Frauenbeauftragte über Corona-Hilfen: „Wo erzielt dieses Geld Wirkung?“
Der Bremen-Fonds könnte die Gleichberechtigung stärken. Aber bisher, so Bremens Frauenbeauftragte Bettina Wilhelm, wird die Chance kaum genutzt.
taz: Frau Wilhelm, welche Chancen bietet Corona für Frauen?
Bettina Wilhelm: Wenn man jetzt Webfehler im System anpacken würde, die während Corona sichtbar und besonders spürbar geworden sind – dann würde Corona Chancen für Frauen bieten. Zum Beispiel dieses unsägliche Ehegattensplitting. Gerade jetzt zeigen sich die negativen Auswirkungen auf Frauen.
Inwiefern?
Das Kurzarbeitergeld, das viele in den vergangenen Monaten beantragen mussten, wird nach dem Nettoeinkommen gezahlt. Und weil Frauen meistens weniger verdienen als ihre Partner, sind sie wegen des Splittings fast immer in der schlechteren Steuerklasse, haben also ein sehr niedriges Nettoeinkommen.
Haben Sie noch ein Beispiel?
Natürlich die unbezahlte Care-Arbeit, die jetzt besonders den Frauen auf die Füße fällt, weil sie die überwiegend leisten. Statistisch sind es täglich 87 Minuten mehr als bei Männern. Und als jetzt Schule, Kitas und Pflegedienste wegbrachen, waren Frauen plötzlich so was von allein gelassen. Hätten wir diese tradierte Rollenaufteilung nicht, dann hätte sich das auf beide Geschlechter gleichermaßen ausgewirkt. Hier bestehen also auch Chancen zur Veränderung.
Die hat nach einer Untersuchung des sozio-ökonomischen Panels bereits stattgefunden. Männer haben danach ihren Anteil an Kinderbetreuung und Hausarbeit um 120 Prozent gesteigert, Frauen um 45 Prozent.
Die Untersuchung kenne ich nicht, aber ich glaube sofort, dass Männer aufgeholt haben, anders wäre es ja auch gar nicht zu leisten gewesen. Aber belegt ist auch, dass Frauen nach wie vor mehr unbezahlte Care-Arbeit verrichten.
54, ist seit 2017 Bremens Landesbeauftragte für Frauen.
Aber der Unterschied ist offenbar geschrumpft. Das hat wohl auch damit zu tun, dass so viele Väter von zu Hause aus gearbeitet haben.
Na ja, nur weil ein Mann im Homeoffice ist, heißt das ja nicht, dass er automatisch derjenige ist, der die Care-Arbeit übernimmt. Wir wissen, dass Männer besser ausgestattet werden am digitalen Arbeitsplatz als Frauen. Das hat damit zu tun, dass Frauen so viel in Teilzeit arbeiten und sich die Investition in Teilzeitkräfte kaum lohnt. Das heißt, dass eine Frau zu Hause dann wenig oder gar nicht arbeiten kann, während ihr Partner seine Karriere weiter vorantreibt. Da ist doch klar, wer dann die Hausarbeit macht.
Aber es macht doch etwas mit Vätern, wenn sie zu Hause sind und sehen, was zu tun ist, und ihnen die Kinder durchs Büro springen.
Ja, jetzt wird sichtbar, was in Familien geleistet wird. Die Familien mit kleinen Kindern, bei denen beide voll arbeiten, sind derzeit die am stärksten gebeutelte Gruppe neben den Alleinerziehenden. Die drehen am Rad. Und ihnen fehlt die Perspektive, wie es weitergeht, nachdem Urlaube genommen und Überstunden abgebaut wurden oder der Arbeitgeber für ein paar Monate kulant war. Wo sind die Konzepte, wenn die nächste Welle kommt? Außerdem muss der Staat Maßnahmen ergreifen, die die Folgen von Corona auffangen.
Dafür gibt es den Bremen-Fonds.
Ja, der soll Corona-bedingte Nachteile für bestimmte Zielgruppen ausgleichen, aber auch auf dem Arbeitsmarkt Strukturen ausbessern. Hierfür sind 1,2 Milliarden Euro vorgesehen, was sehr viel Geld ist, auch im Pro-Kopf-Vergleich mit anderen Bundesländern. Was machen wir mit dem Geld, das nicht für Sofortprogramme ausgegeben wird, sondern mittel- und langfristig wirken soll? Ich fürchte ein reflexhaftes Verhalten, das Geld in große Unternehmen zu stecken.
Was wäre besser?
Wir sollten uns fragen, wo erzielt dieses Geld welche Wirkung und wie lösen wir die Probleme, die uns Corona mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt hat. Anstatt alte Strukturen zu retten und fortzuführen.
Haben Sie ein Beispiel?
Da komme ich noch einmal auf die Care-Arbeit zurück. Ein Modellprojekt in Baden-Württemberg förderte haushaltsnahe Dienstleistungen mit acht Euro pro Stunde, geknüpft an die Bedingung, dass Eltern sich entweder beruflich qualifizieren oder nicht in Teilzeit gegangen sind. Das heißt, wenn Sie jetzt jemand im Haushalt anstellen würden, bekämen sie vom Staat acht Euro und könnten das aufstocken. Das hilft denen, die sonst ohne gesicherte Arbeitsverhältnisse putzen gehen, und verhindert, dass Frauen noch weiter ihre Stellen reduzieren. Das ist gerade in Bremen wichtig. Wir haben hier die geringste Berufstätigkeit von Frauen, die höchste Teilzeitquote von Frauen und die höchste Minijobquote.
Aber was ist daran zukunftsweisend, Frauen in die Vollbeschäftigung zu schicken? Warum Arbeit nicht so organisieren, dass alle weniger arbeiten müssen?
Klar, das wäre super. Aber in der Realität können sich das viele Eltern nicht leisten. Schon gar nicht die Friseurin oder die Verkäuferin.
Den Bremen-Fonds haben Sie in einer Pressemitteilung gelobt, weil er „bundesweit einmalig der unterschiedlichen Betroffenheit der Geschlechter durch die Coronafolgen systematisch Rechnung trägt“.
Ja, wir konnten die Geschlechterperspektive platzieren, das ist ein echter Erfolg. Aber noch besser wäre die Festlegung auf Gender-Budgeting, also auf eine geschlechtergerechte Verteilung der Mittel – auf die Wirkung bezogen. Es reicht nicht, Köpfe zu zählen, wie viele Männer, wie viele Frauen profitieren davon. Es geht darum, was jeder eingesetzte Euro bewirken kann. Das ist im Vorfeld natürlich schwerer zu berechnen, aber es geht.
Was heißt Geschlechterperspektive?
Es wird jetzt ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Maßnahmenfelder auch in Hinblick auf Geschlechter untersucht. Mittel- und langfristige Maßnahmen müssen darlegen, wie sie der unterschiedlichen Betroffenheit der Geschlechter gerecht werden. Frauen in Bremen haben aus verschiedenen Gründen schlechte Zugänge zum Arbeitsmarkt, Corona verschärft diese seit Jahren nur wenig veränderte Situation deutlich – hier sei als ein Beispiel nur das Aus von Kaufhof in Bremen und Karstadt in Bremerhaven genannt. Wir brauchen also mehr denn je Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramme für Frauen.
In einem Gastkommentar im Handelsblatt schrieb ein Politikwissenschaftler, Frauen würden langfristig als Gewinnerinnen aus der Krise gehen, weil sie sich dem sich wandelnden Arbeitsmarkt besser anpassen können: „Frauen beherrschen die Fähigkeit zur Selbstdisziplin und Selbstorganisation, den selbstbewussten Umgang mit Unsicherheit und Komplexität besser als Männer. Darum sind sie auch die besseren Digitalisierer.“
Das ist schön gesagt, übergeht aber den Befund, dass Frauen bisher eher im Bereich der Anwendung und weniger in der Programmierung vertreten sind. Hier hilft alle Huldigung vermeintlich spezifisch weiblichen Könnens nichts, denn solange das reine Fachwissen höher bewertet wird als solche übergeordneten Fähigkeiten, wird sich wenig ändern. Hier brauchen wir eine neue Denke.
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