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Maßnahmen der EU gegen ErderhitzungKonsens über Klimaziele bröckelt

Das Europaparlament ist für eine stärkere Senkung der Treibhausgase als die Kommission. Doch die Konservativen ziehen nicht mit.

EU-Kommissar Frans Timmermans bei der Klimadebatte im Europäischen Parlament in Brüssel Foto: reuters

Brüssel taz | Das Europaparlament fordert mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz. Eine knappe Mehrheit aus Sozialdemokraten, Liberalen, Linken und Grünen sprach sich am Mittwoch in Brüssel für die Absenkung der Treib­haus­gase bis 2030 um 60 Prozent aus. Die EU-Kommission hatte 55 Prozent vorgeschlagen, bisher liegt das Ziel bei 40 Prozent.

Grüne und KlimaschützerInnen sprachen von einem wichtigen Fortschritt. „Ein richtig starker Erfolg für die Klimabewegung!“, jubelte der deutsche Grünen-Abgeordnete Michael Bloss. Die neue Zielmarke bedeute „das ambitionierteste Klimaziel, welches bisher in der EU von einer politischen Institution angenommen wurde“.

Allerdings ist unklar, ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wird. Die Umsetzung dürfte Schwierigkeiten bereiten. Denn die Konservativen, die AfD und einige Liberale im Parlament tragen es nicht mit. Auch in den EU-Staaten gibt es noch Widerstand.Das 60-Prozent-Ziel werde nur mit „unzumutbaren Entbehrungen erreichbar sein, die sehr tief in den Alltag der Menschen eingreifen“, erklärten die CDU-Europaabgeordneten Peter Liese und Markus Pieper. Die Mehrheit habe sich „von Panikmachern treiben lassen“. Die meisten Konservativen wollten nur 55 Prozent Reduktion mittragen und hatten sich bei der Abstimmung enthalten.

Ähnlich dürften CDU/CSU und die meisten anderen Konservativen bei einer weiteren, finalen Abstimmung über das Klimagesetz am Donnerstag verfahren. Selbst wenn das Gesetz dann erneut eine knappe Mehrheit finden sollte, wäre der Konsens über die Klimapolitik futsch. Bisher wurde er von allen großen Parteien mitgetragen, CDU/CSU inklusive.

Einigung später als erwartet

Dies ist nicht nur ein Problem für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die selbst der CDU angehört. Es erschwert auch eine Einigung mit dem Rat, in dem die Vertreter der 27 EU-Länder sitzen. Dort gibt es jetzt schon Widerstand aus Polen, das seine Energieversorgung noch weitgehend auf Kohle stützt. Ein neues, schärferes Klimaziel dürfte eine Einigung noch schwieriger machen.

Die Vorbehalte im Rat sind so groß, dass die Entscheidung auf Dezember vertagt werden soll. Der EU-Gipfel „wird auf seiner Dezembertagung auf dieses Thema zurückkommen“, heißt es in einem Entwurf für das nächste Treffen der Staats- und Regierungschefs Mitte Oktober in Brüssel. Bisher war eine Einigung noch im Oktober geplant.

Die Fridays-for-Future-Bewegung bezweifelt, dass das Einsparziel ausreicht, um die Pariser Klimaziele zu erfüllen. Sie hat der EU einen „Betrug mit Zahlen“ vorgeworfen. Von der Leyen lege eine falsche Datenbasis zugrunde und versuche, die Zahlen durch Einbeziehung der Landnutzung schön zu rechnen, kritisierten Greta Thunberg und andere AktivistInnen.

Rückendeckung bekommen Thunberg & Co von Grünen und professionellen KlimaschützerInnen. Die Grünen hatten zunächst eine Einsparung von 65 Prozent gefordert, konnten sich aber nicht durchsetzen. Mit 60 Prozent sei die Haltung des Parlaments zwar „weit fortschrittlicher“ als die der Kommission, erklärte der WWF. Dies reiche aber immer noch nicht aus, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Der WWF und andere Umweltorganisationen hatten eine Einsparung von mindestens 65 Prozent gefordert. Dieses Ziel geht jedoch auch der deutschen Bundesregierung zu weit, die derzeit den EU-Vorsitz innehat. Die große Koalition steht unter dem Druck der Wirtschaft, die unter Verweis auf die Coronakrise und den internationalen Wettbewerb auf der Bremse steht. Kommissionschefin von der Leyen hatte ihren „European Green Deal“ vor einem Jahr als Konjunkturprogramm präsentiert.

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12 Kommentare

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  • Interessant das viele heute ignorieren trotz lockdown und Dieselfahrverbot die Daten nicht gesunken sind. Also kann es weder am Auto noch am fliegen liegen? Kann es sein das der größte Teil Von Industrie und Militär verursacht wird?

  • "unzumutbare Entbehrungen"

    Wir haben 10 Jahre und brauchen 25-50 Billionen, um



    die Energieerzeugung



    den Verkehr



    die Wärmegewinnung



    umzubauen.

    Geld spielt im Grunde keine Rolle. Mit der EZB haben wir eine Bank und die EIB kann Klimaprojekte fördern.

    Sozialen Um au und die Veränderung hin zu neuen anderen Abreitsplätzen können wir ähnlich finanzieren.



    Die gesellschsftliche Rendite ist enorm hoch dabei.

    Ach ja, die Inflation. Die wird sich hauptsächlich im Vermögenssektor abspielen und lässt sich dort durch einen Anteil von 1,33%-Punkt von den erzielten Buchgewinnen abschöpfen. Wird in den NL schon so gemacht, wobei man 4% Rendite annimmt.

    Im Grunde ist es altes Business vs. neues Business.

    • @J_CGN:

      Geld hat noch nie eine Rolle gespielt, nicht nach der Lehmann-Pleite, für Abwrack-und Kaufprämien, auch nicht für die Innenausstattung des Wolkenkuckucksheims, die in dem sogenannten "Wumms-Paket" auf der Wunschliste steht, noch den sonstigen Bestandssicherungs-Milliarden zur Rettung der alten Industrien im Rahmenprogramm der Corona-Pakete.

      Die fehlende Zeit für Planung und Umsetzung der Heilsversprechen ist das Problem, sowohl für die erneuerbaren Energieanlagen, dem Ausbau des ÖPNV/der Schiene und natürlich der Wärmegewinnung. Ohne ganz kräftig auf die Wachstums- und den Energieverbrauchsbremse zu treten, ist keine Klimaschutzmaßnahme wirksam.

      Glauben Sie ernsthaft, dass die Entscheidungsträger das nicht wissen? Schon seit Jahren wissen, dass es noch nie ein besseres Marketing für ökonomisches Wachstum gegeben hat als Klima- und Umweltschutz? Alle wollen es und glauben auch gerne, dass mit zusätzlichem "grünen" Wachstum, "grünem" Zement, Aluminium und Stahl, "klimafreundlichen" Autos, High-speed-streaming, smarthome, Fleischproduktion mit dem 3D-Drucker, mit neuen Autofabriken, neuen Autobahnen und Tiefbahnhöfen (FFM), komplett neue Verkehrs- und Gewerbeinfrastrukturen in den strukturschwachen Braunkohleregionen... auf Basis von 50% erneuerbaren Energie möglich ist.

      Und ein Weltraumbahnhof soll als Zierkirsche oben drauf gesetzt werden, auf die 57 Milliarden Euro für umwelt- und klimafeindliche Projekte, die aus dem Steuertopf subventioniert werden. (Aber davon kann man nichts wissen, wurde heute noch nichts drüber getwittert. Aus den Augen, aus dem Sinn!)

      Aber wir freuen uns ja schon über eine Prozentangabe für ein Wunschprogramm, dass von Pippi Langstrumpf und Alice im Wunderland erstellt wurde.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Maßnahmen der EU gegen Erderhitzung?

    Bitte nicht ganz so fantasievoll mit den Begriffen umgehen! Gemeint ist ja wohl eher die Erdatmosphäre. Auch da sollte man nicht gerade von Erhitzung sprechen sondern eher vom Treibhauseffekt oder Erwärmung.

  • Nanu? Die Natur ist nicht konservierungswürdig? ... ach, ich vergaß den vorangesetzten Wirtschaftsfetisch der Konservativen. ;-)

    • @Uranus:

      ... Wirtschaftskonservative

  • Die EU zahlt jährlich über 400 Milliarden an Energieimporten multipliziert mit 10 Jahren sind das die Kosten für die Energiewende. Dazu kommen die Steuern für die Emission von CO2, die zusätzlich den zu erwartenden Preisverfall für Energieimporte fossiler Energieträger ausgleichen müssen. Ob es für dann die Energiewende dann genug Arbeitskräfte gibt, bleibt abzuwarten.

  • Netter Streit um Prozentzahlen. Fragt nur niemand, auf welcher Basis, bzw. von welchem Fundament, diese Einsparungen in der verfügbaren Zeit erreicht werden sollen. Mit 50% erneuerbaren Energien den grünen Stahl, grünen Wasserstoff, grünen Zement..., E-Mobilität, Digitalisierung... betreiben?



    Planungs- und Fertigstellungszeiträume für die neuen (zusätzlichen) Stahl- und Kraftwerke hat wer genau auf dem Schirm? Pippi Langstrumpf? Wie weit sind wir eigentlich mit der Digitalisierung der Schulen - nur mal so gefragt?



    Welche Unternehmen mit welchen Personalkapazitäten stehen für die Renovierung (Dämmung) von 75% der Gebäude in Europa zur Verfügung? Den Dämmstoff selbst produziert Pippis Papa klimaneutral in Taktuka-Land, ist doch logisch; oder etwa nicht?



    Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer rufen den Scheinriesen zu Hilfe, um die Windräder zu pflanzen, die von Artreu aus Fantasia geliefert werden?



    Es ist eine unendliche Geschichte, mit den Märchenerzählungen vom Klima- und Umweltschutz!



    Vielleicht verschwindet das CO2 in den Zertifikaten, wenn nur der Preis stimmt?

    Noch ein Tipp: Zusätzliche Gastanks für Elektro-Hybrid-Autos fördern, dann werden die noch klimafreundlicher!

    • @Drabiniok Dieter:

      Die jetzigen Billizertifikate mit all ihren Ausnahmen sind ein Witz. Die sind Sozialsmuszerifikate für alle und steuern über den Preis nix.

    • @Drabiniok Dieter:

      ... und Bio-Kerosin. Die Grünen wollen schließlich auch fliegen. ;-)

  • "Dies ist nicht nur ein Problem für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die selbst der CDU angehört."

    Für die ist das kein Problem. Die kannte die Position ihrer Fraktion, als sie vollmundig ein total tolles Abkommen ankündigte - in 9 Monaten.

    Am Ende werden vermutlich wieder die Grünen schuld sein. Wie immer, wenn die CDU/CSU Mist baut.

  • Das 60-Prozent-Ziel werde nur mit „unzumutbaren Entbehrungen erreichbar sein, die sehr tief in den Alltag der Menschen eingreifen“

    Hätte man vor 20 Jahren angefangen, müsste man das nicht. Und tut man es heute nicht wirds morgen nur um so schlimmer