Schwangerschaftsabbruch in Flensburg: Stadt sucht Abtreibungs-Arzt

Weil zwei christlicher Kliniken fusionieren, wird in Flensburg die Möglichkeit wegfallen, im Krankenhaus abzutreiben. Die Stadt will Ersatz schaffen.

Ein Demo-Plakat mit der Aufschrift "Weg mit § 218 und 219"

Vor einem Jahr protestierten Flensburger*innen gegen die ökumenische Klinik­fusion Foto: Michael Staudt

NEUMÜNSTER taz | In Flensburg soll das erste ökumenische Krankenhaus Deutschlands entstehen. Das von Trägern, Stadt und Land gewollte Großprojekt hat aber einen Haken: Schwangerschaftsabbrüche wird es in der neuen Klinik nicht geben. Nun will die Stadt dafür selbst Ärzt*innen einstellen. Die Beratungsstelle Pro Familia und der Berufsverband der Frauenärzt*innen kritisieren den Plan.

Für die Leitung des St.-Franziskus-Hospitals, das zum Malteser-Orden gehört, ist die Sache klar: Das Nein zu Abtreibungen sei eine „ethisch-moralische, grundsätzliche Position der katholischen Kirche “, hatte Klaus Deitmaring, Geschäftsführer des 340-Betten-Hauses, im Oktober 2019 gesagt. Auch heute finden Schwangerschaftsabbrüche nur in Notfällen statt, wenn das Leben der Frau bedroht ist. Im evangelischen Diakonissenkrankenhaus „Diako“ mit rund 500 Betten können Frauen bislang aus sozialen Gründen abtreiben. Im gemeinsamen Klinikum wird das künftig nicht mehr möglich sein. Für die katholische Seite sei der Punkt „nicht verhandelbar“, so Deitmaring.

Auf die Frage, wohin sich ungewollt Schwangere wenden können, erwidern die Kliniken, Schwangerschaftsabbrüche würden auch niedergelassene Frauenärzt*innen übernehmen. „Stimmt“, sagt Reiner Johannsen, Landesgeschäftsführer der Beratungsstelle Pro Familia, „aber viele Frauen ziehen es vor, ins Krankenhaus zu gehen, allein, um bei Komplikationen die Technik im Hintergrund zu wissen.“

Vor gut einem Jahr hat Flensburgs Ratsversammlung einen runden Tisch eingesetzt, um ein alternatives Angebot für Schwangere zu finden. Die Runde mit Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD), Vertreter*innen von Krankenhäusern, Sozialministerium und Pro Familia schlägt nun eine „dauerhafte kommunale Lösung“ vor: Die Stadt stellt selbst eine*n Ärzt*in ein und gründet eine Praxis – nah beim, aber nicht im neuen Klinikum.

Rund 98.000 Schwangerschaftsabbrüche fanden 2018 in Deutschland statt, davon 80.378 in Praxen und OP-Zen­tren und 17.609 ambulant in Kliniken. Der Anteil stationärer Abtreibungen ist minimal.

In den östlichen Bundesländern ist der Anteil an Abtreibungen in Kliniken deutlich höher als in den westlichen Ländern.

Ausnahme ist Schleswig Holstein, wo von 3.170 Abbrüchen 1.563 in Kliniken und 1.559 in Praxen vorgenommen wurden.

Der Gesundheitsausschuss der Stadt hat zugestimmt, auch wenn Abgeordnete vor allem von SPD und Grünen gern mehr erreicht hätten. Stadtsprecher Clemens Teschendorf sagt: „Auch wir hätten uns eine Lösung in der Klinik gewünscht, aber es geht darum, das Angebot für die Region zu erhalten.“

Doch viele Fragen sind noch ungeklärt: Wie soll die Organisation der kommunalen Praxis aussehen? Wie teuer wird das Projekt? Lässt sich ein*e Bewerber*in für die Stelle finden? Wie läuft die Vertretung bei Abwesenheit? „Das sind Detailfragen, die nun in der Arbeitsgruppe besprochen werden müssen“, sagt Teschendorf. Zeit ist bis 2023, wenn ein entsprechender Vertrag mit dem heutigen Diako-Krankenhaus ausläuft.

Doris Scharrel, Landesvorsitzende des Berufsverbandes der Frauenärzt*innen, sieht weit mehr als nur offene Detailfragen. Sie stellt die Idee grundsätzlich infrage: „Kein Arzt, keine Ärztin würde sich darauf einlassen, nur Abtreibungen vorzunehmen.“ Zudem müsse man an die Frauen denken: „Wenn in einem Gebäude nur Schwangerschaftsabbrüche stattfinden, ist das höchst problematisch.“

Schwierig seien auch Haftungs- und Kostenfragen: „Schwangerschaftsabbrüche sind angesichts hoher Versicherungsgebühren kaum kostendeckend zu machen.“ Denkbar sei stattdessen, die Eingriffe in ein ambulantes OP-Zentrum zu verlagern, in dem niedergelassene Ärzt*innen verschiedene Operationen vornehmen. So ein Zentrum gibt es in Flensburg bereits, allerdings nicht auf dem Gelände des künftigen Klinikums. Diese räumliche Nähe wünscht sich die Stadtpolitik aber.

Klar ist: Weder die Stadt noch das Land wollen den Zusammenschluss gefährden. Beide Krankenhäuser arbeiten seit fast 150 Jahren in Flensburg, seit einigen Jahren kooperieren sie. Nun sind sie sanierungsbedürftig. Das Land müsste dafür dreistellige Millionenbeträge aufbringen und will stattdessen einen Neubau bezahlen, im Frühjahr hat das Bundeskartellamt den Weg frei gemacht. Bis 2026 soll ein Haus mit rund 700 Betten entstehen, in dem pro Jahr 100.000 Menschen ambulant und stationär behandelt werden können.

Die Idee des städtischen Abtreibungs-Angebots sieht auch Reiner Johannsen von Pro Familia kritisch und will auf die vielen offenen Fragen rasch Antworten. Ihn treibt die allgemeine Entwicklung um: „Es wird gebetsmühlenhaft wiederholt, wir hätten in der Region eine gute Versorgung. Tatsächlich mag das Angebot besser sein als in anderen Gegenden Deutschlands, aber auch hier sind Praxen auf dem Rückzug, die ambulante Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.“ Grund sei eine veränderte Einstellung in der Ärzteschaft: „Die Älteren, die in den Jahren der 68er-Bewegung sozialisiert worden sind, sehen es als ihre Aufgabe an. Aber viele Jüngere streben nicht einmal die Genehmigung für ambulante OPs an.“

Doris Scharrel bestätigt: „Jüngere sehen das Thema durchaus als wichtig an, aber sie sind oft unsicher, auch wegen der bürokratischen Hürden, um die Erlaubnis für ambulante Eingriffe zu erhalten.“ Sie wünsche sich ein generelles Umsteuern – weg von Eingriffen, hin zu mehr Schwangerschaftsabbrüchen per Medikament. Dabei liege Deutschland im EU-Vergleich weit hinten: „Es wird Zeit, dass wir zum internationalen Standard aufschließen.“

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