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Nostalgie für digitale RollenspieleZu viele Pixel verderben die Fantasie

Mit ihren komplexen Narrativen haben Rollenspiele wie „Final Fantasy“ die Gamingwelt der 90er revolutioniert – ein nostalgischer Streifzug.

Ist im Remake nun doch HD: Spielwelt von „Secret of Mana“ Foto: Square Enix

Das gelbe Wesen nennt sich Pogopuschel. Es hat einen ovalen Körper, rosa Ohren – oder sind das die Arme? Und am Hinterteil einen rosa Puschelschwanz – oder sollen das die Füße sein? Der Held nähert sich, schwingt sein Schwert – und puff, ist der Pogo­puschel besiegt, der erste Gegner im Rollenspiel „Secret of Mana“, das vor 27 Jahren erschienen ist.

Am satten Grün des Grases bleiben keine Rückstände kleben. Der Puschel ist weg, dafür entstehen Bilder im Kopf der Spieler*innen – und eine Idee davon, was sie in dieser Welt erwarten wird.

Die 90er Jahre waren das Jahrzehnt der ersten wirklich komplexen PC-Rollenspiele. Titel wie „Secret of Mana“ oder „Final Fantasy 7“ führten in pixe­lige Welten: Abenteuer, die Stunden dauerten und die aus Welten mit vielen Leerstellen bestanden. Die Grafik setzte auf die Fantasie derer, die vor dem Bildschirm saßen. Vieles wurde nicht auserzählt. Die Charaktere waren oft nur schemenhaft zu erkennen. Und doch formten diese Geschichten viele Spie­ler*­in­nen. Sie wurden Teil eines Heranwachsens mit digitalen Games.

Doch was ist geblieben von diesen Eindrücken, welche Momente erinnern Spie­ler*in­nen besonders? Und wie gut sind die vielen Rollenspiel-Remakes, die derzeit erscheinen?

Spielen mit Gemeinschaftsgefühl

„Als,Secret of Mana' in Deutschland erschien, war ich zehn Jahre alt“, erzählt Marc, der heute 35 ist. Das Spiel erschien damals für die Videospiel-Konsole Super Nintendo, doch Marc hatte nur einen Sega Mega Drive. „Deshalb haben wir zu dritt bei einem Klassenkameraden gespielt – immer nach der Schule.“

Zwei hätten Controller in der Hand gehalten, die Charaktere durch die verschiedenen Welten geführt und der Dritte habe den Spieleberater gelesen – und die Spielenden durch das Spiel geführt. „Dieses gemeinsame Spielen ist für mich eine nostalgische Erinnerung“, sagt Marc.

In den 90er Jahren, vor dem Internet, waren diese Rollenspiele so was wie Netflix-Serien. Auf Schulhöfen wurde im Flüsterton gefragt, wie weit man schon in der Geschichte fortgeschritten war. Spoiler waren der größte Feind – und leichter zu umgehen als in diesen digitalen Zeiten. Das Spielen war ein gemeinsames Erleben, sei es zusammen vor dem Bildschirm oder in den Erzählungen von endlos schweren Endgegnern, die besiegt wurden.

„Meine Kopie von,Final Fantasy 7' konnte ich mir nicht direkt zur Veröffentlichung leisten“, sagt Marc. Das Spiel handelt von einer Widerstandsgruppe, die eine zwielichtige Firma davon abhalten will, die Energie des Planeten für ihre Zwecke zu nutzen. Marc habe es erst nur ausgeliehen und lange gespart, um es selbst kaufen zu können. „Ich bin dann total im Spiel versunken und habe so auch viel von der Trennung meiner Eltern verarbeitet“, erzählt er.

Wer die Welt von „Final Fantasy 7“ bis in jeden Winkel erkunden will, kann gut 80 Stunden damit verbringen. Es wird zu einem kleinen Abschnitt des Lebens. Die Bilder, Charaktere, die Musik – sie werden dann zur Kulisse des Alltags.

