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Corona und GeflüchteteZur Quarantäne in den Knast

Sechs coronainfizierte Asylsuchende aus Bielefeld wurden im Abschiebeknast Büren isoliert. Obwohl sie nicht abgeschoben werden sollen.

Das ist die Aussicht von Insassen der „Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige“ in Büren Foto: picture alliance/Friso Gentsch/dpa

Berlin taz | Nordrhein-Westfalen hat coronainfizierte Asylsuchende zur Quarantäne in ein Gefängnis gesperrt. Die Bezirksregierung Detmold bestätigte der taz, dass dazu sechs Bewohner der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Bielefeld am 11. April in die Abschiebehaftanstalt Büren gebracht wurden. Die LEA war vom Gesundheitsamt an jenem Tag unter Quarantäne gestellt worden.

Die sechs mit dem neuartigen Coronavirus infizierten Geflüchteten seien „sicher symptomfrei“ gewesen, hätten aber „nachhaltig und in aggressiver Weise gegen Quarantäneanordnungen verstoßen“, die das Gesundheitsamt Bielefeld verfügt hatte, sagte ein Sprecher der Bezirksregierung. Nähere Angaben zum „aggressiven Verhalten“ machte er nicht. Die sechs wurden in Polizeigewahrsam genommen, ein Richter habe anschließend ihre Inhaftierung jeweils einzeln verfügt.

In der Abschiebehaftanstalt Büren seien die sechs in einem separaten Häuserblock mit „Einzelzimmern“ untergebracht worden. Zu diesem Zeitpunkt seien sie bereits etwa zehn Tage infiziert gewesen. Zwei der sechs Asylsuchenden haben das Gefängnis bis zum Montag wieder verlassen, weil ihre Testergebnisse negativ waren. Die anderen würden weiterhin täglich getestet, mit einem negativen Testergebnis sei „bald zu rechnen“, so die Bezirksregierung. Im Gefängnis hätten sich die Infizierten „ordentlich verhalten“, die MitarbeiterInnen seien mit Schutzkleidung ausgestattet worden, wie es auch im Fall einer Coronainfektion eines Ausreisepflichtigen passiert wäre.

„Unverhältnismäßig hart bestraft“

In die ehemalige JVA Büren kommen normalerweise nur Menschen, deren Abschiebung unmittelbar bevorsteht. Auf den Vorgang aufmerksam gemacht hatte der Detmolder „Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ „Offenbar ist die Abschiebehaftanstalt Büren jetzt offizielles Gefängnis für Flüchtlinge bei Inhaftierungen nach dem Infektionsschutzgesetz“, sagte Vereinssprecher Frank Gockel. Eigentlich würden Menschen in vergleichbaren Fällen aus Seuchenschutzgründen in speziellen Krankenhäusern untergebracht. „Warum bei geflüchteten Menschen dieser Sonderweg eingeschlagen wird, bleibt offen“, so Gockel.

Die Haftanstalt in Büren sei für Quarantäne „überhaupt nicht geeignet“, sagte Gockel weiter. Weder gebe es ausreichend qualifiziertes medizinisches Personal noch sei das übrige Personal entsprechend geschult worden. Problematisch sei die Infektionsgefährdung der regulären Abschiebehäftlinge.

Gockel kritisierte die „Ausgangssituation“ dieser Fälle von Quarantäne-Haft. „Geflüchtete müssen weiterhin dicht an dicht in Lagern leben, statt sie in dezentrale Unterkünfte zu evakuieren.“ Es werde offenbar ein höheres Ansteckungsrisiko der in den Lagern Lebenden in Kauf genommen, gleichzeitig würden sie bei Verstößen gegen Quarantäne-Auflagen „unverhältnismäßig hart bestraft und in ein Gefängnis gesteckt“.

Kundgebung in Köln

Für Dienstagabend ist deshalb eine Kundgebung in Köln angemeldet, um die Evakuierung der dortigen Sammelunterkünfte zu fordern. „Gedrängt auf engem Raum leben die Menschen ohne jede Möglichkeit, sich in angemessener Weise vor einer Corona-Infektion zu schützen. Es gibt keine Atemschutzmasken, die Desinfektionsmittelspender sind leer, zehn Menschen teilen sich eine Toiletten- und Duscheinheit“, heißt es im Aufruf zu der Demo.

