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Nominierung für den Supreme CourtDie leise Revolution

Barbara Junge
Kommentar von Barbara Junge

Amy Coney Barrett ist kein Einzelfall: In den knapp vier Jahren seiner Amtszeit hat Trump die US-Rechtsprechung nachhaltig umgeformt.

Proteste vor dem obersten Gerichtshof gegen die Nominierung von Amy Coney Barrett Foto: reuters/James Lawler Duggan

J a, die Nominierung von Amy Coney Barrett für den Supreme Court ist verstörend. Donald Trumps Vorschlag zielt auf eine konservative Radikalisierung des obersten Gerichtshofs der USA. Mit ihren christlich-fundamentalistischen Ansichten lässt Barrett um so schmerzhafter spüren, welche Lücke der Tod der feministischen Ikone Ruth Bader-Ginsburg gerissen hat. Doch die Nominierung von Barrett ist nur ein kleines, wenn auch prominentes Stück in einem großen Puzzle.

Wenn Barrett sagt, für sie wiege der Wortlaut der US-Verfassung (aus dem Jahr 1787 und im Geist desselben) mehr als Entscheidungen, die der Supreme Court seitdem gefällt hat, könnte das im Zweifel die Aufhebung wegweisender Urteile bedeuten. Die Aufhebung der Rassentrennung von 1954 gehört aller Vernunft nach nicht dazu. Aber die Verfassungsmäßigkeit von Abtreibung, festgeschrieben in der legendären Entscheidung Roe vs. Wade von 1973, dürfte mit einer Verfassungsrichterin Barrett zur Disposition stehen.

Auch die gleichgeschlechtliche Ehe, Urteile gegen die Diskriminierung nach Geschlecht oder Hautfarbe werden für Barrett nicht sakrosankt sein, jedenfalls nicht, wenn man sie an ihren bisherigen Aussagen misst. Ganz zu schweigen von Obama-Care, der ersten allgemeinen Krankenversicherung für alle Amerikanerinnen und Amerikaner.

Amy Coney Barrett ist bereits die dritte Nominierung Trumps für den obersten Gerichtshof, ihr Name ist inzwischen weltweit bekannt. Doch wem sind Roderick Young oder Cory Wilson ein Begriff? Young ist der 161. von Trump ernannte Bundesrichter an einem Bundesbezirksgericht. Wilson ist Nummer 53 auf der Liste der Richter an einem der 13 Bundesberufungsgerichte. Dazu kommen noch zwei Richter am Bundesgericht für internationalen Handel. Mehr als 30 weitere Juristen-Bestätigungen von Trump stehen noch im US-Senat an. Und noch hat der republikanisch dominierte Senat die Zeit, weitere Richter zu bestätigen, unter ihnen Amy Coney Barrett.

Jenseits seiner Twitter-Wütereien, jenseits seiner Lügen und jenseits der subtilen Drohung, das Weiße Haus nicht freiwillig zu verlassen, hat Trump die Rechtsprechung in den USA in den knapp vier Jahren seiner Amtszeit ruhig, radikal und nachhaltig umgeformt. Am 1. Februar 2017, als eine seiner ersten Amtshandlungen, nominierte Trump Neil Gorsuch als Nachfolger des gestorbenen Richters am Supreme Court Antonin Scalia; später folgte Brett Kavanaugh.

Von den etwa 800 Bundesrichterstellen im ganzen Land sind inzwischen 218 von Trump ernannt. Zumeist sind es wie Amy Barrett oft junge, dynamisch-reaktionäre Bundesrichter. Sie sprechen Recht auf Lebenszeit – weit über Trumps Amtszeit hinaus. Das ist die eigentliche Tragik der konservativen Revolution der US-amerikanischen Rechtspolitik.

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Barbara Junge
Chefredakteurin
taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
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9 Kommentare

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  • „Von den etwa 800 Bundesrichterstellen im ganzen Land sind inzwischen 218 von Trump ernannt.“

    Beobachter in aller Welt zerbrechen sich seit etlichen Monaten den Kopf darüber, was dieser Präsident denn nun eigentlich will. Aus dem Vorstehenden wird dies allerdings sehr schnell klar - größtmöglichen Einfluss auf die Judikative. Er braucht diese Seilschaften weniger aus ideologischen Gründen, sondern aus rein praktischen Erwägungen. Sie sichern ihm weitgehend Straffreiheit für den Fall zu, dass aus seiner Präsidentschaft auf Lebenszeit wider Erwarten dann doch nichts werden sollte.

  • Die Nominierung von Barret macht einmal mehr deutlich, wie problematisch Verfassungsgerichte überhaupt sind, egal in welchem Land. Dass eine Handvoll Personen darüber bestimmen kann, wie das Leben von millionen Menschen auszusehen hat, ist nicht akzeptabel. Da sind andere, partizipative und repräsentativere Instanzen nötig.

  • Es ist zutreffend, dass Trumps Strategie langfristige und schlimme Folgen haben dürfte, eine Revolution würde ich das aber kaum nennen. Es handelt sich eher weniger um einen Umsturz sondern eher um eine Entwicklung, die aber in verschiedenen Themenbereichen auch ganz uneinheitlich verläuft. Für den durchschnittlichen Amerikaner und auch die durchschnittliche Amerikanerin jenseits der Küstenmetropolen ist die "feministische Ikone" RBG jedenfalls viel mehr Exotin als die jetzt nominierte Nachfolgerin. Das Abtreibungsrecht wird in den USA aber ohnehin im wesentlichen von der Gesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten geprägt, im vielen ist es extrem restriktiv. Abtreibung ist in den USA keineswegs erlaubt, es widerspricht nur nicht dem Bundesrecht. Beim Thema Todesstrafe sieht die Entwicklung in den USA übrigens tendenziell anders aus, das Thema Umweltschutz dürfte selbst bei sehr konservativen Richtern unterschiedlich gesehen werden und der Schutz von Minderheiten und die Verteidigung von Gleichheitsgrundsätzen sind so sehr Kernaufgabe eines modernen Staates, dass daran auch reaktionäre Richter lange nicht so viel ändern können, wie hier suggeriert wird. Der oberste Gerichtshof der USA mag ja in der Vergangenheit viele wegweisende Urteile gefällt haben und auch Entwicklungen vorangetrieben haben, das Rad zurückdrehen kann er aber trotzdem nicht. Wesentlich wichtiger sind die gesellschaftlichen Prozesse, vor allem die Wiederherstellung einer allgemein akzeptierten Öffentlichkeit.

  • That’s true • - Dick Cheney - was a little step only.

  • Meines Wissens hat es in den USA nie ein Gesetz gegeben, das den Demokraten auf alle Zeiten das alleinige Recht auf die Besetzung der Richterposten garantiert hat. Wenn sie es also in 8 Jahren Obama nicht für nötig gehalten haben, vorzusorgen gegen Besetzungen wie die hier thematisierten, haben sie entweder an Selbstüberschätzung gelitten, oder sie waren vollkommen einverstanden mit dem „Prinzip lebenslänglich“. Wahrscheinlich sogar beides.

    Im Übrigen tolerieren mächtige Konservative Trumps „Twitter-Wütereien“, seine Lügen und seine „subtilen Drohung[en]“ nicht ohne Grund. Sie hätten lieber einen Präsidenten gehabt, der einen, sagen wir mal, etwas präsentableren Stil pflegt. Trump ist nicht unbedingt ein Aushängeschild. Dass ihn eine überaus eitle Elite trotzdem zähneknirschend unterstützen, ist nur dadurch zu erklären, dass sie etwas bekommt für die Kröte, die sie schluckt. Gewisse Posten etwa, die nicht nur mit Geld verbunden sind, sondern auch mit Einfluss - und mit sehr viel Sicherheit.

    Nein, dass es ausgerechnet Trump war, der „die Rechtsprechung in den USA in den knapp vier Jahren seiner Amtszeit ruhig, radikal und nachhaltig umgeformt“ hat, glaube ich nicht. Es wäre zu viel der Ehre, ihm das auch nur zu unterstellen. Trump hatte einfach nie etwas dagegen, dass „das Establishment“ auch unter seiner Regentschaft tut, was es immer schon tun gern getan hat und was dem Präsidenten im Grunde am A... äh... am Gesäß vorbei geht: echte Macht ausüben.

    Trump wollte nie mehr sein als ein Präsidenten-Darsteller. Und seine Fans sind blöd genug, das nicht zu raffen. Genau wie offensichtlich auch gewisse Kritiker.

    • @mowgli:

      bis zu Anfang der 2000er Jahre galt in den USA bei der Besetzung der obersten Richter der Grundsatz 60:40. Da keine der beiden Parteien 60% der Sitze in den Kammern verfügte, wurde immer ein Kompromisskandidat bestimmt, mit dem beide Parteien leben konnten. Dann wurde von den Demokraten dieser 60:40 Grundsatz gekippt, sie wollten damals besonders schlau sein, um einen Kandidaten durchzubringen, der auf Demokratenlinie war. Aus 60:40 wurde die einfache Mehrheit. Und das Ergebnis ist seitdem zu beobachten. Richter nach Präsidentengnaden, so handhaben es jetzt die Republikaner und vorher jahrelang die Demokraten. Ein völlig demokratischer Vorgang!!! Kann nur geändert werden, wenn die 60:40 Regelung wie vorher wieder hergestellt wird.

    • @mowgli:

      1. Absatz - Wie meinen?

      Wenn keiner den Löffel abgibt - isses halt schwierig - odr?!

  • Es gibt schon Argumente für den besonderen Stellenwert des Wortlauts der Verfassung. In Extremis könnte man sagen: Wozu überhaupt eine geschriebene Verfassung, wenn die Worte, die drinstehen von jeder Generation fast nach Belieben umgedeutet werden können? Auch das deutsche Grundgesetz soll ja (in Teilen) "Ewigkeitscharakter" haben. Gerade die Menschwürde darf aber niemals zur Disposition gestellt werden. Aber was, wenn kommende Generationen versuchen sollten, den Begriff der Menschenwürde umzudeuten? Oder die Definition, wer überhaupt ein Mensch ist und darum Menschenwürde genießt? Es ist ja noch nicht lange her, dass in Deutschland manches Leben als "lebensunwert" eingestuft wurde - von einer Bevölkerung, die sich selbst für fortschrittlich hielt. Da wäre es gut gewesen, sich an einen Wortlaut klammern zu können, der wirklich allen Menschen Leben und Würde garantiert.

    Heutige (und vor allem zukünftige) medizinethische Probleme könnten zu allerhand bedenklicher Logik führen. Die Abtreibungsdebatte z.B. wird auch in Zukunft nicht einfacher: Pränataldiagnostik, Gentechnik, gezielte Auswahl von Embryos nach genetischen Kriterien oder nach Geschlecht. Es gibt ein Wort dafür: Diskriminierung. In Indien werden schon heute weibliche Embryos aktiv diskriminiert. Eine gefährliche gesellschaftliche Schieflage ist die Folge.