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Foto: Miguel Ferraz

Bedrohte Bauten der NachkriegsmoderneRäume für alle

Das Café Seeterrassen in Hamburg soll weichen. Mit den Bauten der Nachkriegsmoderne verschwinden öffentliche Räume. Dabei braucht es sie gerade jetzt.

Von Claas Gefroi aus Hamburg

D er Frevel begann – wie so oft – mit einer lapidaren, technokratischen Erklärung: „Es macht wirtschaftlich keinen Sinn, dieses Gebäude zu sanieren.“ So begründete Bernd Aufderheide, Chef des städtischen Unternehmens Hamburg Messe und Congress GmbH, kürzlich den geplanten Abriss des Café Seeterrassen im Hamburger Park „Planten un Blomen“. Der Restaurantpavillon ist Teil eines in Deutschland einzigartigen Ensembles der Nachkriegsmoderne aus Landschaftsplanung und Architektur.

Gleich drei Internationale Gartenschauen (IGA) fanden in den Nachkriegsjahrzehnten in der innerstädtischen Parkanlage statt – 1953, 1963 und 1973. Die erste IGA 1953 war von großer politischer, gesellschaftlicher und künstlerischer Bedeutung. Planten und Blomen, 1935/36 von den Nationalsozialisten für die „Niederdeutsche Gartenschau“ mithilfe des Reichsarbeitsdienstes in nur wenigen Monaten errichtet, sollte dadurch zu einem Symbol für einen Neuanfang und die Internationalität und Modernität der jungen BRD umgemodelt werden.

Im Park wurden zahlreiche Gebäude errichtet – eine Leistungsschau der Nachkriegsarchitektur im Grünen. Der junge Architekt Ferdinand Streb, zuvor Mitarbeiter Le Corbusiers, bekam die Möglichkeit, einen Restaurantpavillon im Stil der Moderne zu errichten. Sein Bau ersetzte die im Zweiten Weltkrieg zerstörte „Bauernschänke“ aus den dreißiger Jahren, eine ganz nach nationalsozialistischem Architekturgeschmack als heimatseliges niedersächsisches Bauernhaus mit Reetdach verkleidete Gaststätte.

Das 1953 eröffnete Café Seeterrassen kontrastierte mit Großzügigkeit, Eleganz und Harmonie. Strebs Gebäude mit den großen Fenstern und der hellen Natursteinverkleidung hat nichts Auftrumpfendes oder Effektheischendes; es stand für eine Bescheidenheit, die dem Land nach den Verbrechen der jüngsten Vergangenheit gut anstand. Das Gebäude blieb über Jahrzehnte ein beliebtes Ausflugslokal, kam jedoch durch fehlende Instandhaltung herunter.

Planten und Blomen, 1935/36 errichtet, sollte zu einem Symbol für einen Neuanfang und für die Internationalität und Modernität der jungen BRD umgemodelt werden

Nachdem der letzte Pächter aufgegeben hatte und das Café Seeterrassen seitdem leer steht, will es die Hamburg Messe abreißen, um Platz zu schaffen für einen Neubau, der überwiegend für ihre eigenen geschlossenen Veranstaltungen genutzt werden soll. Auch die benachbarte Privat-Uni Bucerius Law School hat Interesse an Flächen bekundet. Das Ganze ist ein Skandal: Ein städtisches Gebäude von hoher gestalterischer und geschichtlicher Bedeutung inmitten eines öffentlichen Parks wird, statt es zu sanieren, ohne Not vernichtet für einen Neubau, der der Allgemeinheit größtenteils entzogen sein wird.

Das Café Seeterrassen steht beispielhaft für eine sich verschärfende Entwicklung: Die Gebäude der Nachkriegsmoderne verschwinden. Die Gründe dafür sind vielfältig: merkantile, technokratische, aber auch ideologischer Furor. Der Abriss des City-Hofs beispielsweise nahe dem Hamburger Hauptbahnhof in diesem Jahr geht maßgeblich auf den im Jahr 2017 pensionierten Oberbaudirektor Jörn Walter zurück, der ein Anhänger des Städtebaus aus dem vorletzten Jahrhundert ist.

Einstige Symbole des Neuanfangs: 2019 wurden die City-Hof-Hochhäuser in Hamburg abgerissen Foto: Christian Ohde

Der City-Hof von 1958 war ein deutschlandweit beachtetes Zeichen für den Neuanfang nach der NS-Zeit. Sein Architekt, Rudolf Klophaus, hatte im Nationalsozialismus die gewünschten historisierenden Backstein-Kontorhäuser geplant und schwenkte in der jungen BRD dann – wie viele seiner Berufskollegen – behänd auf Modernekurs um. Die vier hintereinander gestaffelten Hochhausscheiben des City-Hofs waren auch deshalb so wichtig, weil sie als Beispiel für eine eher lokal ausgerichtete Nachkriegsmoderne standen: Die Fassaden mit ihren quadratischen weißen Leca-Keramikplatten und dunklen Holzfenstern waren modern, bezogen sich jedoch mehr auf das angrenzende Kontorhausviertel mit seinen Lochfassaden als auf den International Style mit seinen gläsernen Curtain Walls, wie er zu der Zeit sich verbreitete.

Für Oberbaudirektor Walter jedoch war das Ensemble „ein städtebaulicher Irrtum“, den es zu beseitigen galt. Da passte es, dass die Gebäude durch die Stadt als Eigentümerin vernachlässigt worden waren. So hatte die Finanzbehörde unter ihrem damaligen Senator, dem heutigen Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher, einen guten Grund, um das Filetgrundstück lukrativ zu verkaufen und die Gebäude trotz Denkmalschutzes abreißen zu lassen. Weil Jörn Walter Blöcke liebt, wird nun bald ein gewaltiges, enges Klinkerkarree das Kontorhausviertel nach Osten abriegeln, wo bislang eine großzügige, offene Stadtstruktur weiten Blick zuließ. So harmonierte der Investorenwunsch, auf der Fläche möglichst viel gewinnbringende Nutzfläche unterzubringen, bestens mit dem Willen des Oberbaudirektors, ein Zeichen zur Beseitigung des Städtebaus der Nachkriegsmoderne zu setzen und die Rückkehr zu vormodernen Stadtgrundrissen des 19. Jahrhunderts zu forcieren.

Diese Haltung wird von einer einflussreichen Fraktion deutscher Baudirektoren, Stadtplaner und Architekten geteilt. Eine Schlüsselrolle nimmt das Deutsche Institut für Städtebaukunst unter Architekt Christoph Mäckler ein, eine einflussreiche Organisation für die Wiedererrichtung der traditionellen europäischen Stadt, in dessen „Wissenschaftlichem Beirat“ auch Walter Mitglied ist. Sie verlangt die Rückkehr zu Blockstrukturen, hoher Dichte und „schönen Stadträumen“ und übt dafür auch Druck auf die Politik aus.

Dahinter steht eine reaktionäre Modernekritik, die nicht nur den Städtebau und die Architektur der (Nachkriegs-)Moderne bekämpft, sondern auch deren soziale und gesellschaftliche Wirkungen negieren will, um in die Stadtgesellschaft des späten 19. Jahrhunderts zurückzukehren. Publizisten helfen dabei. So schreibt etwa Dankwart Guratzsch, erzkonservativer Architekturkritiker der Welt und ebenfalls in Mäcklers Institut engagiert: „Die Gleichförmigkeit dieser Architekturproduktion, ihr serieller Charakter, ihre Anspruchslosigkeit und Maschinenästhetik, all dies lässt sie nicht als einzigartig oder Kunst, sondern als Dutzendware einer Notzeit erscheinen.“

Auch Hans Stimmann, in den entscheidenden Jahren nach der Wiedervereinigung Berlins Senatsbaudirektor, bekämpfte mit Worten und Taten die Nachkriegsmoderne. „Es stimmt doch, dass viele Gebäude besonders der späten Sechziger- und Siebzigerjahre hässlich sind und dass die Nachkriegsmoderne für die ‚zweite Zerstörung‘ vieler deutscher Innenstädte eine Mitverantwortung trägt“, so Stimmann. Er ist der geistige Vater der „kritischen Rekonstruktion“ und des „Planwerks Innenstadt“, das eine vollständige Revision des Berliner Städtebaus der Nachkriegszeit und die Rückkehr zum Stadtgrundriss der Vorkriegszeit vorsieht und damit die planerische Grundlage schuf für die heutige steinerne Mitte Berlins.

In Stimmanns Zeit fielen unter anderem die Entscheidungen zum Abriss des denkmalgeschützten Schimmelpfeng-Hauses am Kurfürstendamm, 1960 von Franz-Heinrich Sobotka und Gustav Müller errichtet, und des „Ahornblatts“, das im Osten der Stadt 1973 von Ulrich Müther gebaut wurde. Die Westmoderne traf es genauso wie die des Ostens. Das Schimmelpfeng-Haus, bestehend aus einem neungeschossigen Bügelbau, der die Kantstraße überbrückte, sowie einem Parkhaus und einer siebengeschossigen Erweiterung, war mit seiner hellen Muschelkalkfassade, einem geschwungenen Glaspavillon und der Leucht­reklame ein Wahrzeichen für das neue, leuchtende Westberliner Zentrum am Bahnhof Zoo.

Bauten der Nachkriegsmoderne wurden oftmals als Solitäre im weiten Raum geplant. Diese einst bewusst freigehaltenen Bereiche werden heute dreist zu Baufeldern umgedeutet

Der Komplex fiel, um die Ausnutzung des Grundstücks investorengerecht zu erhöhen. Heute steht hier unter anderem das 118 Meter hohe Upper-West-Hochhaus. Das Schimmelpfeng-Haus verschwand aber auch, weil das städtebauliche Konzept der fünfziger Jahre verschwinden sollte zugunsten einer Wiederherstellung des Stadtgrundrisses der Vorkriegszeit. Insbesondere die Überbauung der Kantstraße war der retro­seligen Auffassung von Städtebau im Wege.

Auch die Zerstörung des „Ahornblatts“, eines einzigartigen Gastronomiepavillons als gesellschaftlichem Zentrum der Hochhaussiedlung Fischerinsel, für deren Errichtung einst ein ganzes Altstadtviertel niedergelegt wurde, muss als späte Rache an den Nachkriegsmodernen verstanden werden. Für die Beseitigung der wunderbaren Betonschalenkonstruktion Ulrich Müthers gab es keinen vernünftigen Grund. Sie fiel, weil Antimoderne längst vergangene Historie wiederherstellen wollen, indem sie real existierende Geschichte auslöschen.

Das „Ahornblatt“ in Berlin stand unter Denkmalschutz, wurde aber trotzdem im Jahr 2000 angerissen Foto: Arnold Nelson

Das markanteste Beispiel für diese Strategie der Geschichtsklitterung durch Abriss und Neubau ist der Ersatz des Technischen Rathauses in Frankfurt am Main durch ein neues Altstadtviertel. Die Frankfurter Altstadt wurde im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerbombt. Auf einem Teil des Ruinenareals und unter Abriss einiger erhaltener Altstadthäuser entstand 1974 nach Plänen der Architektengemeinschaft Bartsch, Thürwächter und Weber der Komplex aus vier um einen öffentlichen Innenhof gruppierten Gebäuden mit 7 bis 13 Geschossen und einem flacheren, zum Römerberg orientierten Bauteil.

Entgegen der Polemik der Abrissfreunde war das Technische Rathaus kein abweisender, überdimensionierter Verwaltungsbau, denn die benötigte Nutzfläche wurde auf mehrere Gebäude verteilt, in deren Erdgeschossen zudem Geschäfte und Restaurants Platz fanden. Auf Druck eines Bürgerbündnisses entschied das Frankfurter Stadtparlament dennoch, das Ensemble abzureißen, um auf dem Grundstück für über 200 Millionen Euro ein Altstadtviertel mit Luxuswohnungen zu errichten, das sowohl aus Rekonstruktionen ehemaliger Gebäude als auch „schöpferischen Nachbauten“ besteht, getreu der Parole des SPD-Unterbezirksvorsitzenden Franz Frey: „Die Bürger haben ein Recht auf Fachwerk!“ Vorsitzender des Gestaltungsbeirats für die neue Altstadt war übrigens Christoph Mäckler.

Man muss nicht unbedingt der These des Architekturtheoretikers Stephan Trüby folgen, der meint, dass der Abriss der Nachkriegsmoderne und die Rekonstruktionsarchitektur sich „zu einem Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten“ entwickelten. Aber es ist eine von Ideologie gefütterte Bewegung zugange, ohne Frage. Schon ihre Sprache ist verräterisch. Der von den Antimodernen immer wieder genutzte Begriff der „zweiten Zerstörung“ etwa dient als Kampfbegriff. Die falsche Legende, dass das Planen und Bauen in den Nachkriegsjahrzehnten mehr alte Bausubstanz vernichtet hätte als die Bombardierung im Krieg, dient dem Zweck, den Städtebau und die Architektur nach 1945 zu diskreditieren und vor allem als eine Geschichte von Verlust und Versagen zu schildern. So bedienen die Antimodernen geschickt Ressentiments, beispielsweise eine vermeintliche Ahistorizität und der Bruch mit Stilkonventionen, die viele Bürger*innen im Blick auf die Nachkriegsmoderne teilen, und legitimieren damit deren Zerstörung.

Solitäre im freien Raum

Doch auch die wieder vorherrschenden Paradigmen von Dichte und Geschlossenheit erschweren die Rettung. Bauten der Nachkriegsmoderne wurden oftmals als Solitäre im freien weiten Raum der „Stadtlandschaft“ geplant. Diese einst bewusst von Bebauung freigehaltenen Bereiche werden heute dreist zu Baufeldern umgedeutet. Erhalten gebliebene, denkmalgeschützte Nachkriegsbauwerke, in Hamburg beispielsweise das einstige Unilever-Hochhaus (Architekten: HPP) oder die Hochhäuser für Spiegel und IBM von Werner Kallmorgen, werden durch „arrondierende“ Neubauten auf den zugehörigen Freiflächen umzingelt und damit ihrer stadträumlichen Wirkung beraubt. Dabei zeigte gerade die Pandemiekrise derzeit verschärft Grenzen und Probleme hochverdichteter Städte auf, in denen die Freiräume knapp sind. Die zumeist nur wenig Fläche beanspruchenden Bauten der Nachkriegsmoderne mit ihren großzügigen Außenräumen, den platzsparenden Straßenüberbauungen, den aufgeständerten Erdgeschosszonen könnten uns heute wieder zeigen, wie Dichte und Weite in der Stadt zusammengehen.

Eine Schlüsselrolle zum Erhalt der Architektur der Nachkriegsjahrzehnte müsste der Denkmalschutz spielen – allein, er ist personell unterbesetzt, bei der Inventarisierung im Hintertreffen und zu oft ohnmächtig gegenüber politischen Weisungen und ökonomischen Interessen. Man könnte also verzweifeln ob der Erfolge der Antimodernen, doch das hieße, die Gegenkräfte zu übersehen: Um viele der bedrohten oder abgerissenen Nachkriegsbauwerke kämpften und kämpfen engagierte Bürger*innen, so beim City-Hof, beim Café Seeterrassen oder beim „Haus der Statistik“ unweit des Alexanderplatzes in Berlin.

Das „Haus der Statistik“ in Berlin sollte fallen, Proteste haben das verhindert Foto: Schoening/imago-images.de

Der Verwaltungskomplex von 1970 sollte an Investoren verkauft und abgerissen werden, doch eine Initiative setze sich für dessen Erhaltung und Umnutzung ein. Daraufhin kaufte das Land Berlin die Immobilie vom Bund und wird nun die Gebäude umbauen für Kunst, Kultur, Soziales und Bildung, bezahlbares Wohnen und ein neues Rathaus für den Bezirk Mitte schaffen – ein Mut machendes Beispiel, nicht zuletzt, weil das Gebäude damit dem Gemeinwohl und nicht den Profitinteressen privater Investoren dient.

