piwik no script img

Polizeigewalt in WisconsinSieben Schüsse in den Rücken

Ein weiterer Vorfall von Polizeigewalt in den USA: Im Bundesstaat Wisconsin schießt ein Polizist den Schwarzen Jacob Blake aus nächster Nähe nieder.

Nach tödlichen Schüssen: Konfrontation vor dem Gericht in Kenosha Foto: USA Today/reuters

New York taz | Jacob Blake ist sein Name. Bei Redaktionsschluss der taz kämpft er auf der Intensivstation eines Krankenhauses in Milwaukee im US-amerikanischen Bundesstaat Wisconsin um sein Leben. Am späten Sonntagnachmittag war der 29-jährige schwarze Mann zuletzt auf den Beinen.

Ein Video zeigt Blake in einem ärmellosen weißen Hemd und kurzen schwarzen Shorts, wie er vorne um einen am Straßenrand geparkten grauen Wagen herumgeht. Einen Schritt hinter ihm folgt ein weißer Polizist mit gezückter Schusswaffe, dicht gefolgt von mehreren weiteren Polizisten. Als Blake die Fahrertür öffnet, um in das Auto zu steigen, greift der erste Polizist mit der linken Hand nach Blakes weißem Hemd. Mit der rechten Hand schießt er den jungen Mann, dessen Hemd er hält, vielfach in den Rücken. Eine junge schwarze Frau rennt auf die Szene zu und springt und schreit in Verzweiflung auf dem Asphalt. Nachdem sieben Schüsse gefallen sind, ertönt eine Hupe.

Ein Nachbar hat die Szene an der 40th Street und 28th Avenue in Kenosha, Wisconsin, gefilmt. Er war aufmerksam geworden, als er einen Streit zwischen zwei Frauen auf der Straße hörte. Nach der Darstellung des filmenden Nachbarn war Blake auf die beiden Frauen zugegangen und versuchte zu schlichten. Auf der Rückbank des geparkten Autos saßen drei kleine Kinder. Blake und die junge Frau sind die Eltern. Als Nächstes ertönen in dem Video „Fuck You!“-Rufe von jungen Leuten auf der Straße. Polizisten sperren die Szene mit gelbem Plastikband ab.

Die erneute Polizeigewalt in den USA hat Wut und Proteste ausgelöst. Laquisha Booker, die Partnerin von Blake und Mutter der drei Kinder auf der Rückbank des Autos, vor deren Augen der Vater in sich zusammengesackt ist, sagt über die Polizei: „Sie haben es überstrapaziert.“ Ein älterer Mann, den Anwohner als Black-Lives- Matter-Aktivisten bezeichnen, fühlt sich am Tatort an Lynchszenen aus der Vergangenheit und an andere tödliche Polizeieinsätze gegen unbewaffnete schwarze Männer und Frauen in diesem Sommer erinnert.

„No justice – no peace“

In der Nacht demonstrieren aufgebrachte junge Leute in Plastiklatschen und T-Shirts in der Stadt. Der Ruf ertönt: „Keine Gerechtigkeit – kein Frieden!“ Mehrere Autos und Laster gehen in Flammen auf. Und der demokratische Gouverneur von Wisconsin versichert der Familie per Tweet sein Mitgefühl. Gouverneur Tony Evers hofft, dass Blake seine Verletzungen überlebt.

Während die örtlichen Behörden eine nächtliche Ausgangssperre verhängen, wird der polizeiliche Schütze vom Dienst suspendiert. Das Justizministerium des Bundesstaates übernimmt die Ermittlungen. Vor dem Morgengrauen twittert ein anderer Jacob Blake, der Vater des von der Polizei Niedergeschossenen: „Mein Sohn lebt und ist stabil.“

Der auf Polizeigewalt gegen junge schwarze Leute spezialisierte Anwalt Ben Crump schaltet sich in die Debatte ein. In diesem Sommer hat er unter anderem auch die Vertretung der Angehörigen von Breonna Taylor und George Floyd übernommen. In einem ersten Tweet zu den Schüssen in Kenosha schreibt Crump, dass die Kinder für ihr Leben traumatisiert sein werden.

Die sieben Schüsse sind nicht die einzige Polizeigewalt gegen Schwarze an diesem Wochenende in den USA. Am Freitag hat ein Polizist in Lafa­yette, in Louisiana, auf einen jungen schwarzen Mann geschossen. Der 31-jährige Trayford Pellerin sackte vor einer Tankstelle tödlich getroffen in sich zusammen. Die Polizei war wegen einer „Störung“ gerufen worden. Nach Polizeiangaben soll er ein Messer in der Hand gehabt haben. Seine Mutter erklärt in einem Interview, dass Pellerin unter „Angstzuständen“ litt.

Zwei Nächte, bevor in Kenosha Demonstrationen gegen Polizeigewalt beginnen, zogen in Lafayette junge Leute durch die Stadt und riefen „Black Lives Matter!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

25 Kommentare

 / 
  • Bewaffnete Rassisten oder schlecht ausgebildet oder beides. Systematik?



    So oder so ist das US- System bald am Ende, wenn die so weitermachen.

  • Was zum Teufel.... Das Stück wird nachher behaupten er habe Angst gehabt, der Mann würde eine Waffe aus dem Auto holen wollen.

  • Die Ausbildung zum Polizist in den USA dauert 19 Wochen, und der wichtigste (und größte) Bestandteil sind die Schießübungen. Man muss diese Ausbildung in den meisten Staaten noch nicht mal absolviert haben, um mit dem "Job" zu beginnen. Es reicht, das während des ersten Arbeitsjahres zu absolvieren. Und bestehen muss man auch nicht.

    Und da wundert sich irgend jemand? Also ich wundere mich nicht.

    Der gesamte Vorgang ist der in den USA übliche Ideologie-getriebene ("der Markt regelt das schon") Irrsinn.

  • 1G
    15833 (Profil gelöscht)

    Vollkommen egal welche Hautfarbe das Opfer hatte, es geht darum was die Polizei da macht, in den Rücken schießen.



    Das macht einen sprachlos

    • @15833 (Profil gelöscht):

      Nope es ist eben nicht egal, welche Hautfarbe das Opfer hat. Dass grundlegend ein:e Polizist:in neimanden vor den Augen seiner:ihrer Kinder in den Rücken schieszen sollte ist klar. Doch struktureller Rassismus führt eben zu Angst und Vorurteilen, welche entscheiden wie schnell oder in diesem Fall auch wie oft der Finger den Abzug betätigt.

      Und es ist ein weiterer Fall in dem eine weisze Person ihre Übermacht gegenüber einer Schwarzen Person soweit ausführt, dass diese am Rande des Todes steht - wie es Jahrhunderte schon geschieht. Die Hautfarbe des Opfers ist nicht nur nicht egal sie ist ausschlaggebend. Und es ist wichtig und unsere mindeste Verantwortung, welche unser weiszes Privileg mit sich bringt, dies nicht zu ignorieren, indem wir die Hautfarbe des Opfers als egal deklarieren. Im Gegenteil...

      • @outsourced:

        Warum ist der Rassismus eine Polizisten ausschlaggebend und nicht beispielsweise die us-amerikanische Waffenkultur?

        Anhand welcher Faktoren grenzt man andere Faktoren so mir nichts dir nicht aus?

        DieLebensbedingungen der schwarzen Bevölkerung z.B. wo Armut und fehlende Bildung zu organisierter Kriminalität und Gewalt führen. Oder von die mangelnde Professionalität der Polizei wo hohe Belastung, schlechte Bezahlung und schlechte Ausbildung der Polizei dazu führen dass es insgesamt zu sehr viel mehr Tote im Rahmen von Polizeiaktionen gibt als in anderen Staaten.

        Fokkusierung auf Rassismus von Polizisten als einzigen Faktor ist eine eindimensionale Herangehensweise, die andere Ursachen unterschlägt. Insbesondere auch die eigene reiche Nase.

      • @outsourced:

        Danke für diesen Kommentar.

      • 1G
        15833 (Profil gelöscht)
        @outsourced:

        Ich sehe Rassismus schon darin Leute aufgrund ihrer Hautfarbe in eine Rolle zu pressen.



        Privilegierter weiße ist genauso eine Diskriminierung wie Dicke sind faul.



        Für mich wurde ein Mensch von einem Menschen der das Gesetz vertreten soll feige in den Rücken geschossen.

        Wir sollten aufhören hier permanent Rassismus zu sehen sondern die Kernprobleme, eine bewaffnete Gesellschaft, Chancen Ungleichheit und schlecht ausgebildete Polizei.

      • @outsourced:

        Ich glaube, du greifst den Falschen an und unterschwellig transportierst du den Begriff „Ignorant“ in deinem Text. Von dem ist es nicht weit zu anderen Benennungen. Anscheinend ist es bei der us-amerikanischen Polizei nicht klar, dass man Leute einfach ermordet und das an sich stellt ein großes Problem dar. Lassen wir den Rassismus weg, der in der Statistik gelesen werden kann, so würden noch immer 500 schwarze Männer im Jahr von der Polizei erschossen werden, 1.500 weiße Männer, 700 „Hispanics“ und ein Dutzend Frauen.



        Weshalb sollte das Problem der Polizeigewalt also als rein rassistische Problematik behandelt werden und die Ursachen für den Tod der weiteren Opfer, eine gewisse „Herrenmenschlichkeit“ unter den Beamten, die nicht bei der Hautfarbe beginnt und dort auch nicht endet, unangesprochen bleiben? Mit dieser „Herrenmenschenart“ laufen weiße, schwarze und alle anderen Beamten in den USA durch das Land, wie man unschwer in Erfahrung bringen kann. Die Berichte darüber füllen Archive und man könnte Bibliotheken damit füllen.



        Grenzer lateinamerikanischer Abstammung erschießen an der texanischen Grenze in der Wüste Flüchtlinge aus Mittel- und Lateinamerika, Schwarze prügeln Schwarze auf die Intensivstation und Weiße erschießen irgendeinen anderen Weißen, den sie für sich als Mensch zum „Untermenschen“ degradiert haben.



        Vielleicht hat es eher etwas mit autoritärem und faschistischem Charakter zu tun, dem Geschwisterlein des Rassismus. Dieser macht aber nicht halt bei der Rassenlehre, der geht weiter und ist wandelbar.



        Lange Rede, kurzer Sinn: mit Rassisten und Faschisten sollte man sich beschäftigen, nicht jenen diese Haltung durch Konstrukte unterstellen, die keine Rassisten und Faschisten sind.



        Social-Media tut den Leuten echt nicht gut. Diese ganze Twitter-Dynamik, die alle Diskurse beherrscht und wie ein Schulhof funktioniert, bringt echt nichts Gutes.

  • Die Lage ist klar: der Schwarze wurde wie im Video zu sehen völlig grundlos hinterrücks ermordet.

    • @nzuli sana:

      Wie wäre es, wenn du etwas zum Wandel beiträgst und Namen oder realistische Bezeichnungen für Menschen verwendest?!



      'Der Schwarze' ist nicht unbedingt taktvoll. Der Name steht im Artikel.

  • Es läuft immer gleich ab und ist sehr vorhersehbar. Gibt es irgendwo Broker, bei denen man Wetten darauf abschließen kann, dass die schießenden Polizisten wieder keine Konsequenzen fürchten müssen? Man müsste se wenigstens fragen, ob sie sich nicht eventuell manchmal ein wenig schämen, unbewaffnete Menschen abzuknallen.

    • @wernerinitaly:

      Nein, deswegen sind die bei Polizei um unstraft Menschen umbringen zu können.



      Kann man sich nicht vorstellen. Nach der Menge der ungesühnten Morde ist das für potentzielle Killer eine Einladung zur Bewerbung

  • Bin mal gespannt wie das diesmal schön geredet wird...

  • Vor ein paar Jahren hätte ich so etwas nie gesagt, aber mittlerweile -- ich hoffe, dort gehen noch ein paar Polizeireviere in Flammen auf. Sonst wird sich nie etwas ändern. Wie oft muß sowas noch passieren?

    • @kditd:

      Nein das hoffe ich trotzdem nicht.

    • @kditd:

      Vor paar Jahren war es in den USA genauso.

    • @kditd:

      Ich konnte immer und kann die Haltung von Malcolm X, Stokeley Carmicheal und anderen Radikalen sehr gut verstehen, angesichts der Tatsache, dass "Black Lives Don't Master" ein Wesenprinzip der US-Gesellschaft war und ist. Recht hatte aber MLK: Gewalt seitens der Unterdrückten, Diskriminierten wird nicht zu einer Überwindung des strukturellen Rassismus führen. Es helfen konsequenter Protest und politische Mobilisierung, welche die politischen Eliten zwingt die amerikanische Form des Polizeistaats für Minderheiten abzubauen und das Justizwesen sowie die Polizeiausbildung und Rekrutierung von Grund auf zu reformieren. Oder wie ein guter Stand-up Comic letzt meinte: Nur noch PoC dürften Polizisten werden und bevorzugt Frauen. Ich wünsche den Aktivisten einen langen Atem und den Republikanern für November die schlimmste Wahlniederlage ihrer Parteigeschichte.

      • @hessebub:

        Diese Art von Einschätzungen sind doch nichts als die üblichen Reflexe der saturierten Mittelschicht die noch niemals in der Situation war existenzielle politische Kämpfe führen zu müssen. Natürlich zeigt man Mitgefühl und Verständnis für die Wut der "Radikalen" nur um sie dann im gleichen Atemzug auf das Grundsätzlichste zu verdammen. Aber nur weil man diese Statements unter jedem Artikel zu AntiFa, BLM, etc. wiederholt werden sie nicht wahrer.



        Gerade aus den Anfängen der Schwarzen US-Bürgerrechtsbewegung existieren jede Menge Berichte und auch Filmaufnahmen etwa von Sit-Ins, die auch nach ihren bürgerlichen Maßstäben vollkommen friedlich waren, aber mit brutaler Gewalt und nicht mit einer Veränderung der unsäglichen Zustände beantwortet wurden, also überhaupt nicht erfolgreich waren.



        Der gängige Ansatz das Civil Rights Movement als Antagonismus aus den friedlichen, zivilisierten MLK-Anhänger*innen und den radikalen, wilden um Malcom X oder der BPP zu schildern ist der offensichtliche Versuch der Spaltung aus einer hegemonialen Position heraus und in gewisser Hinsicht auch die Fortschreibung eines kolonialistischen Herrschaftsdiskurs. Sicher gab es Konflikte und Richtungsstreits in der Bewegung, aber dennoch war es eben EINE Bewegung mit einer Zielsetzung und daran ob die "Gemäßigten" allein, den gleichen Druck hätten aufbauen können oder die Möglichkeit mit ihren friedlichen Aktionen nicht erst durch die Existenz der "Radikalen" ermöglicht wurde, würde ich ein sehr großes Fragezeichen machen.



        Gleichzeitig wirkt die Behauptung "[e]s helfen konsequenter Protest und politische Mobilisierung, welche die politischen Eliten zwingt die amerikanische Form des Polizeistaats für Minderheiten abzubauen" unter eine Artikel wie diesem fast schon höhnisch, Protest und Mobilisierung gibt es seit über 60 Jahren und immer noch wird alle paar Tage einer umgelegt.

  • Ich würde wirklich gern mal ein Artikel zum Polizeirecht in diesem Fall in Wisconsin lesen. Was darf dort unter welchen Voraussetzungen ein_e Polizist_in?



    Und dazu den Abgleich mit dem Video

    Als ich mir das Video angesehen habe, wirkte es auf mich wie eine spontane Hinrichtung. Die Polizisten kamen mit wenig Hektik offenbar eingeübten Rollen nach.

    Das kann man auch nicht einfach nur mit Rassismus erklären.

    • @rero:

      Als ich mir das Video angesehen habe, wirkte es auf mich wie eine spontane Hinrichtung. Die Polizisten kamen mit wenig Hektik offenbar eingeübten Rollen nach.

      Das kann man auch nicht einfach nur mit Rassismus erklären.´

      Für mich ist das sogar noch ein Argument mehr für die Macht des Rassismus. Die Abwertung des Menschen geht so weit, dass eingeübte Vorgehensweisen hemmungslos ausprobiert werden. Läuft besser und ist einfacher legitmierbar, wenn Vorurteile ausreichend Begründung zur "Angst" bieten.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @rero:

      es ist nicht so sehr Rassismus als Klassismus die Polizei erschießt auch viele Weiße und Latinos, wer arm ist dessen Leben ist nichts wert.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Intersektionalität nennt mensch dies - die Diskriminierung und Ausübung aufgrund mehrerer Faktoren. Somit ist es schons sehr viel Rassismus gepaart mit sehr viel Klassismus

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Das eine schließt das andere erstmal nicht aus. Polizisten stehen im sozialen Status oft nicht über ihren Opfern, sondern eventuell sogar darunter. Bleibt halt doch die Motivation durch Rassismus. Das folgend verlinkte Diagram sagt viel darüber aus:

        de.statista.com/in...gewalt-in-den-usa/

        • @Hampelstielz:

          Es bleiben auch noch zwei weitere Gründe:

          1. Die Lebensbedingungen der schwarzen Bevölkerung wo Armut und fehlende Bildung zu organisierter Kriminalität und Gewalt führen.

          2. Mangelnde Professionalität der Polizei. Hohe Belastung, schlechte Bezahlung und schlechte Ausbildung der Polizei führen insgesamt zu sehr viel mehr Tote m Rahmen von Polizeiaktionen als in anderen Staaten