Lockdown und Konsum: Krieg an der blauen Tonne
Im Lockdown haben Privathaushalte mehr Glas-, Papiermüll und Leichtverpackungsabfälle produziert. Die Mülleimer in der Stadt quellen über.
Wer in Berlin lebt, ist abgehärtet in Sachen Müll. Da stehen Sofas am Kanal und Kloschüsseln auf dem Bürgersteig. Zwar hatte bereits Franziska Giffey, die heutige Familienministerin und frühere Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, tapfer für die App des Ordnungsamts geworben, mit der man Müllberge fotografieren und melden kann. Aber die Stadtreinigung kam schon vor Corona nicht hinterher.
Dann kamen Corona, Lockdown, Homeoffice, Amazon-Pakete und Lieferando-Aluschalen. Seitdem sind die Mülleimer zu Hause ständig voll. Die Blechdose der schnell aufgewärmten Mittagssuppe fliegt in den Restmüll, der Pappkarton von der online geshoppten Jacke landet in der Papiertonne. Die ist aber ständig voll, weil der Nachbar jeden Tag drei Amazon-Pakete geliefert bekommt und sie noch nicht mal ordentlich zusammenfaltet. Was früher der Krieg am Gartenzaun war, wird unter coronafrustrierten Großstädtern zum Krieg an der Papiertonne.
Zwanzig Prozent mehr Glas und Leichtverpackungsabfälle haben die Privathaushalte im Lockdown produziert, auch das Volumen von Papierverpackungen ist gestiegen, hat der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V. festgestellt. Bisher gammelten diese Abfälle in betonierten Müllräumen vor sich hin. Jetzt lockt der Frühling nicht nur die Leute, sondern auch ihren Müll nach draußen.
Schnee, komm zurück!
Im Internet teilen Menschen nach dem Wochenende empört Bilder von überquellenden Papierkörben in deutschen Großstädten. Pizzakartons, Sektflaschen, Nudelboxen. Abfallberge dreimal höher als die Mülleimer selbst.
Bisher dachten wir ja, es seien die Touristen, die ihren Partymüll einfach liegen lassen. Aber ohne Easy-Jet und Berghain, wem sollen wir unseren Dreck jetzt in die Schuhe schieben?
In die Mülleimer kann man ihn jedenfalls auch nicht schieben. Die sind so klein und selten, dass es nicht viel braucht, um sie zum Überquellen zu bringen. Womit wir beim eigentlichen Problem der Müllkrise wären. Die Stadtreinigung steht in Berlin auf der Liste der „systemrelevanten“ Berufe ziemlich weit oben. Offenbar reicht die Systemrelevanz aber nicht dafür, um sie entsprechend auszustatten.
So schön der Frühling ist, für den Gang über die Bürgersteige in Berlin war die geschlossene Schneedecke jedenfalls gar nicht so schlecht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen