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Streit zwischen Griechenland und der TürkeiHoffen auf die Schweiz

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Im türkisch-griechischen Streit geht es um mehr als Öl unter dem Meer: Seit dem Ersten Weltkrieg sind die Verhältnisse im östlichen Mittelmeer ungeklärt.

Griechische Zyprer mit einer eroberten türkischen Flagge während Auseinandersetzungen 1963/64 Foto: Keystone/getty images

N ein, das Vorgehen der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Streit um Schürfrechte an Öl und Gas im Mittelmeer ist nicht akzeptabel. Militärische Drohgebärden zur Regelung territorialer Streitfragen sollten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mindestens in Europa passé sein. Im Ernst glaubt wohl auch Erdoğan nicht daran, durch einen Krieg die Position der Türkei verbessern zu können. Zumal seine aggressive Politik dazu geführt hat, dass Ankara unter den Anrainerstaaten im östlichen Mittelmeer keine Verbündeten mehr hat – bis auf die schwache libysche Regierung in Tripolis.

Jürgen Gottschlich

Jürgen Gottschlich ist seit 20 Jahren Türkeikorrespondent der taz.

Doch sosehr die Figur Erdoğan dazu einlädt, dessen Ansprüche als illegitim abzuschmettern – so eindeutig, wie der griechische Premier Mitsotakis tut, ist die Geschichte auch wieder nicht. Denn es geht bei Weitem nicht nur um Gas. Sondern darum, die seit dem Ersten Weltkrieg offenen Fragen und Konflikte im östlichen Mittelmeer endlich zu klären.

Die dem aktuellen Streit zugrunde liegenden Konflikte um Zypern und die Seerechte in der Ägäis sind sehr viel älter als die Herrschaft von Erdoğan in Ankara. Sie haben Generationen türkischer und griechischer Politiker beschäftigt, sie haben die beiden Länder zu einem Krieg in Zypern und mehrfach an den Rand eines Kriegs in der Ägäis gebracht.

Im Kern gründen die Probleme in ungelösten Konflikten, die seit dem Ersten Weltkrieg am gesamten östlichen Mittelmeer schwelen. Bekanntermaßen teilten Briten und Franzosen 1916 im ­Sykes-Picot-Abkommen die arabischen Gebiete des Osmanischen Reiches untereinander auf und etablierten dort Grenzen und Staaten, die den Nahen Osten bis heute nicht zur Ruhe kommen lassen. Darüber hinaus blieb Zypern britische Kolonie, und Italien behielt die Dodekanesinseln mit Rhodos als Hauptstadt, die es bereits 1912 im Krieg mit dem Osmanischen Reich besetzt hatte. Dazu kamen der griechische Einmarsch in die Türkei 1920 und der anschließende türkische Befreiungskrieg, der zum Gründungsmythos der heutigen Republik Türkei wurde.

Bei einem griechisch-französischen Militärmanöver im östlichen Mittelmeer im August 2020 Foto: French Defense Ministry/ap

Vakuum im östlichen Mittelmeer

Ohne allzu sehr in geschichtliche Details zu gehen: Genau wie Europa nach dem Ersten Weltkrieg nicht wirklich befriedet war, was mit ein Grund für den Aufstieg Hitlers war, genauso wenig waren die Verhältnisse rund um das östliche Mittelmeer für die dort lebenden Menschen geklärt. Und anders als in Europa im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg wurde die Situation rund um das östliche Mittelmeer bis heute nicht zufriedenstellend geregelt. Zunächst prägten antikoloniale Kämpfe gegen Briten und Franzosen das Bild, deren Hinterlassenschaft in Palästina, auf Zypern, aber auch im Irak, in Syrien und im Libanon bis heute für Unruhe sorgt. Dann wurden der Nahe Osten und das östliche Mittelmeer in die Zwangsjacke des Kalten Kriegs gesteckt.

