Lockdown und Konsum: Krieg an der blauen Tonne
Im Lockdown haben Privathaushalte mehr Glas-, Papiermüll und Leichtverpackungsabfälle produziert. Die Mülleimer in der Stadt quellen über.

Überfüllter Mülleimer in Berlin nach dem ersten warmen Wochenende in diesem Jahr Foto: Stefan Zeitz/imago
Wer in Berlin lebt, ist abgehärtet in Sachen Müll. Da stehen Sofas am Kanal und Kloschüsseln auf dem Bürgersteig. Zwar hatte bereits Franziska Giffey, die heutige Familienministerin und frühere Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, tapfer für die App des Ordnungsamts geworben, mit der man Müllberge fotografieren und melden kann. Aber die Stadtreinigung kam schon vor Corona nicht hinterher.
Dann kamen Corona, Lockdown, Homeoffice, Amazon-Pakete und Lieferando-Aluschalen. Seitdem sind die Mülleimer zu Hause ständig voll. Die Blechdose der schnell aufgewärmten Mittagssuppe fliegt in den Restmüll, der Pappkarton von der online geshoppten Jacke landet in der Papiertonne. Die ist aber ständig voll, weil der Nachbar jeden Tag drei Amazon-Pakete geliefert bekommt und sie noch nicht mal ordentlich zusammenfaltet. Was früher der Krieg am Gartenzaun war, wird unter coronafrustrierten Großstädtern zum Krieg an der Papiertonne.
Zwanzig Prozent mehr Glas und Leichtverpackungsabfälle haben die Privathaushalte im Lockdown produziert, auch das Volumen von Papierverpackungen ist gestiegen, hat der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V. festgestellt. Bisher gammelten diese Abfälle in betonierten Müllräumen vor sich hin. Jetzt lockt der Frühling nicht nur die Leute, sondern auch ihren Müll nach draußen.
Schnee, komm zurück!
Im Internet teilen Menschen nach dem Wochenende empört Bilder von überquellenden Papierkörben in deutschen Großstädten. Pizzakartons, Sektflaschen, Nudelboxen. Abfallberge dreimal höher als die Mülleimer selbst.
Bisher dachten wir ja, es seien die Touristen, die ihren Partymüll einfach liegen lassen. Aber ohne Easy-Jet und Berghain, wem sollen wir unseren Dreck jetzt in die Schuhe schieben?
In die Mülleimer kann man ihn jedenfalls auch nicht schieben. Die sind so klein und selten, dass es nicht viel braucht, um sie zum Überquellen zu bringen. Womit wir beim eigentlichen Problem der Müllkrise wären. Die Stadtreinigung steht in Berlin auf der Liste der „systemrelevanten“ Berufe ziemlich weit oben. Offenbar reicht die Systemrelevanz aber nicht dafür, um sie entsprechend auszustatten.
So schön der Frühling ist, für den Gang über die Bürgersteige in Berlin war die geschlossene Schneedecke jedenfalls gar nicht so schlecht.
Leser*innenkommentare
Ruediger
Interesssant wäre in diesen Zusammenhang aber nicht nur, um wieviel Prozent der Müll von Privathaushalten im Lockdown zugenommen hat, sondern auch, um wieviel Prozent der Gewerbemüll in derselbem Zeit zurückgegangen ist, wieviel Tonnen dss jeweils ausmacht - und ob dann am Ende wirklich sehr viel mehr Müll rauskommt.
kditd
Man hat vor 40 Jahren schon gewußt, daß man Verpackungsmüll verringern sollte. Genauso wie man wußte, daß man ein Tempolimit braucht und den Atom- und Kohleausstieg.
Wissen ist aber anscheinend nicht genug. Und wenn das so ist, wie bekommt man dann diese Veränderungen hin? Ich weiß es, aber ich mach es nicht? Muß man Zwang anwenden? Damit machen Politiker sich unbeliebt, geht also in einer Demokratie nicht, weil das Wollen (und Nichtwollen) des Volkes zum Maßstab erhoben ist.
Man weiß seit Jahrzehnten, was zu tun wäre, aber man macht es nicht.
Vielleicht braucht es doch eine Art Verpackungssteuer.
Kolyma
Vielleicht wäre es hilfreich, wenn mehrmals in der Schullaufbahn ein Müllsammeltag im Lehrplan stünde. Das würde die Menschen von klein auf dafür sensibilisieren, dass Müll viel Arbeit macht, wenn er achtlos fallen gelassen wird.
Im Übrigen verstehe ich nicht, warum die Leute immer einen halben Supermarkteinkauf mitnehmen, wenn sie in den Park gehen. Anders als ein Vogel oder ein Grasfresser muss ein Mensch doch gar nicht ständig essen.
Uranus
Zum einen gibt es bei einigen offenbar kein Verantwortungsbewusstsein für die Entsorgung die Verpackung der Dinge, die sie selbst gekauft haben. Ist offenbar zu viel erwartet. Ob da die Inszenierung als Mülltrennweltmeister*in noch gelingen wird? ;-) Hier müsste anderes Verhalten vermittelt werden.
Strukturpolitisch müsste Verpackung und Müll im vorhinein vermieden werden. Bspw. durch Förderung von Mehrweg und Einpreisung von u.a. Emissionen aus Herstellung und Entsorgung in Einwegverpackungen, Förderung/Vorgabe des Konzepts des verpackungslosen Läden, wie es die Original Unverpackt-Läden bereits vormachen ... Von Vorteil wäre diesbezüglich auch das Stellen der Systemfrage und die Entwicklung eines Systems, in dem Ökologie, Gesundheit usw. nicht den Kapitalinteressen hinten an gestellt werden.
Bunte Kuh
Zustell- und Lieferdienste reglentieren, das hilft evtl. schon. Kann doch nciht sein, dass hier jeder macht, was er will und die Umwelt kotzt ab.
Argonaut
Die Müllberge ist auf jeden Fall kein "gesellschaftliches" Problem, sondern die Folge eines individuellen Mangels an Verantwortungsbewusstsein bei den Personen (m/w/d), die den Müll hinterlassen.
Es zählt bei diesen Menschen nur der persönliche Egoismus und die eigene Bequemlichkeit.
Müll vermeiden ist nicht schwer. Ihn korrekt zu entsorgen ist auch nicht schwer.
Mann/Frau muss es nur wollen.
Bunte Kuh
@Argonaut Wir wissen aus Erfahrung: Apelle bringen kaum etwas. Dann muss es eben eine Art Abfallgebühr gleich auf die Verpackung geben. Nur muss das sinnvoll gestaltet werden und am Ende sollte der Einkaufer auch die Möglichkeit haben, durch Wahl eines Produktes die Gebühr zu vermeiden.
Gastnutzer 42
Vielleicht brauchen wir eine Quotenregelung bei der Müllabfuhr. Diese Männerdomäne muss endlich mal aufgebrochen werden!