Die OrganisatorInnen setzen auch auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig aus der vergangenen Woche. Das hatte dem Eilantrag eines Asylbewerbers stattgegeben. Der Mann hatte argumentiert, er könne die in der sächsischen Corona-Verordnung geforderten Abstandsregeln von 1,50 Metern in der Erstaufnahmeeinrichtung in Dölzig nicht einhalten. Er sei zusammen mit einer weiteren Person in einem vier Quadratmeter großen Raum untergebracht und müsse sich Küche und sanitäre Einrichtungen mit 50 weiteren Menschen teilen.

Das Gericht erklärte, die Ausbreitung der durch das Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 müsse auch in Unterkünften für Asylbewerber zwingend verhindert werden. In Köln stellten BewohnerInnen der Sammelunterkünfte mit Bezug auf das Urteil nun Anträge auf Entlassung.

Tod in Schweinfurt

Am 21. April war ein 60-jähriger Armenier aus dem „Ankerzentrum“ genannten Abschiebelager im unterfränkischen Geldersheim bei Schweinfurt an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben. Das Heim war, wie ein gutes Dutzend andere Einrichtungen bundesweit, nach positiven Corona-Tests von BewohnerInnen zuvor unter Quarantäne gestellt worden.

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11 Kommentare

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  • @ Holzhirn: "Niemand hier möchte eine Haftanstalt, die nach Gesicht oder Tageslaune und ohne Kontrolle arbeitet." Da sind wir einer Meinung. Betrachten wir nun die Fakren, die uns durch das Internet zugänglich sind: § 30 Abs. 2 IfSG regelt, wer zwangsweise in Quarantäne untergebracht werden kann. Satz eins regelt die Unterbringung in einem Krankenhaus. Dass kennen wir, ein Kontrollmechanismuss ist durch den Medizinischen Dienst vorhanden (siehe Krankenhausstrukturgesetz). In Satz 2 sind die Absonderungseinrichtungen festgelegt. Später steht im Gesetzt, dass das 7. Buch FamFG anzuwenden ist. Suchen wir das Gesetz, was den Vollzug regelt. Im IfSG gibt es hierzu keine Regel. Im FamFG gibt es den § 422 Abs. 4. Trifft aber hier nicht zu, da die Betroffenen sich nicht in Zurückweisugs- oder Abschiebehaft befinden. Ist das Strafvollzugsgesetz anzuwenden? Nein, gleich aus zwei Gründen: Die Betroffenen sind keine Straftäter und die Abschiebehaft ist seit 2015 keine JVA mehr (dieses kommt aus den Trennungsgebot der EU-Rückführungsrichtlinie). Welches Vollzugsgesetz gilt füe die Abschiebegefangenen in Büren? Das Abschiebehaftvollzugsgesetz NRW. Aber die in den Artikel genannten Personen passen nicht in die in § 1 Abs. 1 genannten Gruppe. Es gibt kein Vollzugsgesetz in Absonderunsgeinrichtungen und damit keine Kontrolle und es herrscht Willkür.



    Quarantäne nach § 30 IfSG ist übrigens nichts neues, es wurde in der Vergangenheit auch bei offener TBC vereinzelt eingesetzt. Aber es gab einen guten Grund, warum die dort betroffenen Menschen immer, auch wenn medizinisch nicht erforderlich, in einem Krankenhaus untergebracht wurden. Eine Lücke in Form eines ganzen Gesetzes darf auch in Corona-Zeiten nicht durch Willkür ersetzt werden, insesondere wenn das hohe Gut der Freiheit beschnitten wird. Dieses tut unserer Verfassung nicht gut und wir müssen sehr vorsichtig sein. Mir macht dieser Eingriff in die Grundrechte Angst.

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Was ist denn die Alternative?

    Eine zentrale Zwangs-Unterbringung von Personen, die lt. Polizei trotz Positivem Test wiederholt gegen Quarantäne-Maßnahmen verstoßen, ist nun einmal notwendig.

