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Homeoffice-Rechte für ArbeitendeArbeitnehmer allein zu Haus

Arbeitsminister Heil möchte ein Recht auf Homeoffice gesetzlich verankern. Das könnte auf Kosten der Freizeit von Angestellten gehen.

Manchmal auf der sonnigen Seite: Homeoffice Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Homeoffice für alle! Das ist der Claim, mit dem der sozialdemokratische Arbeitsminister Hubertus Heil mitten in der Pandemie in die Offensive geht. „Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz zulässt, soll im Homeoffice arbeiten können – auch wenn die Coronapandemie wieder vorbei ist“, sagte Heil der Bild am Sonntag. Er arbeite derzeit an einem neuen Gesetz „für ein Recht auf Homeoffice“, das er bis Herbst vorlegen werde. Wenn die Art der Beschäftigung es zulasse, solle es Arbeitnehmer*innen dann möglich sein, entweder ganz oder tageweise auf Homeoffice umzustellen.

Das klingt für die zeitgenössische Sozialdemokratie ungewohnt proaktiv und selbstbewusst. Ja, zunächst klingt das auch so, als würde Heil mit seinem Vorstoß irgendwie an alte Zeiten anknüpfen wollen, Ar­beit­nehmer*innenrechte und so. Die Zahl der Arbeit­neh­me­r*innen im Homeoffice sei in der Coronakrise „ersten vorsichtigen Schätzungen zufolge“ von 12 auf 25 Prozent gestiegen, so Heil, der Arbeitsminister, der in diesem krisenbedingten Trend vielleicht eine Chance für die endgültige Emanzipation der Arbeitnehmer*innen von der Arbeitgeber*innen-Gewalt wittert.

Ja, was wäre das für eine schöne Freiheit, wenn nach Corona einfach alles so bliebe wie währenddessen: täglich ein bisschen mehr Schlaf, da kein Arbeitsweg, keine nervigen Staus, vielleicht ein Hemd für die morgendliche Videokonferenz, aber dafür keinen Zwang zu adretter Hose, frühstücken und konferieren zur gleichen Zeit und so weiter. So gesehen klingt Heils „Recht auf Homeoffice“ nach so etwas wie dem Achtstundentag des 21. Jahrhunderts.

Schön wär’s, aber Heils Formulierung trügt. Denn im Homeoffice wird aus „Recht“ schnell mal Pflicht, manchmal sogar Zwang, auch wenn die oder der Vorgesetzte nicht im selben Haus sitzt: In der heutigen Arbeitswelt ist man sich selbst oft der härteste Chef; vor allem wenn Lohnarbeit zunehmend im privaten Bereich, also zu Hause abgeleistet wird.

Entgrenzte Welt

Denn wenn sich Lohnarbeit und Freizeit zunehmend vermischen, dann findet diese Vermischung tendenziell zugunsten der Arbeit statt: Was ist schon dabei, gerade mal noch eine Mail vor dem Schlafengehen zu beantworten? Außerdem: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen! Diese Entwicklung ist nicht neu, die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt spätestens, seit sich Arbeitswelten digitalisieren.

Corona und Heils Vorstoß scheinen der ohnehin bedrängten menschlichen Freizeit nun aber den letzten Stoß zu geben – auch wenn der Arbeitsminister sagt, er wolle mit fairen „Regeln“ verhindern, „dass sich die Arbeit zu sehr ins Private frisst“ (wer kontrolliert wie, dass das nicht passiert?) und es auch im Homeoffice einen Feierabend gebe – „und zwar nicht erst um 22 Uhr“ (aber 21 Uhr?).

Aus Arbeitnehmersicht ist dieser Kritikpunkt am Homeoffice vielleicht der wesentlichste, würde eine nachhaltige und dauerhafte räumliche Zusammenführung von Arbeit und Freizeit den Alltag doch grundsätzlich verändern. Aber er ist nicht der einzige: Was ist mit berufstätigen Menschen mit Kindern?

Was ist mit der physischen, unmittelbar sozialen Interaktion, die keine Videokonferenz ersetzen kann? Was ist mit eigentlich gemeinschaftlichen Arbeitsprozessen, denen gegenüber ein allgemeines Homeoffice die Individualisierung weiter vorantriebe, und zwar nicht im Sinne persönlicher Freiheiten, sondern von Vereinzelung?

Flexibilisierung der Arbeit ist kein neutraler Prozess, sondern spielt sich, wie so viele vermeintlich technische Fragen der Arbeitsorganisation, im Spannungsfeld zwischen Ar­beitgeber*innen und Ar­beit­neh­mer*innen ab. Das zeigen auch die Reaktionen auf Heils Vorschlag: Der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft hat ihn bereits abgelehnt (wegen steigender Arbeitskosten und zusätzlicher Bürokratie), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist auch nicht angetan (wegen „Vorgaben, die Wachstum und Flexibilität beschränken“). Die Gewerkschaft Verdi hingegen zeigte sich (unter bestimmten Bedingungen jedenfalls) offen.

Profitpotenzial erkannt

Andere haben indes längst das profitmaximierende Potenzial der Totalisierung von Lohnarbeit angesichts der Coronakrise verstanden. Im Spiegel forderte Dieter Spath, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, Arbeit auch auf das Wochenende auszudehnen. So könnten Arbeitszeit entzerrt und Kontakte verringert werden. Und der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP, Johannes Vogel („Lasst den Markt in Frieden!“), fordert gleich eine entsprechende „Modernisierung“ des Arbeitszeitgesetzes. Erst vor wenigen Wochen hatte Arbeitsminister Heil eine Verfügung unterschrieben, die es erlaubt, die tägliche Arbeitszeit in bestimmten Branchen temporär auf 12 Stunden auszudehnen.

Die Krise zeige doch, so wird der FDP-Politiker Vogel im Handelsblatt zitiert, dass vieles gehe, was vorher angeblich nicht möglich war. Ob man diese Möglichkeiten als Chance begreift, hängt aber davon ab, auf welcher Seite man steht: auf der der Arbeitnehmer*in oder der der Chef*in.

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16 Kommentare

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  • Also das ist mal wieder so ein üblicher Mecker-Artikel, der vor allem auf Unkenntnis in Sachen Home Office schliessen lässt. Ich mache nicht erst seit Coroma Home Office und das sehr gerne. Mein Unternehmen hat eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat geschlossen, in der der alles Wichtige geregelt ist. Ich arbeite mit einer virtuellen Stechuhr, melde mich an, wenn ich zu arbeitrn beginne und melde mich ab, wenn Feierabend ist. Ich muss nicht vorm Schlafengehen Mails prüfen oder beantworten. Und das wird von mir nicht erwartet. Ich chatte und telefoniere mit dräen KollegInnen und dem Chef. Es findrn auch virtuellr Team-Meetings. Alles nice and easy. Und ich muss auch nicht jeden Tag Home Office machen, wenn ich Sehnsucht habe.

  • Wird auch Zeit.



    Es geht um das Recht, nicht die Pflicht, auf Homeoffice.



    Die Mundgeruchfiguren und Tuscheltanten im Büro sind so herrlich fern. Der Kältefanatiker, der auch bei minus zehn Grad unbedingt stündlich das Fenster aufreißen muss, kann Niemanden mehr triezen. Die aufgehaltene Hand der Kaffekassen-Blockwartin greift ins Leere. Und potenziell übergriffige Vorgesetzte müssen fortan an sich selber rumspielen...

  • Ja ja, der Heil Hubertus, von Erwerbsarbeit versteht er nichts. Deshalb ist er ja auch der am besten geeignete Arbeitsminister. Die SPD hat es tatsächlich geschafft, die einst von ihr bekämpfte Heimarbeit heute als innovatives humanes Arbeitsmodell der Zukunft dazustellen. Das ist nicht nur der komplette Verrat an den einstigen Parteizielen, sondern es ist die feige Unterordnung unter die Klasse, die sie einmal angefangen hat zu bekämpfen. Wer in der geistigen Gosse des demokratischen Rechtstaates mit Wohlfahrtsgebot angekommen ist, zeigt wohl nur zu deutlich wie unintelligent und haltlos man geworden ist.

    Dass das "Homeoffice" bei Bürgerlichenund Grünbourgeoisen positiv gesehen wird, begründet sich in der riesigen Anzahl von verdienenden Sesselfurzern. Die taz wird weder von Malochern noch Technikern inhaliert, die im produzierenden Gewerbe arbeiten. Der Leiter der Möllervorbereitung, des Hochofens, des Stahlwerks kann den Betrieb nicht vom Homeoffice steuern.

    Den taz-Träumern ist die Realität entglitten, denn das produzierende Gewerbe erhält die Arbeitsplätze, die zum Funktionieren der Volkswirtschaft notwendig ist.

    Das Dienstleistungsgewerbe ist dagegen zusammengebrochen, was in den Niederlanden sehr gefährlich ist. Man hat dort fast nur noch auf nicht produzierendes Gewerbe gesetzt und muss nun eine sehr hohe Arbeitslosigkeit befürchten.

    Homeoffice ist ein weiteres Einfallstor zur Auspressung der Arbeitnehmer. Wer das befürwortet scheint mir einen Arbeitsplatz zu besetzen, der in Wirklichkeit wohl überflüssig ist. Denn er überträgt 1:1 die Büroarbeit nach Hause. Dann hat er wohl auch sonst in der Firma nicht viel zu tun.

    Für "Alfons dä Amtmann" (Bläck Föös) mag das Homeoffice eine "win-win" - Situation sein. Das erklärt dann auch hier die Zustimmung im Forum.

  • Schon der alte Marx wusste, dass die "Exploitation" der Arbeitskräfte in der "sog. Hausarbeit schamloser als in der Manufaktur" wird, "weil [u.a.] die Widerstandsfähigkeit der Arbeiter mit ihrer Zersplitterung abnimmt". Heute bejubeln Gewerkschaften, dass ein sozialdemokratischer Arbeitsminister das Recht auf Heimarbeit durchsetzen will.