Die schwelenden Konflikte zwischen der Türkei und Griechenland wurden fortan in letzter Instanz vom großen Bruder in Washington geregelt. Das ursprüngliche Vorhaben, das harte Programm der Nato durch das weiche Konzept der EU zu ergänzen, scheiterte, weil die EU letztlich nicht willens und in der Lage war, nach Griechenland auch noch die Türkei in das europäische Bündnis zu integrieren. Seit auch die Bindungskraft der Nato schwindet – und erst recht, seit US-Präsident Donald Trump den Nahen Osten und Umgebung am liebsten ganz hinter sich lassen möchte –, ist im östlichen Mittelmeer ein riesiges Vakuum entstanden. Griechenland steht jetzt als EU-Mitglied einer isolierten Türkei gegenüber, die zwischen Moskau und Washington hin und her taumelt und sich in einem neuen nationalistischen Überschwang als Großmacht in der Region geriert. Griechenland dagegen glaubt mit Deckung der EU, insbesondere Frankreichs, keinerlei Kompromisse eingehen zu müssen. Das macht die Situation so gefährlich.

Die Konflikte haben nicht nur eine juristische Dimension. Der politische Wille zur gütlichen Einigung gehört auch dazu

Die Konflikte zwischen Griechenland und der Türkei haben eine juristische und eine politische Dimension. Man kann sie nicht lösen, indem man sich lediglich, wie die griechische Regierung es tut, auf seine vermeintlich legitimen, vom UN-Seerecht angeblich gedeckten Positionen zurückzieht. Erstens sind die Hoheitsrechte nicht ganz so eindeutig, und zweitens sind juristische Lösungen immer nur dann möglich, wenn beide Seiten den politischen Willen zur Einigung haben. Selbst Großbritannien und Frankreich haben viele Jahre gebraucht, bis sie sich in einem Schiedsgerichtsverfahren 1977 auf ihre Hoheitsgebiete im Ärmelkanal geeinigt haben und das Problem der britischen Kanalinseln, wenige Kilometer vor der französischen Küste, lösen konnten. Dazu brauchte es viel guten Willen und unabhängige Schiedsgerichte, deren Spruch dann auch alle Beteiligten akzeptieren mussten.

Das türkische Bohrschiff Yavuz in militärischer Begleitung vor Zypern im August 2020 Foto: Murad Sezer/reuters

Trotz Erdoğans Drohgebärden ist die Türkei selbst unter diesem Präsidenten durchaus zu Verhandlungen bereit. Bei einem Besuch von Außenminister Cavusoğlu in Bern am letzten Freitag hat nach Informationen der NZZ die Schweiz angeboten, sich als neutrale Vermittlerin einzuschalten.

2009 vermittelte die Schweiz schon einmal erfolgreich zwischen der Türkei und Armenien. Dass aus dem Abkommen dann nichts wurde, lag daran, dass beide Parlamente es letztlich nicht ratifizierten. Auch am letzten Versuch, für Zypern eine politische Lösung zu finden, war die Schweiz als Gastgeber der Verhandlungsdelegationen beteiligt. Das Schweizer Außenministerium denkt daran, in ein solches Vermittlungsverfahren neben der Türkei und Griechenland auch Zypern einzubeziehen – sowohl die international anerkannte griechisch-zypriotische Regierung als auch Vertreter der türkischen Minderheit.

Es liegt an Griechenland, ob es zu Verhandlungen kommt oder ob die griechische Regierung darauf setzt, bei einer weiteren Eskalation letztlich als Siegerin vom Platz zu gehen. Bei dieser Entscheidung dürfte die EU eine wichtige Rolle spielen.

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4 Kommentare

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  • „Erstens sind die Hoheitsrechte nicht ganz so eindeutig, ...“



    Sehr geehrter Herr Gottschlich, ich will glauben, dass Sie die ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) meinen. Natürlich sind in diesem Zusammenhang, auch die griechischen Positionen maximalistisch, bewegen sich aber im Rahmen der Möglichkeiten des internationalen Seerechts. Hingegen befinden sich die türkischen Thesen außerhalb dieses internationalen Rechtsrahmens, weil sie den griechischen Inseln überhaupt keine AWZ zubilligen. Interessanterweise und im Widerspruch zu den griechischen Inseln, hat aus türkischer Sicht, die international nicht anerkannte „ türkische Republik Nordzypern“ doch eine eigene AWZ. Der Schiedsspruch eines internationalen Gerichts würde aber sicherlich auch nicht zu 100% die griechischen Positionen wiedergeben.



