das Anliegen, Grund- und Menschenrechte zu wahren und die daran hängenden Lasten zu teilen. Wenn die Kommission mit demonstrativer Indifferenz derartig vor Orbán buckelt, gibt sie sich als politischer Akteur auf. Die „Abschiebepatenschaften“ wollen genau das kaschieren.

Frontext bildet Abschiebeexperten aus

In ihrem Pakt schreibt die Kommission, dass im Schnitt in der EU jedes Jahr rund 370.000 Asylanträge abgelehnt, aber nur etwa ein Drittel dieser Personen abgeschoben werden. Sie erweckt den Eindruck, als läge es daran, dass sich in der EU niemand um Abschiebungen kümmere und die Abschiebepatenschaften (und ein zusätzlich zu ernennender „Abschiebe-Koordinator“) diesen Mangel beheben würden. Das ist Unsinn.

Die Lasten der Abschiebungen sind längst europäisch kollektiviert: Seit Jahren wird die EU-Grenzschutzagentur Frontex aufgerüstet, damit mehr und schneller abgeschoben wird. Frontex koordiniert und finanziert heute Abschiebungen der Mitgliedstaaten. Sie chartert dafür Flugzeuge und bucht Sitzplätze auf Linienflügen. Frontex hilft den nationalen Ausländerbehörden bei der Beschaffung von Pässen und verhandelt mit den Behörden in den Zielländern.

Sie baut einen Pool von spezialisierten Abschiebeexperten, „Escort-Officers“ genannt, auf. Für diese „Return“-Aktivitäten kann Frontex in diesem Jahr 70 Millionen Euro, die aus Brüssel kommen, ausgeben. Nächstes Jahr werden es noch mehr sein. Und übernächstes wohl auch.

Dass trotzdem „nur“ ein Drittel aller Abgelehnten pro Jahr abgeschoben werden, liegt nicht daran, dass die armen Außengrenzen-Staaten mit den Abschiebungen alleingelassen werden und es deshalb die Patenschaften bräuchte.

Der Grund ist, dass viele Menschen trotz abgelehnten Asylantrags nicht abgeschoben werden können: Weil sie krank sind oder in Ausbildung, weil sie minderjährig sind, weil sie aus einem Kriegsgebiet stammen, weil sie keinen Pass haben, ihre Identität unklar ist, weil ein Gerichtsverfahren noch nicht entschieden ist, weil sie untergetaucht sind oder weil ihre Herkunftsländer sie nicht zurück nehmen.

Ein Teil von ihnen ist ausreisepflichtig, und trotzdem haben sie Rechte, die einer Abschiebung entgegenstehen können. Und das ist auch richtig so. Welchen Effekt werden da nun die „Abschiebepatenschaften“ haben?

Entrechtung ist eingebaut

Die Kommission will festlegen, dass alle Staaten freiwillig Aufnahmequoten erfüllen sollen. Machen sie das nicht, sollen sie ersatzweise eine Anzahl abgelehnter Asylbewerber aus den Außengrenzen-Staaten abschieben. Dafür haben sie pro Fall acht Monate Zeit. Gelingt ihnen das nicht, müssen sie die Betreffenden doch selber aufnehmen.

Mal angenommen, das Modell der „Paten-Abschiebungen“ lässt sich umsetzen – und bulgarische Polizisten würden etwa nach Valletta reisen, um von dort abgelehnte Asylsuchende nach Ghana zu bringen: Es ist zu bezweifeln, dass Staaten, die seit Jahren die Konfrontation mit Brüssel suchen, um keine Flüchtlinge aufnehmen zu müssen, sich um die Rechte der anderswo abgelehnten kümmern.

Denn ansonsten müssten sie diese zu sich ins Land lassen. Die Entrechtung der Flüchtlinge ist in dem Modell schon eingebaut.

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5 Kommentare

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  • falls die "Abschiebepatenschaft" oder die "Rückführungspatenschaft" tatsächlich zum unwort des jahres gewählt würde-wäre es das erste mal dass ein solches der politik der eu entstammt.

    für deren ansehen sind die menschenrechtsverletzungen an ihren aussengrenzen sehr schädlich

    die eu hat keine zukunft wenn sie so weitermacht

  • Traurig, daß sich die Komission dazu hat hinreißen lassen....

  • Man sollte sich über das Wort Rückführungspatenschaften nicht lustig machen. Schließlich geht es um die notwendige Umsetzung des geltenden Rechts. Daran scheitert es viel zu häufig. Am Wort selbst ist nichts auszusetzen.

    Problematisch finde ich eher, wie diese in der Praxis aussehen soll. Sollen die Patenländer jetzt dutzende Polizisten in Athen stationieren um dann etwaige Abschiebungen vorzunehmen? Da wäre es doch besser, die EU würde die Aufgabe in Amtshilfe übernehmen und die jeweiligen Einsatzkräftebezahlen und koordinieren.

  • Es geht ja auch schon längst nicht mehr um Asylrecht.

    Weniger als zwei Prozent der Migranten fallen überhaupt unter das Asylrecht.

    Die Flüchtlingskonvention der Uno wurde vor 54 Jahren geschrieben, aber sie ist bis heute gültig. Ihr Kern: «Flüchtlinge sind Menschen, die sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen.» Zivilpersonen, die sich kriegsbedingt außerhalb ihres Wohnorts oder Heimatstaates aufhalten, etwa die Kambodschaner nach 1979 in Thailand, wurden noch korrekt «Displaced Persons» oder «Kriegsvertriebene» genannt und nach Friedensschluss repatriiert. Displaced Persons brauchen Schutzzonen und Versorgung vor Ort oder im Nachbarland.







    Neuniederlassung (Resettlement) in einem Drittland kann fast immer nur die Ausnahme sein, auch weil man damit die aktivsten und gebildetsten Menschen dem Bürgerkriegsland entzieht und damit die interne Opposition gegen die kriegstreibenden Eliten schwächt. Dass jeder problemlos in Europa akzeptierte Neuankömmling seinen Bekanntenkreis im Herkunftsland dazu ermuntert, es ihm gleichzutun, ist nichts weiter als selbstverständlich. Nur verschiebt sich damit die Lösung des Problems auf später. Was Syrer*innen u. a. heute brauchen, ist eine durch die Uno garantierte Schutzzone im eigenen Land oder in gut geführten Aufnahmelagern in den Nachbarländern, finanziert durch die wohlhabenden Länder am Golf und im Westen. Dies ermöglicht es Vertriebenen, mit ihrer Heimat in Kontakt zu bleiben und nach Ende des Konflikts wieder in ihr Land zurückzukehren.

    Eine Möglichkeit präventiv arbeiten zu können ist beispielweise die UNHCR, die einen hervorragenden und professionellen Job macht, leider chronisch unterfinanziert, da auf Spenden angewiesen.

    www.sueddeutsche.d...nzierung-1.5039545

    • @shantivanille:

      Vielen Dank, Herr Wienand, für Ihre fundierte, sachliche objektive und Darstellung. Es braucht mehr solche Kommentare.