    Die Wirtschaft ist gar nicht gegen das Home-Office, sondern gegen Regularien, die eine maximale Ausbeutung der Arbeitskraft verhindern. Wenn die Regierung die gewünschte Flexibiliserung der Arbeitszeit und -vergütung anbietet, wird die Wirtschaft der Hausarbeit gerne zustimmen.

  • Profitpotenzial liegt auch noch woanders.

    Das Bereitstellelle eines Arbeitsplatzes kostet den Arbeitgeber Geld, wenn es nun ein gesetzliches Recht auf Homeoffice/mobiles Arbeiten gibt und die Büros leerer werden, dann besteht da erhebliches Einsparpotenzial.

    Dadurch wird das Hoteling zunehmen, gibt es bei mir im Unternehmen auch an zwei Standorten, das gefällt auch vielen Leuten bei uns nicht, die feschen Unternehmensberater und der Vorstand sind da aber total von überzeugt, genau wie von den Scheiß Glasbüros...

    • @Sven Günther:

      hört sich doch nach einer win win situation an. der arbeitgeber spart sich das scheiss glasbüro genauso wie der arbeitnehmer

      • @kipferl:

        Das kommt immer auf den einzelnen Menschen an, manche finden es gut und andere nicht, aber Hoteling ist kein Wahlmodell.

        Anderes Beispiel, ich hab zurzeit 9 Leute im Team, zwei wollen eigentlich gar nicht mehr ins Büro und mit drei musste ich längere Gespräche führen, warum man doch bitte weiter von Zuhause aus arbeiten soll, die Leute sind da oft ganz unterschiedlich.

        • @Sven Günther:

          In der Tat sind die Leute da sehr unterschiedlich. Ich sehe überhaupt nicht ein, wieso ich meine Wohnung, die ich nicht für meinen Arbeitgeber gemietet habe, mit Büroequipment vollstellen sollte. Den Arbeitsplatz hat der Arbeitgeber bereitzustellen, und zwar auf seine Kosten. Was ich zu Hause mache, geht ihn nichts an.

          Freiwilliges Homeoffice ist eine andere Sache, aber bei Ihnen scheint das ja schon Pflicht zu sein - natürlich mit Gesprächen und "Bitte", aber das bemäntelt nur, dass es eine Weisung ist. Oder was machen Sie, wenn die drei Leute in Ihrem Team darauf bestehen, im Büro zu arbeiten?

          • @Budzylein:

            Unsere Büros werden teilweise von anderen Kolleginnen/Kollegen genutzt, die aufgrund ihrer Tätigkeit damals oder immer noch, ins Büro kommen müssen. Unsere Büros werden jetzt als Einzelbüros genutzt, weil man dann darin ohne Maske arbeiten kann.

            Eine Rückkehr ist darum aktuell nicht möglich, am 13.03. haben alle Ihre Schreibtisch abräumen müssen, Blumen etc. mit nach Hause genommen und seitdem sollte keiner mehr aus meiner Abteilung und den meisten anderen Bereichen da gewesen sein.

            Diese Regelung gilt aktuell bis 15.05. ich seh uns da aber noch nicht wieder im Büro.

        • @Sven Günther:

          genau deshalb sollte jeder wählen können

          • @kipferl:

            Hoteling funktioniert aber nur, wenn sich zumindestens ganze Abteilungen daran beteiligen, ansonsten funktioniert es nicht gut.

  • man denke an all die Pendler die Lebensjahre auf dem Weg zur und von der Arbeit verschwenden.

  • Endlich diese Möglichkeit zu haben, kein Stau, keine 2,5 Stunden tägliche Fahrt, bessere Luft etc., Für mich und viele kollegInnen ein Traum. Liegt sicher nicht jeder/m, das Büro aber auch nicht! Es sollte zumindest per Gesetz die Möglichkeit geben, ohne Abhängigkeit von misstrauischen Führungskräften, die sich nur wohlfühlen, wenn sie ihre mitarbeiterInnen in der Nähe wissen. In vielen Fällen lässt sich die Arbeitsleistung ohne Anwesenheit prüfen.

  • ja, es gibt wahrscheinlich kein licht ohne schatten. aber das ist kein grund sich vor jedem photon zu fürchten. ich arbeite deutlich lieber und effizienter zu hause, und nicht jeder legt wert auf soziale kontakte die man sich nicht ausgesucht hat.

  • Laut dem Umfrageinstitut Allensbach (siehe Bericht Handelsblatt) möchte die große Mehrheit der Leute die jetzt zwangsweise im Homeoffice arbeiten so schnell wie möglich wieder in den Betrieb zurück.

    Unser Arbeitsminister hat wohl wenig Vorstellung über den Arbeitsalltag im Betrieb, vor allem mit der sozialen Komponente die online nicht ersetzt werden kann.

    Dieser hoffnungslose Aktionismus wird der SPD auch keine Stimmen bringen.

    • @Poseidon:

      wer in sein sozialbüro zurück will soll das können; für die anderen wäre es eine erlösung dieses los zu werden