Komplexes Erzählmedium

„Mit 15 Jahren hatte ich den Abschlussball meiner Tanzschule. Ich hatte da echt gar keinen Bock drauf“, erzählt Eva-Maria. Doch ihre Stimmung habe sich aufgehellt, als ihr Tanzpartner ihr keine Blumen oder Pralinen schenkte, sondern ein Rollenspiel. „Ich packte,Final Fantasy 8' aus und konnte es gar nicht mehr abwarten, bis der Tanzabend zu Ende war“, sagt die heute 33-Jährige.

Es sei das erste Videospiel gewesen, das Eva-Maria wirklich fesseln konnte. „Bis dahin hatte ich gedacht, dass Vi­deo­spiele aus bunten Pixelhaufen bestehen.“ Doch „Final Fantasy 8“, wie auch schon der Vorgänger, hatte 3-D-Grafik, einen bombastischen Soundtrack und Zwischensequenzen, in denen man die Charaktere des Spiels plötzlich erkennen konnte – sie sahen aus wie echte Menschen. „Ich weiß noch, dass ich vor dem Fernseher saß, starrte und dachte: Wow, das können Videospiele?“

Rollenspiele haben das Medium digitaler Games erweitert, sie narrativ komplexer, emotionaler und vor allem bildgewaltiger gemacht. Die „Final Fantasy“-Reihe auf der ersten Playstation setzte Maßstäbe im Detailreichtum der Umgebungen. Besonders im Storytelling der alten Rollenspiele finden sich bereits die Wurzeln des komplexen Erzählmediums, das Games heute sind.

Da, wo heute ein Rollenspiel wie das bald erscheinende „Cyberpunk 2077“ die Grenzen zwischen Geschlechtern, Menschen und Maschinen aufheben möchte, ermöglichte „Terranigma“ von 1995 den Spie­ler*in­nen, die Kontinente der Erde aus dem Meer zu holen und eine ganz neue Zivilisation aufzubauen – natürlich in Pixelgrafik.

Jene beschränkten technischen Möglichkeiten waren es, die Rollenspiele zum Genre mit den meisten Leerstellen macht, die dazu anregten, sich selbst vorzustellen, wie die Gegner, die Städte, die Held*innen wirklich aussehen, aber auch, wie sie sich bewegen, sprechen und leben.

Beim Zocken und fürs Leben lernen

Heute ist diese Fantasie kaum noch nötig – viele Spiele erzählen und zeigen alles. So wird man in „Cyberpunk 2077“ auch etwa die Genitalien des eigenen Charakters modellieren können. Auf diese neuen Möglichkeiten reagieren viele Entwicklerstudios mit Neuauflagen alter Rollenspiele, samt ihrer grafischen Beschränkungen. Remakes dominieren diese Konsolen­generation wie keine zuvor. Die Nostalgie der Spieler soll genutzt werden, um alte Geschichten neu zu verkaufen.

„Wegen,Final Fantasy 7' wollte ich schneller Lesen lernen“, erzählt Pascal, den das Spiel sehr prägte. Schon mit fünf Jahren habe der heute 24-Jährige sich im Jahr 2000 ins Zimmer des Bruders geschlichen, als dieser in der Schule war, um mit seiner Playstation zu spielen.

Es war so viel Text in diesem Spiel – die Charaktere hatten keine Stimmen. Als ein bedeutender Charakter im Spiel starb, habe ihn das emotional sehr mitgenommen und: „Es hat mir auch dabei geholfen, den Tod meines Großvaters 2002 besser zu verarbeiten.“

Als er 2020 das Remake in die Konsole legte, mit hochpolierter Grafik, detailreichen und sprechenden Charakteren, da habe er bemerkt: „Die Momente, die mich in meiner Kindheit geprägt haben, wurden hervorgehoben.“ Die Stimmen, die neu eingespielte Musik, all das habe ihn noch mal so sehr vereinnahmt wie das Original – nur eben auf andere Weise. Das mag freilich auch daran liegen, dass Pascal zu einer Zeit aufwuchs, als die Inszenierung von Videospielen schon sehr viel weiter war.

Wenig Spektakel, viele Pixel

Lina hingegen erinnert sich an andere Momente ihrer Rollenspiel-Kindheit. „Als ich endlich das Kampfsystem von,Final Fantasy 8' verstanden hatte, entwickelte ich eine Neigung für diese Spiele“, sagt die 37-Jährige.

Taktisches Vorgehen, das Analysieren von Gegnern und der bestmögliche Konter – diese Lust halte bis heute an. Es sind Kämpfe, die nicht realistisch sein wollen. Keine actiongeladenen Spektakel, sondern mehr ruhige und überlegte Aktionen – Runde für Runde.

Das ist sehr anders als das, was heute in Rollenspielen passiert, etwa in „The Witcher 3“, das Spieler*innen in Echtzeit auf die Gegner loslässt. „Ich bin wohl nicht die Einzige, die diese Art der Kämpfe in Rollenspielen vermisst“, sagt Lina. Sie merke inzwischen, dass die Konventionen der alten Rollenspiele sie für die neueren wohl ein bisschen verdorben hätten.

Dem Remake zieht Linda jedenfalls das Original stets vor. „Dann hole ich meine erste Playstation aus dem Schrank und genieße die Spiele, die mich damals so geprägt haben“, sagt sie. Ein kleiner Ausflug in die 90er – und die Leerstellen sind die größte Freude.

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6 Kommentare

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  • Ehrlich ... habt Ihr einen Knall?

    Zweimal taucht im Artikel tatsächlich die Aussage auf, dass man mit dem Spielen eines Rollenspiels etwas "bewältigt" hat ... einmal die Trennung der Eltern, dann den Tod eines Großelternteils.

    Ich kenne auch persönliche Krisensituationen, in denen ich Eskapismus betrieben habe und dadurch (eine Zeitlang) die Belastung verdrängen konnte ... aber wie zum Teufel soll das Spielen eines Spieles oder das Bingen von Serien oder das exzessive Sporttreiben zur "Bewältigung" einer solchen Situation beitragen.

    Zur "Gesundung" muss getrauert werden, da führt kein Weg dran vorbei.

    Schwach, ganz schwach!

    • @Plewka Jürgen:

      "das exzessive Sporttreiben"

      Da bekämpft man einen seelischen Schmerz mit einem neuen körperlichen Schmerz, der ist präsenter und lenkt ab.

    • 8G
      83191 (Profil gelöscht)
      @Plewka Jürgen:

      Durch Ablenkung. Die kann für einen Zwang sorgen, sich temporär für etwas Anderes als die Leidenssituation zu beschäftigen. Dadurch hat die Krise keine so große Chance den Spielenden zu überlasten.

      Die Wirklichkeit kann dadurch verlangsamt verarbeitet werden.

      Die Gefahr ist die anhaltende "Flucht" vor der Wirklichkeit.

      • @83191 (Profil gelöscht):

        Das kann sein. Wird aber im Artikel so nicht beschrieben. Da gibt es den direkten Zusammenhang von Spiel und Bewältigung.

  • 90er? Richard Garriott lächelt milde auf euch herab, Grashüpfer! Mein erstes Rollenspiel war Ultima 4 auf einer ur-x86er-Mühle, deren Rechenleistung geringer war als die meiner neuen Küchenwaage... Ab und an habe ich das zu einem Freund geschleppt, der hatte schon einen 286er (glaube ich), jedenfalls könnte sein PC sechzehn! Farben! Gleichzeitig! Das war Mitte der 80er brutalste High-Tech.

    • @Wurstprofessor:

      Und weil ich auf ältere Leute gehört habe, du zockst doch auch gerne Rollenspiele und der Richard Gariott, ja Lord Britsh, der bringt einen geistigen Nachfolger von Ultima raus, Singleplayer und MMO in einem, da musst du unbedingt investieren, habe ich in diese totale Gurke Shroud of the Avatarvon Gariott investiert.

      Ich sag es mal diplomatisch, große Namen aus der Vergangenheit sind kein Qualitätssiegel.

      Hust, Peter Molyneux ist auch so ein Fall...