Wildtiere und Wälder in Deutschland: Schluss mit Bambi
Wer einen klimastabilen Mischwald fordert, muss auch den Bestand an Schalenwild verringern. Höchste Zeit für mehr Rotwild auf dem Sommergrill.
A ls im Herbst 2019 Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf dem Waldgipfel satte 800 Millionen Euro für die Aufforstung ankündigte, war das öffentliche Echo groß. Ja, so stellte man sich ein Waldpaket vor! In der Freude ging ein anderer Satz der Ministerin fast unter: Sie wolle, dass es künftig eine zielgerichtete und stringentere Jagd gebe, sagte Klöckner. Ziel: Der schöne 800-Millionen-Euro-Wald soll nicht ruck, zuck von Rehen und Rotwild aufgefressen werden. Wie gut, dass laut Koalitionsvertrag ohnehin das Bundesjagdgesetz novelliert werden sollte.
Nach wochenlangen Debatten zwischen den Ministerien kursiert nun ein Entwurf dieser Novelle. Doch das genannte Ziel ist nach diesem Entwurf sauber verfehlt worden. Das ist keine Petitesse: Wer einen klimastabilen Mischwald will, muss den Bestand an Schalenwild – vor allem Reh- und Rotwild – in vielen Regionen Deutschlands drastisch verringern. Und das heißt nicht nur, aber vor allem: sehr viel mehr Jagd.
Doch die sieht der ausgesprochen brave Entwurf nicht vor. Er enthält nur eine größere Änderung: Statt eines generellen Abschussplans soll es eine Mindestabschussquote geben. Jäger und Waldbesitzer sollen gemeinsam festlegen, wie viele Tiere in einer Saison in der Region geschossen werden sollen. Zanken sich die beiden Parteien, soll ein Verbissgutachten helfen – ein Gutachten, wie viele junge Bäume in der Region zu welchem Grad abgefressen sind. Klappt es auch mit dem Gutachten nicht, darf die untere Jagdbehörde die Mindestabschussquote festlegen und notfalls auf Kosten des Verweigerers jagen lassen.
Diese Mindestabschussquote reicht nicht nur nicht, sie funktioniert auch nicht. Denn die Aufforderung, gefälligst so viel zu schießen, dass Aufforstungen nicht aufgefressen werden, die „Wildschadensverhütung“, ist längst und in mehreren Paragrafen Bestandteil des Jagdgesetzes, inklusive Strafe. Gewirkt hat es nicht: Zwar schießen die rund 340.000 Jäger*innen jedes Jahr über eine Million Rehe, aber der Verbiss geht weiter.
Abschussquoten teilweise abgeschafft
Bundesweit gibt es Verbissgutachten, die zeigen, wie sehr die Tiere die beliebten Eichen, Buchen und andere Laubbäume hochgradig verbissen haben. Zehn Jahre alte Eichen, einer der beliebtesten und wichtigsten Bäume bei der Aufforstung, bleiben dadurch hüfthohe Krüppelbäume.
Viele Klein- und Kleinstwaldbesitzer*innen, organisiert in Jagdgenossenschaften, wissen zudem gar nicht, wie hoch der Mindestabschuss sein müsste, damit ihr Wald zaunfrei nachwächst. Sie verlassen sich auf die Angaben der Jäger, die aber lieber mehr als weniger Wild haben wollen. Und ohne Pflicht eines körperlichen Nachweises – ein Ohr oder einen Unterkiefer – in der Mindestabschussquote dürfte es zu vielen so genannten Postkartenrehen kommen: Der Abschuss steht zwar auf dem Papier, aber das Tier lebt. Und frisst.
In einigen Bundesländern sind die bisherigen Abschussquoten mit Blick auf den hohen Verbiss schon abgeschafft, wie in Brandenburg. Mehr geschossen wird trotzdem nicht. Nur eine kleine, aber immerhin wachsende und leidenschaftliche Gruppe an Jäger*innen fühlt sich bislang verpflichtet, den Grundsatz klimastabiler Wald mit Wild ernsthaft zu verfolgen.
Enormer Shitstorm
Mit einseitigen Schuldzuweisungen gehe es eben nicht, protestiert entsprechend der Deutsche Jagdverband. Das ist richtig. Aber jeder Wald, in dem mehr und konsequent gejagt wird, zeigt, dass der Kern der Lösung mehr Jagd ist. Zuletzt durfte sich das Klöckners Kollegin, Umweltministerin Svenja Schulze, in der Rochauer Heide in Brandenburg ansehen. Dort wächst der Wald nach. Warum? Weil die Förster dort mehr schießen.
Es ist Zeit zu handeln: Schon 1971 scheuchte Horst Stern ausgerechnet am Weihnachtsabend die Bevölkerung zur Jagd, mit einem blutigen Film darüber, wie Schalenwild den Wald zerfrisst und zerfetzt – und Jäger aber lieber seelenruhig auf den begehrten kapitalen Bock warten. Stern erlebte einen enormen Shitstorm, weil er Bambi zum Abschuss freigegeben hatte. Bambis Kulleraugen nutzt die konservative Jägerschaft bis heute effizient, um die Schießverweigerung zu verstecken: Denn mehr Jagd hieße mittelfristig, weniger Wild zu sehen, wenn man die teuer bezahlte Pacht nutzt und zum Ansitz fährt.
Richtig ist aber auch: Mit mehr Jagd alleine ist das Problem nicht gelöst. Der reduzierte, verbliebene Bestand an Tieren – kein Waldbesitzer will Rehe ausrotten, wie es Jäger*innen gerne behaupten – braucht Ruhezonen, Äsungsflächen, Futter wie Kräuter und Sträucher als Ersatz für junge Bäume. An diesen Lösungen zu arbeiten ist nicht nur Aufgabe der Jäger*innen, sondern auch die der Waldbesitzer*innen und der Landesregierungen mit ihren Wald- und Jagdgesetzen.
Forstämter fit machen
Dafür bedarf das Bundesjagdgesetz einer grundlegenden Novellierung, nicht einer Schönheitskorrektur – wie es auch der wissenschaftliche Beirat Waldpolitik der Bundesregierung fordert. Definitionen zu Hege und Wild müssen modernisiert werden. Die jahrelang zusammengesparten Forstämter müssen besser ausgestattet werden, um mit den (tief zerstrittenen) Parteien Lösungen zu erarbeiten. Die Pachtzeit von derzeit mindestens neun Jahren sollte flexibler werden, damit man schießfaule Hobbyjäger*innen schneller loswird. Die unsinnige Fütterung von Schalenwild im Winter sollte verboten werden – es sind Wildtiere. Das Ziel heißt: Wald mit Wild – statt Wild vor Wald.
Armes Bambi! Wer nun aufheult, sollte mehreres bedenken: Der Preis, alles zu lassen, wie es ist, ist der so sehnlich gewünschte klimastabile Wald – oder mit teuren Zäunen zugerammelte Wälder, die Tier und Mensch vertreiben. Und wenn überhaupt Fleisch gegessen wird, dann ist ein Reh-, Dam- und Rotwildbraten mit Abstand das Beste, was auf den Tisch kann. Bislang aber schwimmt der Braten meist nur Weihnachten in der Soße. Höchste Zeit für mehr Reh- und Rotwild auf dem Sommergrill.
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