    Problematisch wird es für mich, wenn Sie jedoch mit ihrer Aussage nicht die Wirtschaftszonen, sondern wirklich die Hoheitsgebiete meinen. Sie würden nämlich dann, den Vertrag von Lausanne 1923 und den Vertrag von Paris 1947 in Frage stellen, in welchen die Grenzverläufe akribisch festgelegt wurden. Ihr Standpunkt wäre dann deckungsgleich, mit der Argumentation türkischer Nationalisten, welche die „Rückeroberung griechischer Inseln“ fordern. Wenn sich ihre Aussage also wirklich auf die Grenzverläufe der Hoheitsgebiete bezieht, fordere ich Sie auf, uns zu erklären, welche türkische Gebiete Griechenland „besetzt“ hält bzw. welche griechischen Inseln an die Türkei zurückgegeben werden müssten?? Es wäre dann verantwortungslos so eine Aussage raus zu hauen, ohne sie mit Argumenten zu unterfüttern.

    „Es liegt an Griechenland, ob es zu Verhandlungen kommt...“



    Auch dieser Satz irritiert. Griechenland macht meines Wissens keine seismischen Untersuchungen in dem „umstrittenen Gebiet“. Fakten versucht mit solchen Aktionen eher die türkische Seite zu schaffen. Griechenland indirekt eine mangelnde Dialogbereitschaft vorzuwerfen, ist für mich nicht nachvollziehbar.

  • Deutschland und die EU sollten aufhören Erdogan mit Waffen und Geld zu versorgen dann hätte er gar nicht sie Mittel für solche Provokationen!

  • Es ging und geht immer um aktuelle Politik. Erdogans Stern sinkt, da setzt er auf das beste Mittel, Loyalität zu erzeugen: Nationale Bedrohung der vermeintlichen Volks-Ehre. In das Horn stoßen vor allem in der Türkei und Griechenland die Politiker, um von den realen Problem abzulenken. In Griechenland ist der Nationalismus der Kitt, der das Land zusammenhalten soll. Man denke an den jahrzehntelangen Streit um den Namen Mazedonien. Vor wenigen Jahren tobte in Athen und Thessaloniki der rechtsorthodoxe Mob - vorne weg ledier Mikis Theodorakis. Auch die Rolle anderer Mächte, wie der USA oder Russland darf nicht vergessen werden. Die Obristen in Athen hofften 1974 auf US-Unterstützung, als sie den rechten Putsch in Zypern anzettelten. Eine fatale Fehleinschätzung, die die Teilung zur Folge hatte.



    Ach ja und so lange ists mit dem nationalen Wahn auch bei uns nicht her. Derzeit jährt sich der deutsch-französische Krieg 1870/71 - Akteure die von ihren Problemen ablenken wollten - von Napoleon II bis Bismarck - die Folgen sind bekannt: 1. und 2. Weltkrieg..

  • Hier ist doch nicht die Frage gestellt, ob das Huhn oder das Ei als erstes da war. Die Griechen haben Anatolien und die iranischen Volker auf der anderen Seite Anataloien geschichtlich geprägt. Die Frage ob die Inseln geographisch zur Türkei gehören ist politisch nicht korrekt.

    Die Besitzansprüche der Türkei und das Erklären ihrer Handlungen unter dem Blickwinkel der Inseln lässt nicht über die politische Agenda der türkischen Politik im allgemeinen täuschen auch die demokratische Oppositionspartei CHP befürwortet das Vorgehen in den Ägäis.

    Um alle Leser darauf vorzubereiten:

    Deutschland wird aus wirtschaftlichen Gründen den Griechen nicht zur Seite stehen auch wenn es vertraglich in den EU-Verträgen vereinbart wurde.

    Gern können die Griechen die Zinsen zahlen für den Schuldenabbau und ihr Tafelsilber verscherbeln aber bloß keine Repartionszahlungen für begangene Verbrechen verlangen. Das ist nämlich uncool.