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Führungswechsel bei LabourCorbyns Programm bleibt relevant

Ralf Sotscheck
Kommentar von Ralf Sotscheck

Der Abschied von Labour-Chef Jeremy Corbyn könnte eine Kehrtwende der Partei einleiten. Für Großbritannien und die Sozialdemokraten wäre das fatal.

Seine Zeit als Labour-Chef ist abgelaufen. Der umstrittene Jeremy Corbyn reicht das Zepter weiter Foto: Henry Nicholls/reuters

E r war der beste Labour-Chef, den die Partei je hatte. 71 Prozent der Mitglieder stimmten bei einer Umfrage in der Partei für Jeremy Corbyn. Dabei hatte Labour bei den Wahlen im Dezember ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1935 eingefahren. An Corbyns Programm lag es nicht. Nach seiner Wahl zum Parteichef 2015 und der Vorstellung seines radikalen Kurses stieg die Mitgliederzahl von knapp 200.000 auf mehr als 550.000. Viele ehemalige Genossen kehrten zurück.

Hatte man bis dahin die Tories in vielen Punkten kopiert und sich Einwanderungskontrollen und Austerität und Haushaltskürzungen auf die Fahnen geschrieben, so versprach Corbyn die Bekämpfung der Klimakrise, die Einführung der 32-Stunden-Woche, einen höheren Mindestlohn, die Abschaffung der Studiengebühren, eine faire Besteuerung der Multis und die Teilverstaatlichung der Infrastruktur. Mit dem neuen Programm verzeichnete Labour 2017 den größten Stimmzuwachs seit 1945.

Vielen machte das Angst, und zwar nicht nur bei den Tories, bei den Reichen und bei weiten Teilen der Medien, sondern auch in den Reihen der eigenen Partei. Das Resultat war eine massive Verleumdungskampagne gegen den Chef. Dass Corbyns Gegner schließlich Erfolg hatten, lag vor allem am Brexit. Fast alle Wahlkreise, die Labour an die Tories verlor, hatten 2016 für den Brexit gestimmt.

Bei den nächsten Wahlen geht es jedoch nicht mehr um den Brexit, sondern um fehlende Investitionen für den Gesundheitsbereich, die Corbyn stets angeprangerte und die aktuell dazu führen, dass Großbritannien auf eine Katastrophe zusteuert. Der neue Labour-Chef Keir Starmer wird Corbyns Programm weitgehend einmotten. Vor ihm muss das Establishment so wenig Angst haben, wie es vor Tony Blair hatte. Bei der Umfrage, bei der Corbyn zum besten Labour-Chef aller Zeiten gewählt wurde, landete Blair mit 37 Prozent übrigens auf dem letzten Platz.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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7 Kommentare

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  • Der beste Labour-Chef aller Zeiten. Aha. Eine Artikel weiter oben liest man dann folgendes:

    "Wer unbequeme Fragen stellte, wurde als Verräter abgestempelt, fertiggemacht, verleumdet, bedroht. An die Stelle einer pluralistischen Debatte traten krude Weltverschwörungstheorien über das jüdische Finanzkapital. Corbyn-Kritiker fielen schneller in Ungnade als Holocaust-Leugner."

    Klingt eher nach Stalin 1953 als nach einer Perspektive für das 21. Jahrhundert. Sind aber bestimmt alles nur Verleumdungen des internationalen Finanzkapitals ...

  • Corbyn als letzter Lichtblick der Sozialdemokratie hatte in der Konfrontation Brexit : EU kein Mittel - keinen "Dritten Weg" mehr - für seine Wähler/innen finden können. Schade!

    Die Sozialdemokratie in Europa dürfte sich damit erledigt haben. Wenn eine Mitgliedersteigerung von knapp 200.000 auf mehr als 550.000 einfach verpufft, dann wars das!

    Einige eher rechtsgerichtete Splitter-, Klientel- und Karrieristenparteien dürften noch übrigbleiben (Seeheim, Osteuropa).

    Unser politisches System einschl. EU steht auf sehr tönernen Füßen!

    • @Rosmarin:

      "Corbyn als letzter Lichtblick der Sozialdemokratie hatte in der Konfrontation Brexit : EU kein Mittel - keinen "Dritten Weg" mehr - für seine Wähler/innen finden können. Schade!" So ist es.

  • Die Momentum-Basisbewegung - das eigentliche Herz der Partei - sollte dem mit relativ knapper Mehrheit gewählten Starmer gleich mal die Instrumente zeigen: Entweder ein klares Bekenntnis zum linken Programm - oder eben die Gründung einer linken Konkurrenz zu Labour. Dass Flügelparteien - im Gegensatz zu früher - in UK nicht mehr chancenlos sind, hat ja auf der rechten Seite die UKIP/Brexit Party eindrucksvoll bewiesen. Der frisch installierte Darling von Börse und Fleet Street könnte dann schon rasch ganz alt aussehen...

    • @Linksman:

      Ich vermute, ihnen ist entfallen, daß in Großbritannien das Mehrheitswahlrecht Anwendung findet. UKIP/Brexit konnten genau null Wahlkreise gewinnen, die eine Grüne Abgeordnete im Parlament ist nur dank einer Reihe Besonderheiten ihres Wahlkreises Brighton Pavillion dort, sonst gibt es nur die geschrumpften Liberalendemokraten, die sich v.a. in relativ reichen kleinen Städten wie Bath oder Oxford festklammern, und ansonsten Regionalparteien. Eine Labour-Abspaltung wäre parlamentarisch aussichtslos und würde auch von den meisten Gewerkschaften nicht mitgetragen werden, also auch sehr schnell pleite.

    • @Linksman:

      Spaltung macht stark: klar doch!

  • schlimm genug dass die von den neoliberalen verräter*innen der arbeiter*innen klasse und den transatlantiker*innen angezettelte verleumdungskampagne gegen Jeremy Corbyn erfolg hatte.dass jetzt auch noch ein neoliberaler sein nachfolger wird vollendet die niederlage der echten sozialdemokraten in der labour -partei und den sieg den rechten blairistischen flügels.hoffentlich kann er sich nicht lange halten.