Die steile These: Synchronisierte Filme sind super
Filme in Originalfassung gucken wird zunehmend eine Frage des versnobten Kulturverständnisses. Das ist nicht richtig, sagt unsere Autorin dazu.
Wie oft habe ich den Satz schon gehört: „Also, ich schaue Filme nur in Originalfassung.“ Oft ist das ein Small-Talk-Thema auf Partys in fremden Küchen, wo etwa der Mensch mit der interessanten Brille und dem noch interessanteren Lebenslauf erklärt, wie schlimm Synchronisation sei.
Meist nicke ich dann. Denn ich bin doch auch eine, die mal in der Spätvorstellung eine tschechische Doku mit englischen Untertiteln anschaut.
Aber manchmal sitze ich auch vor dem Bildschirm und drücke, vielleicht ein wenig beschämt, auf „Deutsch“. Oder ich gehe in das Kino, das viele meiner Freund*innen wohl als seelenlos beschreiben würden, und kaufe mir ein Ticket für einen synchronisierten Hollywoodschinken. Ob mir mein cineastisches Vergehen danach wohl im Gesicht geschrieben steht?
Die Synchronisation hatte es von Anfang an nicht einfach. In den ersten Jahren des Tonfilms hat man Filme einfach mehrmals gedreht. Entweder mit verschiedenen Darsteller*innen, die Szenen hintereinander in den unterschiedlichen Sprachen sprachen. Oder aber die Schauspieler*innen lernten den fremdsprachigen Text einfach auswendig und gaben ihr Bestes.
Was dabei herauskam, kann man am Trailer eines „Dick und Doof“-Films von 1931 sehen. Der Text ist irgendwie verständlich, jedoch erst, wenn man jedes vom englischen Akzent durchdrungene Wort akustisch entziffert.
Diese Methode war nicht nur unangenehm anzuhören, sie war auch aufwendig und teuer. In Deutschland setzte sich daher die Synchronisation durch. Die war aber nicht unumstritten. Laut Goethe-Institut beschrieb die zeitgenössische Kritik die Synchronisation als „Amputation, bei der auf den blutigen Stumpf eine künstliche Stimm-Prothese aufgeschraubt würde“.
Stimme und Darsteller sind zwei
Das Publikum musste sich erst mal an den Spalt zwischen Stimme und Schauspiel gewöhnen. „Das ist ein kultureller Lernprozess, bei dem die Zuschauer in gewissem Sinne vergessen können müssen, dass derjenige, der spricht, eben nicht identisch ist mit demjenigen, den sie auf der Leinwand sehen“, erklärt Film- und Fernsehwissenschaftler Joseph Garncarz.
Erst in der Nachkriegszeit blühte die Synchronisation so richtig auf. Die Deutschen suchten Ablenkung in den Kinos, und ihr Englisch reichte nicht, um die Originalfassungen zu verstehen.
Außerdem bot die Synchronisation eine Möglichkeit, den Film politisch „zurechtzubiegen“. Die Romanze „Casablanca“, die 1952 in die deutschen Kinos kam, wurde um all seine Bezüge zum Nationalsozialismus gekürzt. In Hitchcocks „Notorious“ (1951 unter dem Titel „Weißes Gift“ in Deutschland veröffentlicht) machte das Synchronstudio die Bösewichte des Films von Nazis zu Drogenhändlern.
Heute werden nahezu alle fremdsprachigen Filme im deutschen Sprachraum synchronisiert. Kleinere europäische Länder wie Schweden oder die Niederlande setzen auf Untertitelung. Das spart Kosten, soll aber auch für die guten Englischkenntnisse der Menschen in den jeweiligen Ländern verantwortlich sein.
Eine besonders kuriose Form der Übersetzung findet man in Russland und Polen: Dort spricht ein Mann relativ emotionslos alle Rollen über den leiseren Originalton.
Wer schimpft, sagt etwas über sich
Wann genau das lautstarke Ablehnen von Synchronisationen in bestimmten Kreisen Deutschlands hip wurde, konnte ich nicht herausfinden. Es wird aber doch deutlich, dass das Geschimpfe auf deutsche Synchronisation weniger mit deren Qualität als mit der Selbstdarstellung derer zu tun hat, die schimpfen.
