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Grünen-Politikerin über Abtreibung„Wir haben eine Verantwortung“

Immer weniger Ärzt*innen führen Schwangerschaftsabbrüche durch. Baden-Württembergs Sozialstaatssekretärin Bärbl Mielich, Grüne, will nun handeln.

„Der Paragraph 218 war ein Kompromiss“ Foto: Christian Mang
Eiken Bruhn
Interview von Eiken Bruhn

taz: Frau Mielich, Sie sagen, in Baden-Württemberg gebe es Engpässe in der Versorgung mit Schwan­gerschaftsabbrüchen. Andere Bundesländer wie Bayern und Niedersachsen bestreiten Versorgungslücken.

Bärbl Mielich: Ja, wir sehen doch, dass der Generationenwechsel spürbar wird. Viele derjenigen, die heute Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sind 60 Jahre und älter. Und es gibt nicht viele, die bereit sind, ihnen nachzufolgen.

Und wo haben Sie diese Engpässe?

Wir haben in Baden-Württemberg keine Meldung über komplett unterversorgte Regionen …

wie die Oberpfalz, Niederbayern oder das Emsland

Im Interview: Bärbl Mielich

68, ist Staatssekretä­rin im Ministeri­um für Soziales und Integration Baden­-Würt­temberg. Seit 1984 ist sie Grünen-­Mit­glied, seit 2006 Abgeordnete im Landtag. 2016 wurde sie Staatssekre­tärin, zuvor war sie gesund­heitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

… aber wir bekommen immer wieder mit, unter anderem über Pro Familia, dass Praxen aufgegeben werden oder Kliniken sich zurückziehen. In Stuttgart beispielsweise hat 2015 eine Tagesklinik geschlossen, in der sehr viele Frauen aus dem ganzen Bundesland versorgt worden sind. Und wenn ich so etwas höre, sehe ich einen Handlungsbedarf.

Das ist eine ungewöhnlich deutliche Äußerung aus der Landesregierung – zumal Sie in Baden-Württemberg mit der CDU regieren.

Ich finde das gar nicht besonders revolutionär. Ich meine das ernst, wenn ich sage, wir haben da eine Verantwortung. Es gibt immerhin einen im Gesetz festgeschriebenen Sicherstellungsauftrag.

Aber das Gesetz definiert nicht, wie eng das Netz sein muss. Deshalb berufen sich Landesregierungen stets auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Danach könnte es „der Schwangeren eine Hilfe in der Not sein, wenn sie für einen ersten Arztbesuch die An- und Rückreise – auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln – an einem Tag bewältigen kann“.

Wenn man danach geht, kann man ja auch sagen: „Ich komme an einem Tag von Baden-Württemberg bis nach Niedersachsen und wieder zurück.“

Aber wie würden Sie es definieren: Wie weit sollte man für einen Abbruch fahren müssen?

Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele Ärztinnen und Ärzte wir dafür benötigen. Das Problem ist ja auch, dass wir gar keinen seriösen Überblick haben, wo es entsprechende Praxen und Kliniken gibt. Auf der Liste der Bundesärztekammer hatten sich bis Oktober gerade mal zehn Ärzte eingetragen – für ganz Baden-Württemberg!

Für den Überblick über die weißen Flecke auf der Landkarte bräuchte es eine Änderung des Bundesstatistikgesetzes, die das Bundesfamilienministerium schon einmal in Aussicht gestellt hatte. Derzeit darf man nicht auswerten, aus welchen Landkreisen und Städten Abbrüche gemeldet werden und aus welchen nicht. Starten Sie eine Bundesratsini­tiative?

Wir haben darüber noch nicht nachgedacht. Aber ich nehme das mit in die Gesundheitsministerkonferenz.

Sie sprachen von Handlungsbedarf. Wie handelt Ihre Regierung?

Das ist schwierig, weil wir Krankenhäuser nicht dazu verpflichten können, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten.

Weil Abtreibungen keine Kassenleistung sind.

Genau. Deshalb prüfen wir, inwiefern wir die Unikliniken, die ja dem Land unterstehen, dazu verpflichten können. Ob wir etwa Neueinstellungen davon abhängig machen können, dass Ärzte und Ärztinnen bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.

Aber die Unikliniken sagen, wir machen die Spätabtreibungen von behinderten Kindern, lasst uns mit den Abbrüchen nach Beratungsregelung in Ruhe.

