Grünen-Politikerin über Abtreibung: „Wir haben eine Verantwortung“
Immer weniger Ärzt*innen führen Schwangerschaftsabbrüche durch. Baden-Württembergs Sozialstaatssekretärin Bärbl Mielich, Grüne, will nun handeln.
taz: Frau Mielich, Sie sagen, in Baden-Württemberg gebe es Engpässe in der Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen. Andere Bundesländer wie Bayern und Niedersachsen bestreiten Versorgungslücken.
Bärbl Mielich: Ja, wir sehen doch, dass der Generationenwechsel spürbar wird. Viele derjenigen, die heute Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sind 60 Jahre und älter. Und es gibt nicht viele, die bereit sind, ihnen nachzufolgen.
Und wo haben Sie diese Engpässe?
Wir haben in Baden-Württemberg keine Meldung über komplett unterversorgte Regionen …
… wie die Oberpfalz, Niederbayern oder das Emsland …
68, ist Staatssekretärin im Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg. Seit 1984 ist sie Grünen-Mitglied, seit 2006 Abgeordnete im Landtag. 2016 wurde sie Staatssekretärin, zuvor war sie gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion.
… aber wir bekommen immer wieder mit, unter anderem über Pro Familia, dass Praxen aufgegeben werden oder Kliniken sich zurückziehen. In Stuttgart beispielsweise hat 2015 eine Tagesklinik geschlossen, in der sehr viele Frauen aus dem ganzen Bundesland versorgt worden sind. Und wenn ich so etwas höre, sehe ich einen Handlungsbedarf.
Das ist eine ungewöhnlich deutliche Äußerung aus der Landesregierung – zumal Sie in Baden-Württemberg mit der CDU regieren.
Ich finde das gar nicht besonders revolutionär. Ich meine das ernst, wenn ich sage, wir haben da eine Verantwortung. Es gibt immerhin einen im Gesetz festgeschriebenen Sicherstellungsauftrag.
Aber das Gesetz definiert nicht, wie eng das Netz sein muss. Deshalb berufen sich Landesregierungen stets auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Danach könnte es „der Schwangeren eine Hilfe in der Not sein, wenn sie für einen ersten Arztbesuch die An- und Rückreise – auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln – an einem Tag bewältigen kann“.
Wenn man danach geht, kann man ja auch sagen: „Ich komme an einem Tag von Baden-Württemberg bis nach Niedersachsen und wieder zurück.“
Aber wie würden Sie es definieren: Wie weit sollte man für einen Abbruch fahren müssen?
Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele Ärztinnen und Ärzte wir dafür benötigen. Das Problem ist ja auch, dass wir gar keinen seriösen Überblick haben, wo es entsprechende Praxen und Kliniken gibt. Auf der Liste der Bundesärztekammer hatten sich bis Oktober gerade mal zehn Ärzte eingetragen – für ganz Baden-Württemberg!
Für den Überblick über die weißen Flecke auf der Landkarte bräuchte es eine Änderung des Bundesstatistikgesetzes, die das Bundesfamilienministerium schon einmal in Aussicht gestellt hatte. Derzeit darf man nicht auswerten, aus welchen Landkreisen und Städten Abbrüche gemeldet werden und aus welchen nicht. Starten Sie eine Bundesratsinitiative?
Wir haben darüber noch nicht nachgedacht. Aber ich nehme das mit in die Gesundheitsministerkonferenz.
Sie sprachen von Handlungsbedarf. Wie handelt Ihre Regierung?
Das ist schwierig, weil wir Krankenhäuser nicht dazu verpflichten können, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten.
Weil Abtreibungen keine Kassenleistung sind.
Genau. Deshalb prüfen wir, inwiefern wir die Unikliniken, die ja dem Land unterstehen, dazu verpflichten können. Ob wir etwa Neueinstellungen davon abhängig machen können, dass Ärzte und Ärztinnen bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.
Aber die Unikliniken sagen, wir machen die Spätabtreibungen von behinderten Kindern, lasst uns mit den Abbrüchen nach Beratungsregelung in Ruhe.
Das müssen wir abwarten. Wir haben uns für die Zeit nach der Sommerpause mit der Landesärztekammer, der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Vereinigung zu einem Gespräch darüber verabredet, was man tun kann. Geplant hatten wir das schon länger, aber in den vergangenen Wochen war eben alles von Corona überlagert. Das Hauptproblem ist ja, dass wir die jungen Ärztinnen und Ärzte dazu bekommen müssen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Da setzen wir darauf, dass sie über Weiterbildungen sensibilisiert werden, dass das zu ihrer Arbeit dazugehört.
Das ist auch die Strategie des Bundesgesundheitsministeriums. Mir leuchtet nicht ein, warum das plötzlich alle machen wollen, nur weil es Bestandteil des Curriculums ist.
Für mich ist die Frage nicht beantwortet, warum die jungen Mediziner und Medizinerinnen das nicht machen wollen. Ob das daran liegt, dass sie sich gar keine Gedanken machen und das Problem nicht sehen, oder ob sie aus persönlichen, ethischen Gründen nicht wollen. Oder ob sie Angst haben vor Verfolgung und einem schlechten Image. Viele derjenigen, die das bisher gemacht haben und noch machen, haben die Debatten in den 80er und 90er Jahren miterlebt und aus politischer Überzeugung so gehandelt.
Weil sie wissen, wie es war, als die Versorgung noch schlechter war.
So ist es. Ich gehöre auch zu dieser Generation, deshalb ist es mir auch so ein Anliegen. Wissen Sie, ich glaube, es war ziemlich lange ein echtes Tabu, überhaupt darüber zu sprechen. Nachdem das Schwangerschaftskonfliktgesetz 1995 als politischer Kompromiss verabschiedet worden war, haben so manche Politiker und Politikerinnen bewusst dafür gesorgt, dass das Thema nicht wieder auf die Tagesordnung kam. Sie wollten verhindern, dass damit die Debatte wieder von vorn losging.
Weil es so schwer war, diejenigen zu befrieden, die Abtreibungen am liebsten ganz verbieten wollten.
Ja. Aber jetzt muss es wieder ein Thema werden, weil die Versorgung nicht mehr gewährleistet ist.
Das, was Sie jetzt in Baden-Württemberg versuchen: Ist das nicht ein Herumdoktern an Symptomen? Das eigentliche Problem ist doch der Kompromiss. Solange Schwangerschaftsabbrüche als Tötungsdelikte gelten, bleibt das Tabu bestehen, Abtreibungsgegner sehen sich bestätigt und Mediziner*innen wollen sich verständlicherweise nicht an etwas gesellschaftlich derart Geächtetem beteiligen.
Ja, der Paragraf 218 war ein Kompromiss. Und von Zeit zu Zeit müssen Kompromisse eben darauf hin überprüft werden, ob sie noch tragfähig sind und halten, was sie versprechen.
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