Seit über zwei Jahren werden Frauen, die sich offen gegen rechts positionieren, mit dem Tod bedroht. Absender: „NSU 2.0“. Steckt ein Polizist dahinter? Eine Spurensuche in der taz am wochenende vom 05./06. September. Außerdem: Die Theaterhäuser öffnen wieder – mit strengem Hygienekonzept. Was macht Corona mit der Kunst? Und: Eine Kräuterwanderung im Schwarzwald. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Warum hören wir nicht endlich auf, synchronisierte Filme als Marker von Klasse und Bildung zu sehen? Denn die deutschen Synchronisationen müssen sich bei Weitem nicht verstecken und können einen Film mitunter noch besser machen.
Die Profession der Schauspieler*innen ist das Schauspielern. Dazu gehört auch die Stimme. Jedoch macht sie nur einen kleinen Teil dessen aus, was Schauspieler*innen am Set leisten müssen. Synchronsprecher*innen hingegen können sich im Studio ganz auf ihre Stimme konzentrieren. Oft sind es Menschen, denen man den ganzen Tag zuhören möchte, Manfred Lehmann etwa, der unter anderem Bruce Willis synchronisiert und aus dessen Mund selbst „20 Prozent auf alles außer Tiernahrung“ wunderbar klingt.
Schauspieler*innen werden fürs Aussehen gecastet
Sicherlich gibt es einige internationale Schauspieler*innen, die eine großartige Stimme haben. Ich behaupte aber, dass dies zufälliges Beiwerk ist. Für ein so visuelles Medium wie den Film werden Schauspieler*innen wegen ihres Äußeren gecastet, nicht wegen ihrer Stimme. „In amerikanischen Filmen nuscheln fast alle“, sagte Til Schweiger einmal. Eine tolle Synchronstimme verleiht somit den letzten Schliff. Claudia Urbschat-Mingues (übrigens auch die Stimme des „Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der ‚Tagesschau‘ “) klingt so rauchig, so sexy und verwegen, wie Angelina Jolie klingen sollte. All deren Rollen steht die deutsche Stimme besser als die hohen Töne, die aus dem Mund der Schauspielerin selbst kommen.
Natürlich hat die Synchronisation ihre Schwächen. So habe ich Jahre gebraucht, den Ketchupwitz aus „Pulp Fiction“ zu verstehen, der in der deutschen Version leider keinen Sinn ergibt. Das Original spielt mit dem ähnlichen Klang von Tomatensoße und dem Verb catch up, zu Deutsch einholen. Aber dieses Problem liegt nicht an der Synchronisation, sondern an der Übersetzung. Auch die deutschen „Harry Potter“-Bücher wimmeln von merkwürdigen Wörtern, welche die Intention der Autorin nicht treffen oder schlichtweg falsch sind. Wenn die Übersetzung schlecht ist, können auch die Synchronsprecher*innen nichts mehr retten.
Und wenn Synchronisation so furchtbar ist, warum werden Filme in Deutschland dann überhaupt noch synchronisiert? Weil nicht alle Menschen so tolles Englisch sprechen wie meine hippen Studienkolleg*innen; vor allem viele Senior*innen nicht, die rund 21 Prozent der deutschen Bevölkerung ausmachen. Die Fremdsprachenkenntnisse meiner Großeltern hätten sich auch nicht verbessert, wenn sie Untertitel auf ihrem Fernseher hätten entziffern müssen. Stattdessen hätte man sie um den Genuss ausländischer Filme gebracht. Zudem: Wie viel bekommt man überhaupt von der cineastischen Qualität eines Films mit, wenn die Augen immer am Text unten oder oben am Bildrand kleben?
Aber nein, niemand will heute Filme noch synchron geschaut haben. Zu uncool. Oder doch? Nutzungsdaten von Amazon Prime Video zeigten, dass um die 90 Prozent der deutschen Kunden Filme und Serien auf Deutsch ansähen, sagte Stephan Josse von Prime Video dem Tagesspiegel. Von kleinen Independent-Häusern mal abgesehen, laufen auch in den Kinos hauptsächlich synchronisierte Filme.
Im Fernsehen wollte der Sender ProSieben Maxx dem vermeintlich großen Interesse an Originalversionen nachkommen und zeigte englischsprachige Serien mit deutschen Untertiteln. Einige Monate später wurde das Programm wieder eingestellt. Die Einschaltquoten waren zu niedrig, „teilweise sogar gegen null“. Null, das ist ein Argument. Ich bin also nicht die Einzige.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung