finanzkasino: Betrug braucht gute Storys
Fälle wie Wirecard wird es immer geben. Schlimm ist das nicht. Gefährlicher wird es, wenn alle Banken gleichzeitig auf den gleichen Unsinn wetten
UlrikeHerrmann
ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz. Zuletzt erschien von ihr: „Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind“ im Westend Verlag.
Die Pleite von Wirecard ist mehr als nur gigantischer Betrug – sie ist auch eine gute Geschichte. Vor allem Ex-Finanzvorstand Jan Marsalek gibt viel her: Offenbar hat er mehrere hundert Millionen Euro beiseitegeschafft und besitzt beste Kontakte zu russischen Geheimdiensten. Jetzt hält er sich wohl in Moskau auf, nachdem er seine Flucht verschleiert hat, indem er eine Einreise auf die Philippinen fingierte. So wild geht es selten zu in Deutschland.
Am ehesten erinnert Wirecard an die Pleite des Baulöwen Jürgen Schneider, der 1994 einen Schuldenberg von 6,7 Milliarden D-Mark hinterließ. Schneider hatte seine Immobilien finanziert, indem er die Banken über die Quadratmeterzahl seiner Neubauten täuschte. Als der Schwindel aufflog, floh Schneider nach Florida.
Die Pleiten von Wirecard und Schneider ähneln sich auch insofern, als sie an den Finanzmärkten spurlos vorbeigingen. Der Aktienkurs von Wirecard ist natürlich ins Bodenlose abgestürzt, aber ansonsten blieb es ruhig an den deutschen Börsen. Auch Schneider löste 1994 keine Finanz- oder Immobilienkrise aus – stattdessen schrieben die Banken zähneknirschend ihre Verluste ab. Fertig.
Wie Wirecard und Schneider zudem zeigen, ist systematischer Betrug nur möglich, wenn man eine überzeugende „Story“ hat. Schneider konnte ständig neue Kredite akquirieren, weil die Banken nach der Wende allzu lange einen „Einheitsboom“ kommen sahen. Wirecard wiederum flossen Milliarden zu, weil viele Anleger dringend an die Story glauben wollten, dass der DAX-Konzern einzigartige Finanzdienstleistungen im Internet anbiete. Wie das angebliche Geschäft in Asien laufen sollte, verstand zwar niemand – aber dieses Rätselraten schien zu bestätigen, dass es sich um ein ganz neuartiges Gewerbe handeln müsse.
Ein markanter Unterschied zeigt sich jedoch bei Wirecard und Schneider: Die Politik reagiert diesmal völlig anders. 1994 kam niemand auf die Idee, einen Untersuchungsausschuss zu fordern – oder dem damaligen Finanzminister Theo Waigel vorzuwerfen, dass er Schneiders Umtriebe nicht zeitig unterbunden hätte. Jetzt hingegen findet es die Opposition selbstverständlich, dass die Regierung schon früh hätte ahnen müssen, dass bei Wirecard betrogen werde.
Das Argument: Die Financial Times hätte bereits ab Januar 2019 berichtet, dass es bei der Wirecard-Tochter in Singapur nicht mit rechten Dingen zugehe. Das stimmt, diese Artikel gab es. Aber diese Enthüllungen haben niemanden beirrt. Die Banken vergaben weiterhin Kredite an Wirecard, der Aktienkurs war weiterhin stattlich, und die Wirtschaftsprüfer von EY verteilten weiterhin ein einwandfreies Testat. Warum also sollte ausgerechnet die Regierung Betrug wittern? Das ist abwegig. Die Kanzlerin ist nicht die Kindergärtnerin der Finanzanleger.
Die Opposition weiß, dass es schwierig wird, der Regierung Versagen nachzuweisen. Aber zum Glück gibt es ja noch die Finanzaufsicht Bafin, die dem Finanzministerium direkt untersteht. Es ist nicht zu leugnen: Die Bafin hat beim Thema Wirecard keine glückliche Figur abgegeben. Zum Teil ist sie daran schuldlos, denn ihr fehlten die gesetzlichen Möglichkeiten, um einem Betrug forensisch nachzuspüren. Trotzdem ist es peinlich, dass die Bafin ausgerechnet gegen die Journalisten der Financial Times vorging – und sie wegen „Marktmanipulation“ bei der Staatsanwaltschaft München anzeigte.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nicht nur die Bafin daran gescheitert ist, den Betrug bei Wirecard aufzudecken. Nicht viel besser lief es bei der Polizei in Singapur: Nach den Artikeln in der Financial Times begann sie im Frühjahr 2019, gegen die örtliche Wirecard-Tochter zu ermitteln. Greifbare Ergebnisse gibt es bis heute nicht.
Es ist also ein bisschen schäbig, dass die Opposition nun so tut, als hätte die Bafin komplett versagt. Hinterher ist man immer schlauer. Die eigentliche Frage ist, wie sich künftig ein Wirecard II verhindern lässt. Um diese Debatte zu organisieren, ist ein Untersuchungsausschuss überflüssig; Anhörungen im Finanzausschuss würden völlig reichen. Doch diese Sachlogik passt nicht zu einer medial vermittelten Demokratie: „Untersuchungsausschuss“ klingt nach Krimi, während eine „Anhörung von Sachverständigen“ an eingeschlafene Beine erinnert. Es wäre daher ein Wunder der Rationalität, wenn es nicht zu einem Untersuchungsausschuss käme.
Wo immer die Abgeordneten am Ende debattieren: Um ein Wirecard II zu vermeiden, wird häufig vorgeschlagen, die Börsenaufsicht SEC in den USA zu kopieren. Sie darf in allen Aktiengesellschaften jederzeit forensische Sonderprüfungen durchführen.
Diese Reform wäre zu begrüßen, trotzdem hat auch das SEC-Modell seine Tücken, denn gewieften Betrug hat es nicht verhindert. Bernie Madoff ist dafür das lebende Beispiel: Der amerikanische Fondsmanager konnte jahrzehntelang ein Schneeballsystem betreiben. Er warb neues Geld an, um die „Gewinne“ der bisherigen Anleger zu finanzieren. Am Ende war ein Schaden von 65 Milliarden Dollar entstanden. Schon 1999 machte ein Insider die SEC detailliert auf Madoffs krumme Geschäfte aufmerksam, doch die Behörde konnte gar nicht glauben, dass der glamouröse Fondsmanager und Kunstmäzen in Wahrheit ein Betrüger sein sollte. Erst 2008 flog Madoff schließlich auf.
Betrug wird es immer geben. Das ist nicht gefährlich, solange es sich um Einzelfälle handelt, weil dann „nur“ ein paar Milliarden Euro abzuschreiben sind. Dramatisch wird es, wenn alle Banken gleichzeitig auf den gleichen Unsinn wetten. Die Finanzkrise 2008 ist unvergessen, als weltweit verbriefte Ramschhypotheken zirkulierten. Gegen diese „systemischen“ Krisen würde nur helfen, dass die Banken weitaus mehr Eigenkapital vorhalten als bisher, damit sie hohe Verluste abfedern können. Aber darüber redet niemand. Nur über Wirecard. Schade.
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