Damit solche Erfolge gelingen, gilt es aufzudecken, dass hinter den Abrissbestrebungen ideologische, aber auch handfeste ökonomische Interessen stecken. Allzu oft wird dabei öffentliches Gut privatisiert oder aber Nutzfläche profitabel erhöht. Und Begriffe der Antimodernen wie „Schönheit“, „Tradition“ und „Identität“ müssen als das enttarnt werden, was sie sind: inhaltsleere, ideologiegesteuerte Slogans.

Das „Haus der Statistik“ zeigt, dass man ihnen erfolgreich die Vision einer Stadt für alle entgegenhalten kann. Doch am wichtigsten ist es, Vorurteile und Unwahrheiten über diese Architekturepoche zu bekämpfen: Es gab nicht die eine Nachkriegsmoderne, sondern unterschiedliche architektonische und städtebauliche Haltungen und viele lokale Ausprägungen. Auch hat die Architektur der Nachkriegszeit unsere Städte nicht stärker umgeformt oder zerstört als andere Epochen wie Barock oder Gründerzeit. Und Bauten der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre sind nicht schlechter gebaut als Gebäude anderer Zeiten und können, bei guter Pflege, genauso lange existieren. Im Streit über die Nachkriegsmoderne gilt, was auch in anderen Bereichen richtig ist: Den Vereinfachern und Ideologen kann man nur mit Sachlichkeit und Objektivität entgegentreten. Notwendig ist eine Verwissenschaftlichung des Diskurses und mehr Forschung zur Nachkriegsmoderne, also eine umfassende und rasche Erfassung und Bewertung der Bestände und vor allem viel Vermittlungsarbeit, denn: Nur jene Dinge, denen wir eine Bedeutung und einen Wert beimessen, erhalten und schätzen wir.

Der Autor ist freier Architekturjournalist in Hamburg und hat eine Petition für die Erhaltung des Café Seeterrassen veröffentlicht

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5 Kommentare

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  • Laut Autor kann man "den Vereinfachern und Ideologen (...) nur mit Sachlichkeit und Objektivität entgegentreten". Warum setzt sich der Autor dann selbst nicht sachlich mit den Argumenten der "Gegenseite" auseinander, sondern wischt diese Argumente mit dem pauschalen Vorwurf ideologischen Furors vom Tisch?

    Über die Vor- und Nachteile der Nachkriegsmoderne lässt sich trefflich streiten und viel Kluges sagen; Gesichtspunkte wie städtebauliche Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und nicht zuletzt Ästhetik bieten reichlich Stoff für eine sachliche und einzelfallbezogene Debatte. Die Diskussion in einen rechts-links-Diskurs pressen zu wollen und von rechten Mächten im Hintergrund zu raunen (siehe etwa die nicht sonderlich subtile Anspielung auf die "autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten"...'man muss nicht unbedingt, ABER...") wird einem solchen Anspruch an die Debatte sicher nicht gerecht.

    Andere Kommentare hier haben bereits auf die Grautöne hingewiesen: Der in dem Beitrag gezeichnete Kontrast Nachkriegsmoderne = Objektivität/Sachlichkeit/links und Rekonstruktion/traditionelles Bauen = Ideologie/kapitalistische Verwertungsinteressen/rechts ist so offensichtlich gewollt schwarz/weiß, dass dieser Artikel letztlich auch der Bewahrung der Nachkriegsmoderne einen Bärendienst erweist. Schade.

  • Abriss und Neubau sind Teil der Geschichte und des gestalterischen Wandels und keine Geschichtsklitterung. Hässliche Gebäude sollten abgerissen werden. Der Denkmalschutz steht dabei allzuhäufig im Weg.

    Wenn das neue Gebäude dann in ein paar Jahren ebenfalls als hässlich empfunden wird kommt es halt auch weg.

    Insbesondere bei den Bauten der 60er Jahre kann die Abrissbirne gerne weiter schwingen.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Alle vier Fotos zeigen hässliche Gebäude, die ach von innen hässlich und nicht häuslich sind.

    Wenn die Architekten vom Grau ablassen, unterstütze ich sie wieder.

  • Zu jeder Zeit wurden Gebäude abgerissen, um das Bild von Städten zu korrigieren. Bis zum Zweiten Weltkrieg hatte sich so überall ein vielfältiges, unverkennbares Stadtbild jeder deutschen Stadt entwickelt. Nach dem Krieg wurde nochmals mehr abgerissen, wie zerstört worden war, um die im Artikel so gepriesene Nachkriegsmoderne zu errichten, die die meisten Innenstädte bis heute dominiert. Hauptfeindbild war lange die Gründerzeit, aber, um nur ein Beispiel zu nennen, das alte Brauhaus in Bochum steht nur deshalb noch, weil die Besitzerfamilie der Stadtpolitik hartnäckig getrotzt hat. Wenn jetzt einiges an Nachkriegsmoderne verschwinden soll, um z.B. historische Straßenverläufe wiederherzustellen (der böse Her Stimmann), kann ich in das Gejammere der Kastenliebhaber*innen nicht miteinstimmen. Keines der im Artikel gezeigten Gebäude mit Ausnahme des "Ahornblatts" ist eine Augenweide. Wenn etwas abgeissen werden muss (das Stadtbild würde sonst erstarren), dann ist eben die alllgegenwärtige Nachkriegsmoderne dran und nicht das wenige, was aus der Vorkriegszeit noch übrig ist. Es werden noch genug von der Klötzen übrigbleiben, die der herrschende Geschmack (s. Bourdieu) einst hervorgebracht hat und mit dessen Verteidigung sich jetzt eine Elite vom primitiven "Plebs" absetzen will, der das Humboltforum und die "Neue Frankfurter Altstadt " gut findet.Ich kann auch der "armen" Potsdamer Fachhochschule nicht nachweinen und gelte in den Augen des Milieus, das diesen Artikel trägt, und immer noch erheblichen (hoffenlich weiter nachlassenden) Einfluss hat, gerne als Banause. Nur in die "rechte" Ecke drängen lasse ich mich deshalb nicht. Immerhin waren es "Linke", die viele Gründerzeitviertel gerettet haben, wenngleich die heute gentrifiziert, statt durch Betonkästen ersetzt sind.

    • @Joba:

      "Immerhin waren es "Linke", die viele Gründerzeitviertel gerettet haben"

      Stimmt. Und auch heute noch sind Altbauviertel wie Kreuzberg oder die Schanze sehr viel linker als zB das Hansaviertel. Man sollte sich vielleicht überhaupt mehr an Fakten orientieren. Man kann zB konstatieren, dass so gut wie keine der Versprechungen der Nachkriegsarchitektur erfüllt wurden. Die "frei schwingenden Wege", die im Hansaviertel durch "offene Landschaften" führen, wirken eben heute eben nicht "heiter" (ein Lieblingswort der Nachkriegsmoderne), sondern sind meist ausgestorben. Über die "großzügigen" Strassen donnert der Verkehr, bis abends die Bürgersteige hochgeklappt werden. Wenn schon diese Versprechungen unerfüllt blieben, gilt das natürlich umso mehr für den damals postulierten Volkserziehungseffekt. Ich wüsste nicht, welchen Beleg man dafür anführen könnte, dass diese Architektur die Gesellschaft demokratischer, offener, "heiterer" gemacht hätte. Umgekehrt braucht man nur in irgendein Altbauviertel zu gehen und sieht dort - trotz Gentrifizierung! - fast immer kleine Geschäfte, zahllose Passanten, überraschende kleine Ecken und Nischen, kurz: urbanes Leben. Die Realität zeigt, dass diese "vormoderne" Stadtarchitektur doch irgendetwas richtig gemacht haben muss, und die Tatsache, dass gerade linke Subkulturen fast immer in Altbauvierteln statt in Arbeiterhochhaussiedlungen zu finden sind, spricht ja wohl nicht dafür, dass historische Altbauten einzig durch ihren Appeal an das Reaktionäre solchen Erfolg haben.