Das müssen wir abwarten. Wir haben uns für die Zeit nach der Sommerpause mit der Landesärztekammer, der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Vereinigung zu einem Gespräch darüber verabredet, was man tun kann. Geplant hatten wir das schon länger, aber in den vergangenen Wochen war eben alles von Corona überlagert. Das Hauptproblem ist ja, dass wir die jungen Ärztinnen und Ärzte dazu bekommen müssen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Da setzen wir darauf, dass sie über Weiterbildungen sensibilisiert werden, dass das zu ihrer Arbeit dazugehört.

Das ist auch die Strategie des Bundesgesundheitsministeriums. Mir leuchtet nicht ein, warum das plötzlich alle machen wollen, nur weil es Bestandteil des Curriculums ist.

Für mich ist die Frage nicht beantwortet, warum die jungen Mediziner und Medizinerinnen das nicht machen wollen. Ob das daran liegt, dass sie sich gar keine Gedanken machen und das Problem nicht sehen, oder ob sie aus persönlichen, ethischen Gründen nicht wollen. Oder ob sie Angst haben vor Verfolgung und einem schlechten Image. Viele derjenigen, die das bisher gemacht haben und noch machen, haben die Debatten in den 80er und 90er Jahren miterlebt und aus ­politischer Überzeugung so gehandelt.

Weil sie wissen, wie es war, als die Versorgung noch schlechter war.

So ist es. Ich gehöre auch zu dieser Generation, deshalb ist es mir auch so ein Anliegen. Wissen Sie, ich glaube, es war ziemlich lange ein echtes Tabu, überhaupt darüber zu sprechen. Nachdem das Schwangerschaftskonfliktgesetz 1995 als politischer Kompromiss verabschiedet worden war, haben so manche Politiker und Politikerinnen bewusst dafür gesorgt, dass das Thema nicht wieder auf die Tagesordnung kam. Sie wollten verhindern, dass damit die Debatte wieder von vorn losging.

Weil es so schwer war, diejenigen zu befrieden, die Abtreibungen am liebsten ganz verbieten wollten.

Ja. Aber jetzt muss es wieder ein Thema werden, weil die Versorgung nicht mehr gewährleistet ist.

Das, was Sie jetzt in Baden-Württemberg versuchen: Ist das nicht ein Herumdoktern an Symptomen? Das eigentliche Pro­blem ist doch der Kompromiss. Solange Schwangerschaftsabbrüche als Tötungsdelikte gelten, bleibt das Tabu bestehen, Abtreibungsgegner sehen sich bestätigt und Me­di­zi­ner*innen wollen sich verständlicherweise nicht an etwas gesellschaftlich derart Geächtetem beteiligen.

Ja, der Paragraf 218 war ein Kompromiss. Und von Zeit zu Zeit müssen Kompromisse eben darauf hin überprüft werden, ob sie noch tragfähig sind und halten, was sie versprechen.

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8 Kommentare

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  • Bärbl Mielich: "Für mich ist die Frage nicht beantwortet, warum die jungen Mediziner und Medizinerinnen das nicht machen wollen."

    Ich kann mir vorstellen, dass es auch daran liegt, dass Menschen in der Regel Arzt*innen werden, um Leben zu retten, nicht um Leben zu beenden.

    Nicht von ganz ungefähr enthält der hypokratische Eid auch folgenden Passus: "Ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten. Auch werde ich nie einer Frau ein Abtreibungsmittel geben. Heilig und rein werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren."

  • Ich zitiere an dieser Stelle mal die (noch immer aktuelle) Rechtsprechung des BVerfG: "Der Schwangerschaftsabbruch muß für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein. Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden." (BVerfG NJW 93, 1751)

    • @Christopher Schmidt:

      Dieses Urteil, wie auch die vorhergehenden Urteile ders BVG zu diesem Thema, war aber eine reine interpretation der Richter. Es gab und gibt im im Grundgesetzt nichts, gar nichts, welches die Richter dazu zwang, zu entscheiden, das das Lebensrecht ab der Einnistung gilt. Anders also zum Beispiel in der Irischen Verfassung bis vor kurzem, wo bis Mai 2018 expresis Verbis drinstand, das embryonen an Lebensrecht, gleich dem der schwangeren Person haben. Irland hat die Verfassung geaendert und jetzt hat Irland lieberale Abtreibungsgresetze als Deutschland. In Deutschland stand nur das allgemeine Lebensrecht in der Verfassung, die Richter haetten 1974 auch einfach velaudbaren koennen, das Lebensreicht gilt ab Geburt, der Verfassugnstext haette diese Interpraetation zugelassen und eine solche entscheidung, das Grundrechte fuer alle ab Geburt gelten, waere in der Traditon der Franzoesischen Menschenrechtserklaerung, der UN Menschenrechtserklaerung etc gewesen. Die Regelung in Deutschland beruht nicht auf Verfassungstext, sondern auf Verfassugnsinterpreatation durch Konservative Richter, die das Familienbild der Deutschen Hausmutti aufrecht erhalten wollten und damals Angst vor einer Liberalisierung der Gesellschaft hatten, die dennoch kam. Einige de Richter von 74 waren Ex Nazis, daher gehe ich davon aus, dass es diesen um Lebensschutz nicht wirklich ging. 1993 waren die Ex Nazis dann tot oder in Rente aber das Gericht war durch Vorhergehendes Urteil von 1974 beschraenkt und konnte nur aufweichen, nicht das Vorherige Urteil ganz aufheben. In USA oder Kanada entschieden Gerichte anders, obwohl auch dort das Recht auf Leben geschuetzt ist, sie interpraetierten einfach anders.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Wie will man das machen? Die Ärzte gegen ihren Willen zwingen?

    • @02854 (Profil gelöscht):

      Zwingen kann man Ärzte dazu nicht und arbeitsrechtlich kann man eine Verpflichtung zur Abtreibung so wenig in einen Vertrag reinschreiben, wie die Verpflichtung nicht schwanger zu werden oder eine etwaige Schwangerschaft in einem Einstellungsgespräch angeben zu müssen.

  • Abtreibung ist legal (Gewissensentscheidung der Frau - Grundrechtsausübung des/der Ärztin). Wenn dennoch Kliniken eine uralte und längst revidierte Rechtsansicht vertreten, dann kann doch in den jeweiligen Ländern das Gesundheitsministerium das ändern. Es ist höchste Zeit. Umso besser, wenn die Grünen das nun endlich in die Hand nehmen.

    • @Monika Frommel :

      Sie machen es sich zu einfach. Eigentlich ist die Regelung in Deutschland nicht die Schlechteste. Sie sieht einfach von einer Strafverfolgung ab, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Er bleibt damit Unrecht. Kann man Dritte auf dieser Grundlage zwingen an einer Abtreibung mitzuwirken? Wohl kaum.

      • @Galgenstein:

        Ich finde die Regelung in Deutschland Scheinheilig und Scheisse, sie kam zustande nicht aufgrund unseres Verfassugnstextes, den ich im Vergleich zu vielen aelteren Verfassungen fuer in grossen Teilen genial halte, sondern aufgrund einer Erzkonservativen, Katholisch inspirierten Verfassungsinterpraetation durch Konservative Richter, die mehr am erhalt der Konservativen Gesellschaft und der Traditionellen Familie interessiert waren als am "Lebensschutz", einige dieser Richter, nicht von 1993, sondern von 1974, die die demokratsich beschlossene Fristenloesung der Sozialliberalen Koalition kippten, waren Ex Nazis, daher halte ich sie nicht fuer Autoritaeten in Sachen Lebensschutz, sie haetten meiner Meinung nach nie wieder Richter sein duerfen. Warum koennen andere moderne Laender, wie Frankreich, wie die Niederlande, etc Verfassungsgerichte haben, die trotzdem Dort genauso wie in Deutschland, das Recht auf Leben geschuetzt ist, nicht Abtreibungsrechte verhindern? Weil dies moderne, sekulare, an der Aufklaerung und an den Idealen von 1789 orientierte Gesellschaften sind, und leut dieser traditon gelten Grundrechte, inklusive das auf Leben ab Geburt, so nachzulesen in dem Meisten Verfassungen und Menschenrechtserklaerungen. Nur der Deutsdche Michel muss wieder spiessig sein und eine Extrawurst haben. Und die Iren, aber die haben wenigsten die Embryonenrechte dann auch Expresis Verbis in die Verfassung geschrieben, das finde ich ehrlicher als einfach hinzuinterpraetieren von Richtern. Und die Iren haben Ihre Vefassung nun geaendert und Abtreibung ist legal bis 12. Woche, nicht straffrei legal. Peinlich das Deutschland hinter Irland herhinkt. Warum aendern wir nicht die Verfassung, wenn dasd nun das Problem ist, duch alte interpraetition versaute Verfassung? Weil der Bundestag voller Spiesser sitzt und wir die 2/3 Mehrheit nicht haetten. Deutchland einig Spiesserland. Ich bin so froh, dass ich weg bin. Fuer immer.