    Ich finde die Polizei und Justiz hat hier angepasst reagiert. Der wichtigste Satz: Zwei der Sechs Asylsuchenden hätten nach einem negativen Test das Gefängnis wieder verlassen. Punkt.

    • @83191 (Profil gelöscht):

      Also Sie würden auch kein Problem damit haben, dass Sie in einem Gefängnis gesperrt werden, wenn Sie gegen die Maßnahmen verstoßen?

      Ja die Asylsuchende haben dagegen verstoßen, aber warum wurden sie in einem Abschiebeknast gesperrt ? Darum geht es ja.



      Werden Menschen ohne eigene Wohnung auch im Knast gesperrt, wenn sie gegen Quarantinemaßnahmen verstoßen würden ? Nein.



      Punkt.

      • @TRG :

        @Holzhirn:



        Leider ist das Problem immer tiefer, als man im ersten Moment denkt. Ja, es stimmt, dass eine Person nach § 30 IfSG in Quarantäne genommen werden kann. Ob dann 417 FamFG richtig angewendet wurde, will ich mal offen lassen (Gesundheitsämter, die einen Haftantrag stellen müssen, dass geht schief). Das Amtsgericht macht also eine Einweisung und jetzt gibt es zwei Wege wo die Leute hin müssen: Entweder Krankenhaus oder Absonderungseinrichtung. Krankenhaus kennen wir, brauch ich nicht häher eingehen. Wie sind denn die Bedingugen in den Absonderungseinrichtungen und wer überprüft diese? Es gab bisher in Deutschland noch keine Absonderungseinrichtung und es gibt kein (hier liegt das eigentliche Problem) kein Absonderungsvollzugsgesetz. Bedeutet in Klartext: Keine Festlegung der Haftbedingungen, keine Kontrolle durch staatliche Stellen (kein Beirat, keinen Justizvollzugsbeauftragten, etc.) und kein Zugang von NGO´s. Den Gefangenen in Büren wurden die Telefone weggenommen, ihre Anwälte wurden nicht informiert (musste auch nicht erfolgen, da kein Anwalt in seiner Vollmacht das IsFG stehen hat). Es ist also eine absolute Backbox. Wollen wir wirklich ein Gefängnis, in dem es keinerlei Kontrollen gibt? Mir macht das Angst. Warum werden die Betroffenen nicht wie Deutsche auch, in Krankenhäuser untergebracht? Wäre das nicht der richtige Weg? Und dieses passiert übrigens öfter, als Ihr denkt, es gibt sogar spezialisierte Krankenhäuser dafür. In der Vergangenheit wurden dort offene TBC-Fälle eingesperrt (aber mit jede Menge Kontrollgremien, Telefon, Besuchsmöglichkeiten, usw.)



        Kommen wir zum Schluss zu den Haftbedingungen: Den Betroffenen wurde das Telefon weggenommen und sie durften kein Besuch empfangen, der Besuch von NGO´s wurde verweigert. Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit sind sie auf Abteilung 1bneu in Isolationshaft. 24 Stunden eingesperrt, ohne Kontakt zu den Mithäftlingen. Morgens vier Scheiben Toestbrot mir Käse, abends vier Scheiben Toestbrot mit Käse....

      • 8G
        83191 (Profil gelöscht)
        @TRG :

        Kurz: Ja.

        Lang: Wenn ich Positiv getestet werde und von der Polizei mehrfach außerhalb meiner Wohnung angetroffen werde, rechne ich mit einer Zwangs-Quarantäne. Der Abschiebeknast bot sich logistisch (vermutlich aufgrund Leerstand und Isolationsmöglichkeit) nun einmal an. Wie stellen Sie sich sonst vor, wie man nicht infizierte Menschen vor Jenen schützen soll, die bereit sind bewusst den Virus zu verbreiten ?

        Es geht hier nämlich nicht um Menschen die potentiell den Virus verbreiten, sondern um welche die es garantiert tun.

  • Beschämend.

    • @tomás zerolo:

      Wirklich beschämend.



      Wie gesagt wird, „Solidarität“ ist sehr wichtig in diesen Zeiten. Also solidarisch gegenüber Deutschen.

    • @tomás zerolo:

      Ja. Sieht aus, als ob einige Deutsche immer noch gern selektieren: Die „eigenen“ Infizierten ins Krankenhaus. Die Infizierten anderer Herren (Länder) in den Knast.

      • 8G
        83191 (Profil gelöscht)
        @mowgli:

        In dem Artikel steht eindeutig "symptomfrei" .. d.h. eine Behandlung ist nicht notwendig und eigentlich auch nicht möglich.

        Die "eigenen" symptomfrei Infizierten werden übrigens nicht im Krankenhaus behandelt.

        Außerdem steht dort etwas von „nachhaltig und in aggressiver Weise gegen Quarantäneanordnungen verstoßen“.

        Habe ich also als nachweislich und wissentlich mit Covid-19 infizierter Mensch das Recht den Virus möglichst überall hin zu tragen?

        • @83191 (Profil gelöscht):

          Lieber Holzhiern,



          auch hier liegen SIe falsch. Es gab in der Vergangenheit sehr selten, aktuell ein wenig mehr, Menschen, die nach § 30 IfSG in Quarantäne (Zivilhaft) genommen wurden. Alle (!) Fälle sind bisher in Krankenhäuser untergebracht worden, weil es keine andere Möglichkeit gibt (eben weil es kein Vollzugsgesetz gibt).



          "nachhaltig und in aggressiver Weise gegen Quarantäneanordnungen verstoßen" - was bedeutet dieses? Es gab ein paar infizierte Personen in der EAE, daraufhin wurden alle in Quarantäne genommen. Sämtliche Anweisungen ergingen in deutscher Sprache, obwohl die Betroffenen erst einige Tage in Deutschland sind. Da die Menschen immer Angst haben müssen, dass sie Abgeschoben werden, kommt Panik auf. Ja, sie war in den Fällen vollkommen unbegründet, weil das Asylverfahren noch lief, aber es hat ihnen keiner erklärt. Ich kann verstehen, wenn ich dann subjektiv da einfach nur eins will, nämlich raus...



          Ich weiß, dass es ein kompliziertes Thema ist, aber vielleicht einfach mal hinter den Artikel sehen? Auch der Herr Jakob, der den Artikel geschrieben hat, hat zu Büren lediglich eine Pressemitteilung (facebook.com/frank.gockel) gelesen und einen Anruf bei der Bezirksregierung Detmold getätigt. Tiefgehende Infos dard man aus einen Zeitungsartikel nicht erwarten...

          • 8G
            83191 (Profil gelöscht)
            @Keine Absonderunghaft:

            Ich kenne die Situation vor Ort nicht. Ich dachte mir aber zusammenreimen zu können, dass wenn den Beiden mittlerweile frei gekommenen Flüchtlingen all die Dinge angetan wurden die sie aufzählen, dann wären auch deutlich präzisere Informationen im Artikel aufgetaucht. Da steht, kurzgefasst: In einer Erstaufnahmeeinrichtungen haben 6 positiv auf Corona getestete Menschen sich "in aggressiver Weise" nicht an Quarantänemaßnahmen gehalten, waren körperlich nicht in einem Zustand der Behandlung notwendig macht, und wurden für ein paar Tage in einem Gefängnis Zwangsisoliert. Zwei sind mittlerweile wieder raus.

            Niemand hier möchte eine Haftanstalt, die nach Gesicht oder Tageslaune und ohne Kontrolle arbeitet. Aber das liegt meinem Verständnis nach nicht vor. Vielleicht ließ die Situation vor Ort keine alternative Handlungsweise zu. Der Autor des Artikels hat beide Seiten wenig recherchiert, also gehe ich erst einmal von dem Bekannten aus.



            Wenn (!) ihre Aussagen bzw. Haftbedingungen und Recht korrekt sind, sowie die Betroffenen sich nicht sonderlich aggressiv verhalten haben, ist diese Form der Isolation indiskutabel. Da kann ich Ihnen nur beipflichten. Aber nichts davon steht in dem Artikel, folglich spielte es für meine Meinung bisher keine Rolle.